Tja, da lese ich dank Twitter einen Artikel bei Quantamagazine über die Grundlagen der Quantenmechanik und verspreche leichtfertig, mir das anzugucken. Bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee war…
Aber egal, jetzt habe ich den Artikel und das paper dazu nochmal angeguckt und zumindest eine vage Idee, was da vor sich geht. Bevor es weitergeht, aber erst mal ein ganz dicker
Disclaimer
Ich bin keine Expertin für die mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik, habe keinen Überblick über die aktuelle Literatur und mein mathematisches Talent im Umgang mit Hilberträumen ist auch etwas eingerostet. Alles, was ich im folgenden schreibe, hat eine Wahrscheinlichkeit größer als Null, falsch zu sein. Nehmt es nicht unkritisch hin, schreibt es nicht einfach ab, erzählt es nicht in eurer Physik-Prüfung – ich garantiere heute für Nichts! Falls ihr Fehler findet, hinterlasst einen Kommentar und ich versuche, mich zu korrigieren. Nachtrag: Ich hatte gerade noch einmal mail-Kontakt mit Markus Mueller (siehe auch den Nachtrag unten) – anscheinend habe keinen zu großen Unsinn geschrieben.
So, nachdem das geklärt wäre, gucken wir mal, worum es (meiner Ansicht nach…) geht.
Dazu eine kurze Wiederholung der üblichen Regeln der QM (kurz für Quantenmechanik) in halbwegs alltagstauglicher Sprache. (Wer mehr wissen will klicke bei den Artikelserien, da gibt es einen Haufen Artikel zur QM.)
In der QM werden Objekte (wie beispielsweise ein Elektron) über Zustände beschrieben. Mathematisch kann man so einen Zustand beispielsweise über eine sogenannte “Wellenfunktion” beschreiben. Die Wellenfunktion gibt mir die Wahrscheinlichkeit dafür an, das Elektron irgendwo zu finden: Da, wo sie groß ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, da wo sie klein ist, ist die Wahrscheinlichkeit klein. Solange ich das Elektron nicht messe, ändert sich die zugehörige Wellenfunktion in einer Weise, die man mathematisch über die Schrödingergleichung erfassen kann.
Wenn ich tatsächlich messe, wo das Elektron ist, dann messe ich aber nicht die Wellenfunktion selbst, sondern ich messe immer ein ganzes Elektron. Nehmen wir an, wir haben das Elektron in einem Kasten eingesperrt (beispielsweise ein Labor mit Wänden), und es ist dort in einem energetisch günstigen Zustand. Die WF (kurz für Wellenfunktion) ist dann in der Mitte des Kastens am größten und nimmt zum Rand hin immer weiter ab. Jetzt nehme ich ein Messgerät – beispielsweise könnte ich eine kleine Lampe haben und dahinter einen Detektor, so dass Licht von der Lampe zum Detektor fliegt. Falls sich ein Elektron zwischen Lampe und Detektor befindet, wird das Licht abgelenkt oder absorbiert, wenn es also nicht mehr am Detektor ankommt, weiß ich, dass das Elektron in meinem Detektor ist. (Falls ihr Experimentalphysikerin seid: Ja, ich weiß, dass das technisch so praktisch unmöglich umzusetzen wäre – aber hier geht’s ja nur ums Prinzip.)
Die WF gibt jetzt an, wie wahrscheinlich es ist, dass ich das Elektron im Detektor finde. Genauer gesagt muss man den Wert der Wellenfunktion am Ort des Detektors quadrieren, das gibt die Wahrscheinlichkeit. (Naja, noch genauer gesagt muss man das Betragsquadrat nehmen, weil die WF eine komplexwertige Funktion ist, und man muss auch über das Volumen des Detektors integrieren, weil die Wahrscheinlichkeit, das Elektron exakt an einem Punkt zu finden, immer Null ist [ein Punkt im reellen Raum hat Maß Null] – aber hier geht’s erstmal ums Prinzip und da müssen wir ja nicht so pingelig sein.)
Wenn also die WF an einem Ort beispielsweise den Wert 0,1 hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit, das Elektron hier zu finden, gleich 0,01, also 1%. Wenn wir denselben Versuch 1000 mal wiederholen, werden wir das Elektron also etwa 10 mal an diesem Ort finden, die anderen 990 mal nicht.
Dass das Quadrat der WF die Wahrscheinlichkeit angibt, ist die sogenannte Born’sche Regel (die auch der Anlass für den lahmen und etwas abgegriffenen Titel des Artikels ist). Um diese Regel geht es in dem besagten Artikel. (Naja, genauer geht es da um eine Verallgemeinerung für beliebige Messungen, aber das spielt eigentlich keine Rolle für das grobe Verständnis.)
Nach der Messung wissen wir, dass das Elektron im Detektor ist (oder dass es dort auf keinen Fall ist). Die WF muss sich also entsprechend ändern, denn sie muss jetzt hier den Wert 1 (oder 0) haben. Diese Änderung der WF ist der sogenannte “Kollaps der WF” – mehr dazu findet ihr in meinen anderen Artikeln zur WM (nun klickt schon endlich auf die Artikelserien!).
So, nach dieser kurzen Erinnerung schauen wir jetzt mal in das paper hinein. Am besten, ihr klappt euch in einem zweiten Fenster das paper auf, sonst muss ich hier ganz viel reinkopieren, was erstens technisch schwierig ist (da müsste ich ganz viele screenshots machen oder mich massiv mit dem LaTeX-System in WordPress rumärgern, das wird eh gleich nervig genug werden…) und zweitens dann irgendwann auch an der Grenze zur Legalität, wenn ich zu viel kopiere.
Paper aufgeklappt? Gut. Keine Panik, das ist voller Formeln, Definitionen, Sätzen und so Kram, aber wir wollen ja nur ein bisschen verstehen, was da passiert (und was nicht), und wir schauen auch nur auf ein paar ausgewählte Stellen (die, bei denen ich das Gefühl habe, dass ich was verstehe…). Also blättern wir mal auf Seite 2 und fangen bei Abschnitt A an zu lesen, da gibt es die “Postulate”.
Das erste bezieht sich auf Zustände und sagt, dass die Zustände Strahlen in einem Hilbert-Raum sind. Das gibt euch ne Menge Infos, wenn ihr Mathematikerin seid [dann bitte diesen Absatz nicht weiterlesen, sonst bekommt ihr vermutlich Magenkrämpfe…], aber entscheidend sind zwei Dinge: Hilbert-Räume sind mathematische Konstrukte, mit denen Ihr Vektoren in beliebig vielen Dimensionen beschreiben könnt, auch in unendlich vielen. In drei Dimensionen ist ein Vektor einfach ein Pfeil, der zwei Punkte verbindet,und ihr braucht drei Zahlen, um ihn anzugeben. Eine Wellenfunktion in der QM gibt ja jedem Punkt im raum einen Wert, also brauchen wir unendlich viele Zahlen, um sie zu beschreiben, und mathematisch macht man sowas mit einem Hilbert-Raum. Zunächst mal sagt das Postulat also, dass es sowas wie eine WF gibt.
Es sagt aber noch mehr: Die Zustände sind nicht irgendwelche Objekte im Hilbert-Raum, sondern “Strahlen”. Ein Strahl ist etwas, das eine Richtung, aber keine Länge hat (das steht übrigens in dem Quantamagazine-Artikel nicht ganz richtig, auch wenn der sonst sehr gut ist). Warum soll der Vektor, der unsere WF darstellt, keine Länge haben? Weil unsere WF so gemacht sein muss, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen irgendwo zu finden, gleich 1 ist. Wenn also (das griechische “psi”, das man traditionell für WF nimmt) eine WF ist, dann ist keine sinnvolle WF, denn wenn man die Wahrscheinlichkeit, das Elektron irgendwo zu finden, ausrechnet, kommt im ersten Fall korrekterweise 1 raus, im zweiten Fall aber 2 4 (autsch, das war zu schnell…), was wenig Sinn ergibt, weil Wahrscheinlichkeiten nicht größer als 1 sein können. Man sagt deshalb, dass die WF “normiert” ist, ihr Gesamtwert (Mathematisch das Integral über’s Quadrat der WF) ist 1.
Diese Annahme ist schon nicht ganz unschuldig. Wenn wir zum Beispiel überlegen, welche physikalischen Theorien wir so beschreiben können, dann funktionieren viele klassischen Theorien nicht so. Im Elektromagnetismus haben wir zum Beispiel elektrische Felder, die können aber beliebig groß werden. Das elektrische Feld ist nicht so gebaut, dass man immer 1 herausbekommen muss, wenn man es (oder sein Quadrat wie bei der WF) an allen Orten zusammenzählt. (Das Quadrat des E-Feldes ist die Energiedichte, und in der klassischen Physik kann die beliebige Werte annehmen und sich auch ändern.)
Hinzu kommt noch, dass die Annahme eines Hilbertraums mathematisch impliziert, dass unsere WF mit komplexen Zahlen arbeitet – das hat in der QM sehr drastische Auswirkungen, weil es sehr komplexe Interferenzphänomene ermöglicht, aber dazu schreibe ich hier mal nichts weiter.
So, falls euch schon der Kopf schwirrt (und das war erst Postulat 1, die anderen brauchen aber weniger Erklärungen): Hier nochmal die Essenz: Postulat 1 sagt, dass man in der QM Zustände über Dinge wie Wellenfunktionen beschreibt, und die sind normiert.
Nebenbei bemerkt: Wenn ihr jetzt sagt: hey, man kann doch nicht einfach irgendwelche Postulate aufstellen und behaupten, so funktioniert die Welt – richtig. Also, kann man schon machen (fragt mal in dem großen Haus mit dem Kreuz auf dem Dach bei euch in der Nähe), ist aber so herum nicht unbedingt besonders sinnvoll. Was man in der Physik tut, wenn man solche Postulate hinschreibt, ist sozusagen “reverse engineering”: Aus Experimenten hat man zahlreiche Regeln abgeleitet, wie sich Teilchen in der QM verhalten, und dann versucht man, die in möglichst kondensierter Form mathematisch zu erfassen, um die Logik der Theorie besser zu verstehen. Man fragt sich also: “Mit welcher Mindestmenge an Annahmen kann ich die Theorie ableiten?” Ein paar Gedanken dazu findet ihr auch in diesem alten Artikel. (Dort verwende ich den Begriff “Axiom” statt “Postulat”, das ist aber in diesem Zusammenhang dasselbe.)
So, jetzt zu den nächsten Postulaten. Als nächstes haben wir die “Transformationsregel”. Die sagt im wesentlichen nur, dass sich Zustände ändern dürfen, dass diese Änderung mathematisch nichts daran ändert, dass die WF normiert ist, und dass solche Änderungen reversibel sind (allerdings nicht beim Messprozess), man kann also auf dem Zustand “jetzt” auf den Zustand “vorher” eindeutig zurückschließen. Man hätte auch einfach die oben erwähnte Schrödingergleichung hinschreiben können, aber das wäre nicht so allgemein und mathematisch elegant…
Dann kommt die Regel für zusammengesetzte Systeme: Wenn ihr zwei Elektronen habt, dann sind die möglichen Zustände des Systems aus den Zuständen dieser beiden Elektronen zusammengesetzt, und zwar in bestimmter mathematischer Weise. Auch das klingt sehr harmlos, ist es aber nicht. In der klassischen Physik ist die Zusammensetzung von Zuständen nämlich wesentlich einfacher als in der QM. Ich habe dazu zum Glück vor einiger Zeit schon was geschrieben, deshalb spare ich mir die Erklärerei hierzu heute einfach mal. Ich weise aber darauf hin, dass ohne diese zusätzliche Komplexität viele der Phänomene in der QM nicht möglich wären. Eine vollkommen selbstverständliche Annahme ist das hier also absolut nicht.
Danach kommt dann das Standard-Postulat dazu, wie aus dem Zustand das Ergebnis einer Messung bestimmt wird. Die Regel dazu entspricht (für den einfachen Fall einer Ortsmessung) der Bornschen Regel von oben. Und schließlich noch das Postulat, das sagt, dass nach einer Messung der Zustand mit dem Ergebnis dieser Messung kompatibel sein muss.
Anschließend gibt es in dem paper noch einen kurzen Abschnitt zu sogenannten gemischten Zuständen, aber ich glaube, das müssen wir im Moment nicht im einzelnen diskutieren. Für den Beweis des Theorems sind die wichtig, aber worum es geht, können wir hoffentlich auch so halbwegs verstehen
Dann kommt eine Überlegung dazu, was denn nun an die Stelle des Standard-Postulats zur Messung treten könnte. Wenn wir nicht die Bornsche Regel nehmen, was könnten wir denn nehmen? Und jetzt kommt etwas, das zumindest für mich das Verständnis etwas schwierig macht: es kommen einige Definitionen , und dann steht, schwupps, plötzlich auf Seite 4 das zentrale Ergebnis da. Hmm, so ganz ohne jede Ableitung sieht das seltsam aus, aber ich versuche mal, da etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Die erste Definition ist die einer “output probability function” (kurz OPF). Es wird gesagt, dass jede mögliche Messung unseres Quantensystems durch eine Funktion bestimmt ist, die einem Zustand eine Wahrscheinlichkeit zuweist. Diese Funktion ist genau die OPF. Warum man das eine Definition nennt, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. Es ist ja nicht bloß eine Konvention, die da eingeführt wird, sondern eine Aussage über physikalische Systeme, sollte also eigentlich ein Postulat sein. Weiter unten wird dann auch gesagt, dass dahinter die Annahme steckt, dass es Experimente gibt, die eindeutige Ergebnisse haben, und dass diese Ergebnisse eine Wahrscheinlichkeit besitzen.
Das ist so ja ganz plausibel – selbst in einer klassischen Welt würde das funktionieren, da wären dann die Wahrscheinlichkeiten immer null oder eins, aber das würde den Formalismus ja nicht stören.
Aber so ganz sicher bin ich mir nicht, dass da nicht doch mehr Annahmen drin stecken, als man auf den ersten Blick sieht. Nehmen wir zum Beispiel eine klassische elektromagnetische Welle. Die kann horizontal oder vertikal polarisiert sein (das elektrische Feld schwingt hoch-runter oder rechts-links), sie kann aber auch diagonal polarisiert sein (das Feld schwingt zwischen rechts-oben und links-unten oder umgekehrt zwischen links-oben und rechts-unten). Wenn ich jetzt die experimentelle Frage stelle “Ist die Welle horizontal polarisiert” (beispielsweise, indem ich die Welle durch einen Polfilter schicke), dann bekomme ich heraus, dass hinter dem Polfilter die Welle nur noch die halbe Intensität hat (der horizontale Anteil wird durchgelassen, der vertikale nicht, die Intensität halbiert sich also). Mache ich das Gleiche dagegen mit einem einzigen Photon, dann bekomme ich als Antwort hinterher immer entweder “Ja” (das Photon kommt durch den Polfilter durch oder “Nein” (das Photon wird absorbiert). Diesen zweiten Fall kann ich in der vorgegebenen Weise mit der OPF-Definition erfassen, aber für den klassischen Fall erscheint mir das schwierig: Die Frage “ist die Welle horizontal polarisiert?” hat klassische nicht bloß zwei Antworten, die jede für sich eine Wahrscheinlichkeit besitzen, sondern unendlich viele Antworten, je nachdem, welcher Anteil der Welle durchkommt und welcher nicht. Natürlich kann man auch in dem Fall eine OPF formulieren – für jedes denkbare Messergebnis (beispielsweise 30% horizontal polarisiert) gibt es dann eine entsprechende Funktion, die genau dann 1 ist, wenn unsere Welle tatsächlich zu 30% horizontal polarisiert war, und Null sonst. Aber mir scheint, dass die Frage, was man als mögliches Messergebnis auffasst, ein Knackpunkt ist, über den man noch weiter nachdenken müsste. (Womit ich nicht implizieren will, dass das nicht passiert ist. Das paper ist sehr “dicht”, möglicherweise, weil man es bei einer Zeitschrift einreichen will, die eine Seitenbegrenzung hat, da muss man dann jedes Wort auf die Goldwaage legen.)
Man kann jetzt aus dieser Definition der OPFs ein paar Eigenschaften ableiten. Insbesondere geht es hier um Eigenschaften, die wichtig werden, wenn man Messungen an größeren Systemen macht. Nehmen wir an, wir haben wieder ein Elektron in unserem Labor und haben nebenan im Nachbarlabor ein zweites Elektron (und daneben später noch ein drittes). Wenn ich jetzt eine bestimmte Wahrscheinlichkeit dafür habe, beim ersten Elektron etwas zu messen, und ebenso eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für eine Messung beim zweiten Elektron, dann lässt sich daraus auch eine zusammengesetzte Wahrscheinlichkeit bestimmen.
Hier habe ich eine Weile gehakt, weil ich dachte, dass genau das in der Quantenmechanik ja nicht so sein muss. Immerhin gibt es ja verschränkte Zustände, in denen das, was das eine Teilchen macht, von dem, was das andere tut, nicht unabhängig ist, selbst wenn beide nicht direkt miteinander wechselwirken. Dank einer mail an Markus Müller (nochmal herzlichen Dank für die ausführliche Antwort.) ließ sich das aber klären: Man muss die Definition genau lesen, die bezieht sich nur auf sogenannte Produktzustände, und das sind genau solche, bei denen so etwas wie eine Verschränkung nicht vorliegt.
Und dann kommt noch eine weitere Zutat dazu: Die Annahme, dass es (in einem endlich-dimensionalen System) eine endliche Zahl von Messungen gibt, die es uns erlauben, das Ergebnis jeder beliebigen Messung vorherzusagen, wenn wir ihre OPFs kennen. Achtung: Gemeint ist hier nicht (nur), dass wir für einen bestimmten Zustand unseres Systems einen Satz von endlichen Messungen machen und dann alles über diesen Zustand wissen, sondern dass wir die Wahrscheinlichkeiten für alle Zustände kennen und daraus dann alle anderen möglichen Messergebnisse ableiten lönnen. Nehmen wir wieder ein einfaches System mit zwei Zuständen zur Illustration, beispielsweise ein Photon, das horizontal (H) oder vertikal (V) polarisiert sein kann. Wenn wir für jeden denkbaren Zustand ausrechnen können, mit welcher Wahrscheinlichkeit wir H oder V messen, dann können wir daraus berechnen, welche Wahrscheinlichkeiten wir für jede andere denkbare Polarisationsmessung bekommen, beispielsweise diagonal oder auch kompliziertere Polarisationszustände wie etwa zirkular polarisiert. (Was das ist, erkläre ich in der Serie “Quantenmechanik verstehen” – ich hoffe, ihr habt jetzt endlich mal bei den Artikelserien geklickt…)
Klingt erstmal ziemlich plausibel, ist aber sicher ein Knackpunkt. Im Quantamagazine-Artikel steht dazu
Araújo thinks that there may be more lurking in these assumptions than meets the eye. “They go far beyond assuming that a measurement exists and has a unique outcome,” he said. “Their most important assumption is that there is a fixed set of measurements whose probabilities are enough to completely determine a quantum state.” In other words, it’s not just a matter of saying measurements exist, but of saying that measurements — with corresponding probabilities of outcomes — are able to tell you everything you can know.
Man kann jetzt diese ganzen Überlegungen zusammenfügen. Dazu gibt es eine Skizze des Arguments weiter unten in Abschnitt IV (der eigentliche Beweis steckt im Anhang und ist im Moment total über meinem Horizont, da würde ich ne ziemliche Weile brauchen um das nachzuvollziehen). Was man tut ist, dass man ein System mit endlich vielen Zuständen verwendet. Die Annahme der Vorhersagbarkeit von Messungen aus endlich vielen Messmöglichkeiten erlaubt dann, die OPFs mathematisch in einer einfachen Struktur (einem endlich-dimensionalen Einbettungsraum) darzustellen. Dann guck man sich an, wie sich die OPFs mit der Zeit ändern (dazu hatten wir ja vorhin das Postulat zur Zeitentwicklung der Zustände). Diese Änderung muss dabei konsistent damit sein, dass die Zustände immer normiert sind (das war die Geschichte vorhin mit den “Strahlen” im Hilberraum, ich hoffe, ihr erinnert euch). Wenn man dieses Argument jetzt auf ein zusammengesetztes System überträgt (für das eben die oben diskutierte Zerlegungseigenschaft wichtig ist und bei dem die gemischten Zustände ins Spiel kommen), dann kann man zeigen, dass es nur eine abzählbare Menge von Möglichkeiten gibt, die Wahrscheinlichkeitsfunktionen zu definieren (Gleichung 22 im paper), die durch eine Zahl n charakterisiert werden können. Und dann kann man wiederum beweisen, dass Fälle mit n größer als 1 nicht funktionieren können (dazu verwendet man Methoden der Gruppentheorie, das gucken wir uns jetzt nicht mehr an – meine Prüfung in Gruppentheorie ist schon lange her, grusel). Übrig bleibt also nur eine Möglichkeit, der Fall n=1, und das ist genau die Regel aus der QM.
Entscheidende Zutaten sind also:
- Die Normierung der WF, so dass sie aufaddiert für alle Möglichkeiten immer 1 für die Wahrscheinlichkeit ergibt
- Die Annahme, dass sich Systeme normalerweise (ohne Messung) in einfacher Weise weiterentwickeln
- Die Annahme, dass man die WF eines zusammengesetzten Systems in bestimmter Weise schreiben kann (die zur oben angesprochenen Komplexität der QM führt)
- Die Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit einer kombinierten Messung an einem zusammengesetzten System sich aus den Wahrscheinlichkeiten der Einzelsysteme berechnen lässt
- Die Annahme, dass man aus endlich vielen Messungen alle anderen vorhersagen kann, wenn man sämtliche Möglichkeiten für diese Messungen kennt.
Daraus ergibt sich dann die Bornsche Regel zu den Wahrscheinlichkeiten.
Freundlicherweise hat mir Markus Müller nicht nur bei dem Problem mit der bi-lokalen Messung auf die Sprünge geholfen, sondern gleich auch noch ein wenig zum paper geschrieben (nochmal ganz herzlichen Dank!). Hier ein Auszug aus der mail:
Ich stimme vollkommen zu: unsere Arbeit sagt nichts darüber aus, warum man überhaupt Wahrscheinlichkeiten in der Physik hat. Aber wenn man welche hat, dann müssen sie durch die Born-Regel gegeben sein. Der wesentliche Knackpunkt ist am Ende der, das alle alternativen Wahrscheinlichkeitsregeln verletzen würden, dass (AB)C das gleiche ist wie A(BC), dass also die Reihenfolge der Beschreibung von zusammengesetzten Systemen egal ist.
Tja, wie bewerten wir das Ganze? In meiner laienhaften Sicht würde ich sagen, dass der Beweis sicher ein wichtiger Fortschritt ist. Die Bornsche Regeln wurde ja sehr ad hoc eingeführt, und man kann sich natürlich fragen, ob nicht auch ganz andere Regeln möglich sind, um aus einer Funktion die Wahrscheinlichkeiten zu bekommen. Wir sehen jetzt, dass das nicht so ist. Eine Theorie, die so ähnliche wie unsere QM ist, aber die Wahrscheinlichkeiten anders berechnet, kann es also nicht geben. Das zu wissen ist schon einiges wert.
Das paper zeigt auch, dass es zwingend notwendig ist, dass sich nach einer Messung der Zustand so ändert, wie wir es aus der QM gewohnt sind – also so, dass der neue Zustand mit unserer Messung kompatibel ist (“Kollaps der WF”).
Was das paper aber nicht tut (das wäre auch sehr viel verlangt), ist, zu zeigen, wieso die QM überhaupt so merkwürdig ist: warum können wir für Messungen nur Wahrscheinlichkeiten angeben? Warum ist die WF eine Funktion, aus der man die Wahrscheinlichkeit ableiten kann, das Teilchen irgendwo zu finden? (Dass die WF normiert ist, geht ja zentral in den Beweis ein.)
Ein Universum, in dem sich Teilchen nach diesen seltsamen Regeln verhalten, muss also anscheinend auch zwangsläufig die Bornsche Regel verwenden und nicht einen anderen Weg, um die Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Aber warum unser Universum überhaupt so seltsam ist, verstehen wir auch nicht besser als vorher.
PS: Habe gerade (19.2., 20:15) noch ein bisschen nachkorrigiert, da standen ein zwei Dinge, die nicht ganz richtig waren und ein Satz, der noch aus dem Entwurf stammte und den ich eigentlich hatte löschen wollen. Wenn der Artikel also plötzlich anders aussieht, als ihr ihn in Erinnerung hattet, ist das kein seltsames Quantenphänomen.
Quellen:
The Measurement Postulates of Quantum Mechanics are Redundant
Lluís Masanes, Thomas D. Galley, Markus P. Müller
https://arxiv.org/abs/1811.11060
Mysterious Quantum Rule Reconstructed From Scratch, Quanta Magazine
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