Auch solche “verborgenen Variablen” lösen das Problem aber nicht ohne Weiteres. Hier kommt jetzt die viel zitierte Bellsche Ungleichung ins Spiel. (Bell hat leider nie den Nobelpreis bekommen, er war möglicherweise für den Preis 1990 vorgesehen, starb aber kurz vor der Bekanntgabe der Nobelpreisträger.) Hierzu betrachtet man, was passiert, wenn man auf beiden Seiten die Messrichtungen unterschiedlich wählt, und zwar nicht nur horizontal/vertikal, sondern mit beliebigen Orientierungen. Man bekommt dann natürlich nicht mehr genau entgegengesetzte Ergebnisse, aber wenn ich zum Beispiel auf der einen Seite vertikal messe und auf der anderen unter 45 Grad zur Vertikalen (beispielsweise Nordost/Südwest), dann beobachte ich, dass ein Wert von oben (Nord) bei A häufiger mit Südwest bei B gefunden wird als mit Nordost. Durch geschickte Wahl der Richtungen kann man jetzt statistisch zeigen, dass eine am Anfang festgelegte Liste für die Richtungen eine bestimmte Ungleichung für die Korrelationen erfüllen muss, eben die Bellsche Ungleichung. Ist die verletzt, dann weiß man, dass die Erklärung “die Teilchen bekommen am Anfang eine Liste mit den Ergebnissen für alle Richtungen und beeinflussen sich gar nicht” nicht funktioniert, dass die Teilchen also wirklich verschränkt sind. (Im Detail erkläre ich das nicht. Vielleicht finde ich ja irgendwann einen Verlag, der mein Romansachbuch zur QM veröffentlicht, dann könnt ihr es da genauer nachlesen.)
Und genau solche Experimente haben Clauser und Aspect gemacht und gezeigt, dass die Bellsche Ungleichung verletzt ist und dass es die quantenmechanische Verschränkung wirklich gibt und sie nicht einfach mit verborgenen Variablen zu erklären ist. (Anekdote am Rande: In einem Philosophie-Seminar hat mir seinerzeit ein Dozent erzählt, die Physiker würden ja alle verschwiegen, dass die Quantenmechanik längst widerlegt sei, weil ja die Bellsche Ungleichung verletzt sei. Da war ich noch klein und konnte nicht viel dazu sagen, geglaubt hatte ich es allerdings nicht. [Nein, google gab es damals noch nicht, sonst hätte sich das ja schnell erledigt.] Qualitätssicherung in der Lehre, sooo wichtig…)
Zeilinger hat dagegen verschränkte Photonen genutzt, um damit abgefahrene Effekte auszunutzen. Eins davon erkläre ich im Detail hier, aber dazu schreibe ich heute nicht mehr.
Und was bedeutet das?
Fassen wir nochmal zusammen: Wir haben zwei Teilchen, deren Pfeile immer in entgegengesetzte Richtungen zeigen, egal welche Richtung wir messen (solange die Richtung bei beiden Messungen dieselbe ist). Wegen Regel 1 und 2 können die Teilchen damit nicht einfach mit einem bestimmten Zustand losgeschickt werden. Die Verletzung der Bellschen Ungleichung zeigt, dass auch eine kompliziertere Zustandsbeschreibung nicht funktioniert.
Was sagt uns das über die Welt?
Die Standard-Interpretation der QM sagt, dass der Zustand der beiden Teilchen eben verschränkt ist. Die Pfeilrichtung ist unbestimmt, bis wir sie bei einem Teilchen messen, dann liegt sie auch beim anderen Teilchen fest (und ist entgegengesetzt). Das gilt auch, wenn beide Teilchen sehr weit entfernt sind, und man kann die Messungen genau gleichzeitig machen, so dass auch ein lichtschnelles Signal nicht von einem zum anderen käme. Das ist das, was Einstein mit “spukhafter Fernwirkung” meinte. Vornehm nennt man diese Art der Deutung des Experiments “nicht-lokal”. (Signale kann man damit aber nicht übertragen – um die Verschränkung zu sehen, muss man ja vergleichen, was auf beiden Seiten gemessen wurde, und das ist dann wieder eine gewöhnliche Informationsübertragung. Außer natürlich als Plot-Device in Science-Fiction-Stories [unschuldig-pfeif]…)
Alternativ gibt es die “nicht-realistische” Interpretation. Danach sagt unsere Beschreibung der Teilchen überhaupt nichts über die “wirkliche Welt” aus, sondern nur über unsere Kenntnis des Zustands. Misst man, ändert sich unser Wissen über die Welt, aber die Dinge, die wir zur Beschreibung unseres Wissens und der Messungen nutzen (wie die Pfeilrichtungen) haben keine echte Entsprechung in der “Wirklichkeit”, was immer das sein soll.
Die meisten Leute (ich bis vor kurzem auch) sehen nur diese beiden Möglichkeiten, entweder ist die Welt nicht-lokal oder nicht-realistisch. Es gibt aber noch ein anderes Schlupfloch: Den Superdeterminismus. Schaut nochmal auf die Beschreibung des Experiments oben: Ich habe gesagt, dass die Teilchen nicht im Zustand (oben,unten) ausgesandt werden können, weil es dann Probleme gibt, wenn ich die Messung in horizontaler Richtung mache. Aber was ist, wenn ich das nicht kann? Was wäre, wenn die Richtung, in der ich messe, und die Richtung, in der die Teilchen ausgesandt werden, zwangsläufig immer in irgendeiner Weise korreliert sind? Dann ergibt sich nie ein Widerspruch.
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