Wie verzaubert man einen Drachen?

„Weißt du, Wyveria“, sagte Miranda, als die beiden morgens, kurz bevor sie schlafengehen wollten, in Mirandas Zimmer am Ofen saßen. „Ich finde das alles ziemlich seltsam. Der Winter kommt so früh wie überhaupt noch nie, und dann dieses seltsame Fünfeck, in dem viel weniger Schnee ist. Die Hexenlehrerin macht geheimnisvolle Ausflüge, die Dorfladenhexe ist plötzlich so unfreundlich – ich frage mich, was das alles soll.“

„Und auch noch der Drachenfußabdruck“, sagte Wyveria.

„Stimmt, den hatte ich schon ganz vergessen. Also – wir haben diesen Drachenfußabdruck, und die Hexenlehrerin war im Drachenland, und dann finden wir hier diese seltsamen Stäbe, die aussehen wie Drachentatzen und die anscheinend irgendwie die Kälte abhalten. Geheimnisvoller geht’s ja wohl kaum.“

„Erinnerst du dich noch an meinen Traum?“, fragte Wyveria.

„Den mit dem schwarzen Drachen, der eisiges Feuer spuckt, um dich einzufrieren?“

„Ja, genau. Vielleicht hat dieser schwarze Drache etwas mit all dem zu tun“, überlegte Wyveria. „Wir müssten die Drachen fragen. Die wissen sicher, was hier vorgeht.“

„Ja, das tun sie bestimmt. Ich frage mich nur, ob sie es mir sagen würden, wenn ich ins Drachenland fliege. Anscheinend ist das alles ja ein großes Geheimnis, sonst hätte der Drache, der hier war, uns bestimmt besucht.“

„Aber wenn wir zusammen ins Drachenland fliegen, dann könnte ich Perlauge fragen. Sie ist meine Freundin und hat bestimmt keine Geheimnisse vor mir.“

„Gute Idee. Ich fürchte nur, du kannst nicht ins Drachenland fliegen – wir müssten eine ganze Weile hier durch die Kälte, da würdest Du bestimmt wieder einfrieren.“

„Kannst Du mich nicht doch irgendwie verzaubern?“

„Ich weiß nicht. Grimbold hat damals gesagt, dass das nicht geht. Und Draconia konnte dich auch nicht verzaubern, als uns beim Schwimmen kalt war.“

„Vielleicht hat Grimbold damals ja auch nicht die ganze Wahrheit gesagt – immerhin wollte er dir ja Angst machen, damit ich mit ihm komme und du mich gehen lässt.“

„Gut. Vielleicht finde ich ja in der Schulbibliothek etwas, das uns weiterhilft.“

Nach der Schule in der nächsten Nacht stöberten Miranda, Draconia, Netti und Wyveria wieder einmal in der Schulbibliothek herum. Netti und Wyveria arbeiteten zusammen: Netti konnte zwar nicht lesen, aber sie konnte Wyveria beim Lesen helfen, indem sie Bücher holte und Buchseiten umblätterte. Wie schon einmal suchten sie zunächst alle Bücher heraus, in denen es um Drachen ging, doch dort wurden sie nicht fündig.

„Hier steht: ‘Mit normaler Magie sind Drachen nicht zu verzaubern, denn ihre Widerstandskraft gegen fremde Zauber ist zu groß’“, las Draconia vor.

„Das klingt aber nicht gut“, meinte Miranda.

„Immerhin steht hier ‘mit normaler Magie’. Vielleicht gibt es ja doch eine besondere Magie, mit der es geht.“

So suchten die Vier also weiter nach einem Zauber, mit dem man auch Drachen verzaubern konnte. Sie suchten lange Zeit herum und schauten auch in die unwahrscheinlichsten Bücher. Sie hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben, als Miranda etwas fand. Sie blätterte gerade in dem Buch „Seltene magische Substanzen“, als sie sah, dass an einer Stelle etwas mit der Hand an den Rand geschrieben stand.

„Hier ist etwas“, rief sie. „Hier geht es um ein magisches Getränk namens ‘Zentaurenwein’. Der soll Heilkräfte besitzen. Und am Rand steht eine Notiz, die irgendwer mit der Hand hingeschrieben hat. Da steht: ‘Die Zauberer sagen, dass ein Zaubertrank, der mit Zentaurenwein zubereitet wird, sogar Drachen verzaubern kann.’ Wir brauchen Zentaurenwein.“

„Zentauren“, sagte Netti. „Wo leben die denn?“

„Ich glaube, irgendwo in Griechenland“, antwortete Draconia.

„Wartet mal“, sagte Wyveria. Sie schaute den Bücherstapel an, in dem sie und Netti gelesen hatten. Nach einem Moment stupste sie eins der Bücher an. „Hier Netti, nimm mal dieses Buch, bitte.“ Netti zog das Buch aus dem Stapel heraus und Miranda konnte den Buchtitel lesen: „Magische Kreaturen der Welt“. „Blättere mal auf Seite 124“, bat Wyveria. Netti blätterte das Buch um, bis sie bei der richtigen Seite angekommen war.

„Das Buch haben wir vorhin durchgeblättert, als wir nach dem Drachenzauber gesucht haben. Da drin steht was über Zentauren“, erklärte Wyveria, während Netti umblätterte.

„Ich hätte auch gern ein photographisches Gedächtnis“, seufzte Draconia. Dann aber schaute sie mit den anderen in das Buch hinein.

Unter der Überschrift „Zentauren“ war ein Bild von einem seltsamen Wesen mit einem Pferdekörper, aus dem da, wo bei einem Pferd der Hals anfing, der Oberkörper eines Menschen herauswuchs. Sie erfuhren, dass Zentauren schon seit Tausenden von Jahren in Griechenland lebten, in kleinen Dörfern versteckt im Parnass-Gebirge.

„Gut, dann muss ich dahin fliegen“, sagte Miranda. „Am besten gleich am nächsten Wochenende, denn nach der Schule schaffe ich es nicht in einer Nacht.“

Kommentare (2)

  1. #1 Sascha
    20. April 2020

    Weltreise, Teil Griechenland, wir kommen!

  2. #2 MartinB
    20. April 2020

    @Sascha
    Na klar, Miranda soll ja auch ein wenig rumkommen in der Welt.