Die Geschichte mit der unsäglichen “Doktorarbeit” von Frau Aschbacher hat Florian ja bereits sehr kundig und im Detail analysiert. Das so etwas nicht promotionswürdig ist (und auch als Facharbeit am Gymnasium keine besonders gute Note bekommen dürfte), ist vermutlich ja unbestritten.
Ich nehme das Ganze aber mal zum Anlass, um für alle die, die im Uni-Betrieb nicht drinstecken, zu erklären, wie so eine Promotion eigentlich läuft und warum so etwas “eigentlich” nicht passieren sollte. Dabei gleich ein entscheidender Hinweis: Alles, was ich hier schreibe, bezieht sich auf meine Erfahrungen in der Physik (als Doktorand) und den Ingenieurwissenschaften (als Gutachter). In den Geisteswissenschaften funktionieren Promotionen meines Wissens oft anders; insofern lässt sich das, was ich hier schreibe, nur bedingt direkt auf den Fall Aschbacher übertragen.
Die Theorie des Promotionsverfahrens
Also, so rein theoretisch könntet ihr (oder konntet es früher) zu hause im stillen Kämmerlein eine Doktorarbeit schreiben und diese dann schlicht bei einer Universität einreichen, um sie begutachten zu lassen. Die jeweilige Fakultät (=Fachbereich, wie z.B. Naturwissenschaft, Physik, Ingenieurwissenschaft, je nach Organisation eurer Uni) würde dann eine Promotionskommission einberufen, die dann Gutachterinnen ernennt, und dann wird die Arbeit begutachtet, dazu später mehr. (Wenn ihr den rechtlichen Rahmen wissen wollt, könnt ihr euch eine Promotionsordnung angucken, beispielsweise die des Maschinenbaus an der TU Braunschweig.)
Damit ihr promovieren dürft, müsst ihr einen entsprechenden Abschluss haben, der zur Fachrichtung passt, jemand, der wie ich Physik studiert hat, kann nicht einfach in Politikwissenschaft promovieren. (Verwandte Fächer gehen, eventuell bekommt man z.B. als Physikerin, die in den Ingenieurwissenschaften promovieren will, die Auflage, ein paar Vorlesungen aus dem Maschinenbau zu hören. [Ein bisschen ironisch wird es dann, wenn die Vorlesung, die man dann hört, von jemandem gehalten wird, der selbst Physiker ist …])
Also, rein theoretisch könnte man mit einer Doktorarbeit unter dem Arm, den passenden Zeugniskopien und sonstigen Unterlagen in die Fakultät spazieren, dort die Sachen auf den Tisch werfen und einen Antrag auf Promotion stellen. [So war es zumindest früher. (An einigen Unis mag es immer noch so sein.) Um sicherzustellen, dass eine Promotion aber auch tatsächlich vernünftig begutachtet werden kann, braucht die Uni aber natürlich auch Leute, die sich mit dem Thema auskennen. Und um andererseits sicherzustellen, dass Doktorandinnen auch vernünftig betreut werden, braucht man Betreuerinnen. Deshalb gehört an der TU Braunschweig zum Verfahren zunächst mal der Antrag auf Annahme als Doktorandin oder Doktorand. ]
Promotion in der Praxis
In der Praxis kommt so etwas – gerade in den MINT-Fächern – eigentlich nicht vor. Normalerweise arbeitet ihr an einem Projekt in einem Institut und werdet dafür bezahlt, entweder mit einer regulären Stelle oder vielleicht auch mit einem Graduiertenstipendium (sowas hatte ich seinerzeit). Ihr seid – anders funktioniert Forschung heutzutage ja auch nicht – in ein Projekt eingebunden, ihr habt Zugriff auf die Ressourcen (Computer, Experimente etc.) des Instituts und betreibt Forschung. Das Geld dafür kommt entweder aus den Mitteln die das Institut sowieso zur Verfügung hat oder von externen Geldgebern wie der deutschen Forschungsgemeinschaft. (Wie das geht habe ich auch schon mal erzählt.)
So forscht ihr also fröhlich vor euch hin, erweitert den Stand des menschlichen Wissens um eine mikroskopische Winzigkeit, wobei ihr permanent mit eurer Betreuerin im Kontakt seid, die guckt, dass auch alles gut läuft und euch hilft, wenn ihr irgendwo nicht weiterkommt. (Mein Doktorvater hatte immer eine gute Idee parat, wenn ich mal nicht weiterwusste.) Die diese Betreuung genau läuft, hängt vom Institut und der Betreuerin ab – an kleinen Instituten betreuen die Professorinnen meist selbst, an großen werden die Doktorandinnen oft vor allem von Postdocs (also Leuten, die schon nen Doktortitel haben) betreut und besprechen mit der Professorin nur die grobe Linie. Auch wie oft man mit der Betreuerin redet, ist stark unterschiedlich, es sollte aber eigentlich immer so sein, dass die Betreuerin weiß, wo ihr gerade steht und was die aktuellen Probleme etc. sind.
Früher oder später (typischerweise so nach 3-4 Jahren) habt ihr dann genügend Erkenntnisse zusammengetragen (und wenn alles nach Plan läuft, auch ein paar wissenschaftliche Veröffentlichungen geschrieben), dass ihr daran denken könnt, eure Doktorarbeit zu schreiben. (An manchen Unis gibt es dazu auch die Möglichkeit, dass ihr einfach eure Veröffentlichungen – wenn es denn genügend sind – hintereinanderheftet und mit einer ausführlichen Einleitung und oder einem Schluss verseht, das nennt man dann eine kumulative Doktorarbeit. Da die Veröffentlichungen selbst ja auch schon begutachtet wurden, ist dann eine externe Qualitätssicherung schon automatisch mit eingebaut. Ich betrachte jetzt aber den “normalen” Fall.)
Die Doktorarbeit
Ihr schreibt also ein Pamphlet von so größenordnungsmäßig 150-200 Seiten zusammen (hängt sehr stark vom Fach, von den Rahmenbedingungen und auch von so banalen Dingen wie dem Papierformat ab; meine Dissertation hatte etwas mehr als 100 Seiten, aber die habe ich in 10-Punkt-Schrift mit sehr schmalen Rändern gedruckt; in dem Format, dass bei uns an der TU üblich ist, würden daraus vermutlich eher 250-300 Seiten werden…). Das tut ihr nicht einfach so, sondern in enger Absprache mit eurer Betreuerin, mit der ihr genau klärt, was in die Arbeit muss, wie viel theoretische Grundlagen und Literaturrecherche notwendig sind, welche Ergebnisse rein müssen, und so weiter. Wie stark diese Rückkopplung mit der Betreuerin ist, ist von Fall zu Fall verschieden – mein Doktorvater hat meine Arrbeit im Vorfeld einmal gegengelesen und mir Verbesserungsvorschläge gemacht, aber bei meinen Doktoranden habe ich Teile auch fünfmal oder noch öfter gelesen, bis ich zufrieden war.
Wenn dann alles fertig geschrieben ist, dann druckt ihr ein paar Exemplare der Arbeit, schmeißt einen Haufen Formulare und Unterlagen zur Einleitung des Promotionsverfahrens drauf und gebt das Ganze bei eurer Fakultät (Fachbereich oder wie immer das heißt) ab. Dort wird dann (nachdem die Formalia geprüft sind) eine Promotionskommission eingesetzt. Wie die sich genau zusammensetzt, hängt von der Uni ab – es gibt meist eine Vorsitzende und zwei Gutachterinnen für die schriftliche Arbeit; bei meiner eigenen Promotion gab es zusätzlich noch eine dritte Person, die die Verteidigung (also den Vortrag zur Arbeit) begutachtete, aber nicht die Arbeit selbst. Aktuell ist es meist so, dass die erste Gutachterin auch tatsächlich diejenige ist, die die Arbeit betreut hat – es gibt aber inzwischen Bestrebungen, das zu ändern und sozusagen keine Begutachtung innerhalb eines Instituts zuzulassen. Ob das eine gute Idee ist, darüber könnte man sicher lange diskutieren, mache ich mal nicht, ich erzähle, wie der aktuelle Stand ist.
Die Begutachtung
Die erste Gutachterin ist also (oft) eure betreuende Professorin, die zweite Gutachterin kommt von einem anderen Institut (eventuell sogar von einer anderen Universität). Bei der Wahl der zweiten Gutachterin habt ihr ein Vorschlagsrecht, dem muss die Fakultät nicht folgen, tut es aber meist. Bei uns an der TU ist es meist relativ klar, wen man wählt – man möchte eine Gutachterin haben, die zumindest ein wenig von dem versteht, was man in der Arbeit getan hat; und da die Themenvielfalt an der TU recht groß ist, ist dann die Auswahl meist nicht so groß. In wie weit ihr mit der schon vor Einreichen der Promotion Kontakt zur Zweitgutachterin hattet, hängt auch wieder vom Einzelfall ab; meist ist der eher spärlich, aber ich hatte auch schon den Fall, dass ich Zweitgutachter für jemanden war, die im Vorfeld ein paar Mal mit mir über die Arbeit geredet hatte (weil ich an der TU in Sachen Finite Elemente gern mal gefragt werde, wenn Leute Probleme haben…).
Wir haben jetzt also zwei Gutachterinnen – die erste sollte die Inhalte eurer Arbeit eigentlich schon kennen, die zweite nicht. Manchmal kommt aus formalen Gründen auch noch ne dritte Gutachterin hinzu, das ist aber eher die Ausnahme als die Regel. (Ich war mal Gutachter bei einer Diss in Frankreich, da lief das anders: Dort gab es eine größere Kommission mit ich glaube 5 Leuten drin, die alle ein Gutachten schrieben.) Die Gutachterinnen haben jetzt die Aufgabe, Gutachten zu schreiben (deswegen heißen die so…). So ein Gutachten ist nicht einfach bloß eine Zeile mit ner Note, sondern eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Arbeit, bei mir werden es meist 2-3 Seiten. Im Gutachten geht man die Arbeit durch, man schildert kurz, worum es geht, was das Ziel der Arbeit ist, und geht dann auf die einzelnen Kapitel ein, wobei man immer dazu schreibt, wenn etwas besonders gut oder vielleicht auch nicht so toll war. (Zum Aufbau eines Gutachtens gibt es keine klare Vorgabe, aber eigentlich haben alle, die ich bisher gesehen oder geschrieben habe, das so gemacht.)
Als Erstgutachterin kennt ihr die Arbeit ja ohnehin schon, trotzdem lest ihr natürlich die Endfassung nochmal gründlich. Als Zweitgutachterin ist die Arbeit euch zunächst fremd und ihr müsst euch reinlesen – aber auch als Zweitgutachterin lest ihr die Arbeit (O.k., in der Praxis lesen nicht alle Zweitgutachterinnen die Arbeiten komplett, sondern überfliegen vielleicht einige unwichtigere Teile auch nur.) undschreibt dann euer Gutachten.
Die beiden Gutachten gehen dann an die Vorsitzende der Kommission. Die liest beide Gutachten (und sollte auch mal in die Arbeit selbst reinschauen, auch wenn das formal nicht wirklich notwendig ist) und guckt, dass die sinnvoll sind (und möglichst nicht voneinander abgeschrieben wurden…). Wenn alles o.k. ist, dann wird der Termin für die Verteidigung der Arbeit angesetzt.
Die Verteidigung
Wie die Verteidigung (auch Disputation genannt) abläuft, unterliegt auch starken Schwankungen: Bei meiner eigenen Promotion musste ich einen Vortrag von 45 Minuten halten, mit anschließender wissenschaftlicher Diskussion; an der TU Braunschweig gibt es einen Vortrag von 30 Minuten, dann eine Diskussion, dann noch eine Prüfung.
In der Diskussion nach dem Vortrag sind vor allem die Gutachterinnen gefragt – hier stellen sie jetzt nochmal kritische Fragen, weisen auf Schwachstellen hin oder schauen, ob die Doktorandin auch die größeren Zusammenhänge der Arbeit versteht. Die Diskussion ist aber offen für alle (an der TU Braunschweig) oder zumindest für zugelassene Fragesteller (In Hamburg war es zu meiner Zeit so, dass nur Leute, die selbst promoviert waren, offiziell Fragen stellen durften). Es ist sehr selten, dass eine Verfahren in diesem Stadium noch scheitert, ist aber schon vorgekommen. (Normalerweise sollte die Doktorandin die meisten Fragen leicht beantworten können, denn es ist ja ihr absolutes Spezialgebiet…)
Falls sich noch eine Prüfung anschließt, werden da auch nochmal Fragen gestellt. Einige Prüferinnen lassen die Doktorandinnen vorher eins ihrer Vorlesungsskripte lesen und machen dann dazu eine Prüfung. Ich finde das unsinnig (dass die Doktorandin das kann, hat sie im Master oder Diplom bewiesen) und stelle Fachfragen, die vom Thema der Promotion ausgehen (frage also zum Beispiel nach den beteiligten Werkstoffen oder nach Grundlagen zu den eingesetzten Simulationsmethoden, weil das nun mal meine Spezialgebiete sind.) Und wenn dann alles gut gelaufen ist, gibt es am Ende eine Note und eine Feier.
Fazit
So also das Verfahren. Damit ein Machwerk wie das von Frau Aschbacher als Doktorarbeit durchgehen kann, müssen also mindestens zweieinhalb Leute in ihrem Job vollkommen versagen, nämlich die beiden Gutachterinnen und die Vorsitzende der Kommission. Ob sie die Arbeit tatsächlich nicht gelesen haben oder ob sie aus Gefälligkeit trotzdem positive Gutachten verfasst haben oder was da sonst schief gelaufen ist, kann ich nicht beurteilen. Was man gegen so etwas tun kann?
Eine Möglichkeit, um Kungeleien zu verhindern, wäre, dass man eben die direkte Betreuerin einer Arbeit nicht als Gutachterin zulässt (wie oben schon erwähnt), das hat allerdings den Nachteil, dass dann eventuell niemand, der die Arbeit wirklich in allen Teilen zu 100% fachlich beurteilen kann und versteht, ein Gutachten schreibt. Man kann auch vorschreiben, externe Gutachterinnen (von anderen Unis) einzubinden – ob das solche Probleme wirklich entschärft, weiß ich nicht; wer kungeln will, hat vermutlich auch ne Kollegin an einer anderen Uni an der Hand, die da mitzieht.
Letztlich gilt für Promotionen das, was auch sonst in der Wissenschaft gilt: Wissenschaft basiert immer auch auf Selbstkontrolle und Vertrauen. Wer das sabotiert, schadet der Wissenschaft und ihrer Glaubwürdigkeit als Ganzes.
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