Ein Gastbeitrag von Stefan Uttenthaler
Im letzten Teil der 5G-Artikelserie möchte ich von meinen Besuchen bei zwei Veranstaltungen berichten, auf denen Produkte zur Reduzierung von angeblich gefährlichem Elektrosmog und Mobilfunkstrahlung angepriesen und zum Verkauf angeboten wurden. Am Ende des Berichts wird hoffentlich klar und deutlich, dass die Warnungen vor schädlichen Wirkungen von Elektrosmog, Mobilfunk und insbesondere 5G, bzw. die Geschäftemacherei mit der Angst davor, aus einem pseudowissenschaftlich-esoterischen Milieu stammen. Aufklärung über solche Geschäftspraktiken ist ein nötiger Teil des Konsumentenschutzes.
Ausgangspunkt
Den Ausgang nahm die ganze Sache in einer Presseaussendung des Forums Mobilkommunikation, in der spekuliert wurde, ob es sich bei den Vorträgen um reine Verkaufsveranstaltungen handelt. Um Klarheit in die Sache zu bringen, wurde ein Mystery-Shopping überlegt. Auch der ORF wurde darauf aufmerksam, und so wurde bei der „Gesellschaft für kritisches Denken”, meinem Skeptiker-Verein, angefragt, ob jemand bereit wäre, sich als neutraler und gleichzeitig wissenschaftlich beschlagener undercover-Besucher zu betätigen. Über Umwege landete die Anfrage bei mir. Als eingefleischter und aktiver Skeptiker ist es sowieso immer das Leiwandste, wenn man Pseudowissenschaftlern direkt bei der Arbeit zusehen kann. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrung mit 5G-Gegnern in meiner Heimatgemeinde war ich auf das Thema Mobilfunk vor kurzem sowieso aufmerksam geworden, also erklärte ich mich gleich bereit, diese Feldstudie zu übernehmen.
Teil 1: „Risiken” und „Fakten” über Elektrosmog, 5G und Handystrahlung
Die erste der Veranstaltungen fand im September 2020 in Stadt Haag in Niederösterreich statt. Der Abend stand unter dem Titel „Elektrosmog, 5G & Handystrahlung – Risiken, Fakten und Lösungen”, wobei ich an diesem Tag nur den ersten Teil, nämlich jenen über „Risiken” und „Fakten” zu Elektrosmog, hörte. Den Rest holte ich dann beim zweiten Termin im Oktober nach. Der Vortragsabend war, möglicherweise wegen der zu dieser Zeit steigenden Corona-Neuinfektionen, eher schwach besucht: Inklusive mir selbst fanden sich gerade einmal neun Zuhörer in der Neuen Musikmittelschule Haag ein. Der eigentliche Vortragende wurde eingeführt von einem Herrn David H. (Name geändert, vollständiger Name ist dem Autor bekannt), der selbst auf memon-Produkte setzt und freiberuflicher „Fachberater” dafür ist. Nach kurzer Erläuterung seines eigenen Werdegangs (oder besser gesagt Leidenswegs) leitete er über zum Vortrag von Herrn Mag. Peter Grill. Herr Grill ist eigentlich studierter Tierarzt und betreibt nach eigenen Angaben ein Institut für Salutogenese. Da er persönlich als Vortragender angekündigt wurde, möchte ich ihn hier auch als einzigen der Beteiligten mit dem korrekten, vollständigen Namen nennen.
Herr Grill führte gleich zu Beginn an, was einer der den Vortrag dominierenden Begriffe werden würde: oxidativer Zellstress. Dieser entstünde durch einen Mangel an Elektronen, der zu einem sauren Milieu im Körper führe. Das Konzept der Übersäuerung ist eine in der Alternativmedizin weit verbreitete, pseudomedizinische Ansicht. Dabei beruft man sich u.a. auf den Medizin-Nobelpreisträger Otto Warburg, zu dessen Zeit man die Ursachen für Krebs aber noch sehr ungenügend verstanden hatte. Nach diesem Konzept könne Krebs nur im sauren Milieu ent- und bestehen, und Elektrosmog bzw. Mobilfunkstrahlen trügen zu einem sauren Milieu im menschlichen Körper bei.
Zu Beginn des Vortrags führte Herr Grill in sein Verständnis der physikalischen Grundlagen des Elektrosmogs und der Mobilfunkstrahlung ein. Wer hier wie ich als Physiker zumindest ein bisschen Grundlegendes über elektromagnetische Wellen erwartet hatte, wurde enttäuscht. Laut Referent würden durch den Stromfluss bzw. Elektrosmog die „Minus-Ionen”, die natürlicherweise in der Luft verteilt seien, gestört, sie würden an den Wohnungswänden etc. kleben bleiben und so aus der Atemluft entfernt und für den Menschen unzugänglich werden. Außerdem führe Elektrosmog zur Zerstörung der „hexagonalen Wasserstruktur” (wohlgemerkt hat flüssiges Wasser keine hexagonale Struktur, diese tritt nur bei Eiskristallen auf). Das so gestörte Wasser könne z.B. keine Giftstoffe mehr aus den Zellen entfernen, weil es diese nicht mehr „packen” könne. An dieser Stelle wurde auf die pseudowissenschaftlichen Konzepte von Masaru Emoto verwiesen, ebenso wie auf die esoterischen Begriffe der Wasseradern oder geopathischen Störzonen, die dem Körper ebenso schaden könnten.
Unwissenschaftliche Angst- und Panikmache
Spätestens ab hier entwickelte sich der Abend in eine Richtung, die getrost als unwissenschaftliche Angst- und Panikmache bezeichnet werden kann. Anhand eines Fotos einer kränkelnden Linde im Hof eines Kindergartens in Wien, in deren Nähe ein Mobilfunkmast steht, wurde gleich mehrfach Angst geschürt: Bedeutungsschwanger wurde erwähnt, dass in dem Hof auch Kinder gespielt hätten, das müsse man sich „erst einmal vorstellen”. Weiters kommt der Vortragende wieder auf die „hexagonale Struktur” des Wassers zu sprechen: Dieses werde durch den Mobilfunk gestört, es könne so nicht mehr durch die Kapillaren des Baumes strömen und dieser würde dadurch geschädigt. Ebenso hätte das fetale Fruchtwasser einer Schwangeren normalerweise eine hexagonale Struktur. Der Wissenschaft „sei bekannt”, dass, wenn diese Struktur verloren ginge, diese Schwangerschaft „ein baldiges Ende” hätte – betroffene Blicke im Publikum.
Überhaupt wurde im Vortrag wiederholt auf angebliche Auswirkungen von Elektrosmog und Mobilfunk auf Fruchtbarkeit, Babys und Kleinkinder eingegangen und sehr bewusst Angst geschürt. Ein bekanntes Bild der Eindringtiefe von Mobilfunkwellen in den Kopf von Kindern wurde gezeigt. Laut Referent dringen diese tiefer ein als bei Erwachsenen, da „die Zellen von Kindern noch nicht ausdifferenziert [sic!]” seien. Ein Review von John R. Goldsmith (1997) wurde zitiert, der laut Referent schrieb, dass „die Fehlgeburtenrate auf 47,7% (!) steige, wenn Schwangere neben einem WLAN-Router sitzen” würden. Der Review bezieht sich auf die Originalarbeit von Ouellet-Hellstrom & Stewart (1993), die ihrerseits auf Umfragedaten von 1989 (!) unter Physiotherapeutinnen basiert. Die Umfrageteilnehmerinnen hatten bei ihrer Arbeit mit sog. Diathermie-Geräten hantiert, Geräte zur Wärmetherapie mittels Mikrowellen. Von WLAN-Routern, die es zu dieser Zeit de facto noch nicht gab, ist in dem Artikel überhaupt keine Rede. Auch auch das Zitat ist falsch: Die 47,7% waren der Anteil an Fehlgeburten, die vor der 7. Schwangerschaftswoche auftraten. Herr Grill wurde kurz etwas emotional, als er Schwangeren und Müttern, die neben ihren Kindern ein Handy oder sonstige Mobilfunkanwendungen nutzen, verantwortungsloses Verhalten vorwarf. Mobilfunk wurde von ihm auch noch für Diabetes und für die Schwächung des Immunsystems verantwortlich gemacht.
Sinnlose Grenzwerte
Auch eine kurze Vorführung eines baubiologischen Messgeräts durch die Herren Grill und H. war Teil der Veranstaltung: Sobald das Handy eine Datenverbindung aufbaue, werde der Messbereich von bis zu 2000 μW/m2 überschritten. Herr Grill erklärte auch, dass es selbst dann athermische Effekte gäbe, wenn das Handy im Flugmodus ist, weil die Apps immer noch Updates machen würden. Es wurde nicht vergessen zu betonen, dass eine menschliche Zelle schon ab 0,0027 μW/m2 (entspricht einer elektrischen Feldstärke von 1 mV/m) auf das elektromagnetische Feld ansprechen würde, da die Zellmembranen „in Resonanz gehen” würden. Vergleichen wir das einmal mit der Leistungsflussdichte, die ein Mensch durchschnittlich aufgrund seiner Körperwärme (37°C, 1,73 m2 Hautoberfläche) in Form von Schwarzkörperstrahlung abgibt: Das sind alleine im FR2-Frequenzbereich von 5G (siehe erster Artikel in der Reihe) 22,6 μW, also um einen guten Faktor 8000 mehr! Als vorgeblich positives Beispiel wurde u.a. Monaco angeführt, wo seit 2015 durch ein fürstliches Dekret der Grenzwert von 1 μW/m2 festgelegt worden sei. Auch dieser absurd niedrige Wert ist freilich falsch, der tatsächlich festgelegte Grenzwert ist um den Faktor 42.000 höher.
2000 Studien über Mobilfunk
Laut Herrn Grill sei das Problem, dass diese „wissenschaftlichen Erkenntnisse” nur sehr spärlich an die Öffentlichkeit kommen würden, dabei gäbe es angeblich 2000 Studien (an anderer Stelle wird von 1600 Studien gesprochen), die beweisen würden, dass 5G schädlich sei. Immer wieder Bezug genommen wurde auf Wilhelm Mosgöller, Mediziner an der MedUni Wien, der mit seiner ATHEM-Studie (ATHEM = ATHermische Effekte Mobilfunk) zum gefeierten Helden der Mobilfunkgegner wurde, obwohl die Studie tatsächlich keinerlei Belege für eine gesundheitliche Auswirkung von Mobilfunkwellen enthält. Sogenannte athermische Effekte werden von Mobilfunkgegnern immer wieder ins Feld geführt, obwohl wissenschaftlich solche Effekte nie nachgewiesen wurden bzw. nach menschlichem Ermessen auszuschließen sind, siehe voriger Artikel in der Reihe. Ebenso wurde die von der EU finanzierte Reflex-Studie erwähnt, die auch am Wiener AKH betrieben (und manipuliert!) wurde, die oxidativen Zellstress und DNA-Strangbrüche durch Mobilfunk gefunden haben will. Eine Studie der Schwedischen Gesundheitsbehörde wurde erwähnt, die erstmals auch Kinder und Jugendliche einbezog und für diese ein stark erhöhtes Gesundheitsrisiko gefunden haben will. Es fiel auf, dass die Studien zwar verbal erwähnt, nicht jedoch auf den Vortragsfolien zitiert oder hergezeigt wurden. Herr Grill fasste das ganze mit den Worten zusammen, dass die Wissenschaft mittlerweile „ganz deutlich” zum Ausdruck bringe, dass Handys „tödlich” (!) seien. Warum macht die Politik nichts dagegen? Der Referent mutmaßte, dass BM Elisabeth Köstinger all diese Erkenntnisse und Studien unterdrückt, weil sie ein gratis Handy bekommen hätte …
Ein Zitat aus einem Schreiben von Ärztekammerpräsident Szekeres wurde vorgelesen: Mehrere höchstgerichtliche Urteile hätten demnach unmissverständlich anerkannt, dass Mobilfunkstrahlung gesundheitsschädlich sei (gemeint ist ein Urteil aus Italien). Herr Szekeres fordert von der Politik Schutz der Bevölkerung vor 5G. Leider wird immer vergessen zu sagen, dass die Ärztekammer eine Interessenvertretung der Ärzte und nicht der Patienten ist. In der Österreichischen Ärztekammer gibt es eine Fraktion, die sich stark gegen Mobilfunk engagiert und vor angeblichen Risiken warnt. Diese Warnungen dienen aber weniger dem Schutz der Bevölkerung als dem eigenen Ego und der Wichtigtuerei der Ärztekammer in dieser Thematik. Was soll man außerdem von einer Ärztekammer halten, die Weiterbildungsdiplome in pseudomedizinischen Verfahren wie der Homöopathie vergibt außer, naja, dass sie die (wirtschaftlichen) Interessen des eigenen Standes vertritt?
Oxidativer Zellstress
Zum Schluss des ersten Teils folgte eine Erklärung des oxidativen Zellstress’: Rote Blutkörperchen nähmen Sauerstoff in der Lunge auf und gäben ihn in Kapillaren im Körper wieder ab; dafür nähmen sie CO2 auf, weil sich das Membranpotential ändere. Elektrosmog jedoch würde die Ladungen nicht nur in der Luft, sondern auch im Körper verändern, z.B. das Membranpotential von roten Blutkörperchen, wenn sie vom Elektrosmog positiv geladen würden. Die Blutkörperchen würden zusammenklumpen und könnten ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Die Konsequenz sei Sauerstoffmangel und CO2-Überschuss, also oxidativer Zellstress – laut Herrn Grill „ganz simpel und rein wissenschaftlich” erklärt. „Was passiert mit Zellen, wenn sie oxidativen Zellstress erleiden?” fragte er. Sie verkrampfen sich, führen zu Verspannungen.
Bemerkenswert war auch, dass der WLAN-Router an der Wand die ganze Zeit während des Vortrags an war (es war nicht erkennbar, ob er von irgendjemandem der Anwesenden genutzt wurde) und der Vortragende einen Funk-Presenter nutzte, um seine Präsentation zu steuern …
Teil 2: Die angeblichen Lösungen
Etwa einen Monat später besuchte ich in Wien eine weitere memon-Veranstaltung, die abermals von Peter Grill abgehalten wurde. Der Vortrag fand im Salon des Seminarzentrums Vitamynd statt, einer großen, alten Villa in der Dornbacherstraße 62 im 17. Bezirk. Beim Vitamynd scheint es sich allgemein um einen Esoterik-Hot-Spot zu handeln, wie ein Blick auf die Veranstaltungen auf der Homepage zeigt.
Gleich zu Beginn musste ich einen kurzen Schock verdauen. Auf dem mit memon-Broschüren und anderem Werbematerial reich belegten Tisch lag ein Formular, das ich für das in Lokalen obligatorische Formular für Corona-Contact-Tracing hielt – bis ich bemerkte, dass es sich um ein Anmeldeformular für die Veranstaltung selbst handelte. Das Spannende war, dass die erste Spalte den Titel „Kontaktiert durch” trug – offenbar sollte man nur zur Veranstaltung kommen, wenn man von jemand anderem angesprochen und kontaktiert wurde. Das war ein Umstand, auf den auch der Referent während seines Vortrags zu sprechen kam und auf den er mich später auch persönlich ansprechen sollte. Offenbar wollten die Veranstalter sicher gehen, dass auch die richtige Klientel kommt und keine kritischen Stimmen die Veranstaltung stören. Nachdem ich meine Kontaktdaten schon zur Hälfte eingetragen hatte, entschied ich mich noch, sie ein bisschen zu verändern, damit die Veranstalter wenigstens nicht meine korrekten Daten in die Hände bekommen. Die Corona-Auflagen wurden jedenfalls nicht sehr ernst genommen: Die einzige Gesichtsmaske, die ich auf der Veranstaltung zu sehen bekam, war meine eigene!
Was meinen Auftrag als Mystery-Shopper anlangte, konnte ich bei diesem zweiten Termin live miterleben, dass es sich tatsächlich um eine Verkaufsveranstaltung handelte. Zwar wurden die memon-Produkte nicht aggressiv wie auf einer Kaffee-Fahrt beworben, dennoch wurden sie aber dezent zum Kauf angeboten. Insgesamt folgte die Veranstaltung folgendem Schema: Erst Angst und Panik vor Elektrosmog, Mobilfunk und 5G schüren, dann die einfache, vermeintliche Lösung dafür anbieten, nämlich memon-Produkte!
Als ich zum Vortrag stieß, war Herr Grill am Ende des ersten Teils angelangt und sprach gerade noch über das Phänomen der Geldrollenbildung, das in der Alternativmedizin, anders als in der evidenzbasierten Medizin, als obligat pathologisch betrachtet wird. Es wurden auch noch weitere Ängste gesschürt: „In der übernächsten Generation werden die weiblichen Nachkommen eine Chance von nur noch etwa 1:8 auf gesunde Eierstöcke haben!”, und der Referent streute Hinweise auf Hoden-, Anal- und Eierstockkrebs ein.
In der Pause vor dem zweiten Teil studierte ich, Interesse vortäuschend, die aufgelegten Broschüren und Zeitschriften und versuchte dabei, den Gesprächen der anderen Personen zu folgen. Ein Gespräch drehte sich um Corona: Auf allen Veranstaltungen seien so wenige Besucher, dabei sei das alles natürlich nur Panikmache! Noch spannender war ein Gespräch, das der memon-Fachberater, Herr H., der auch schon in Haag anwesend war, mit einer Dame auf der Couch gleich neben mir führte. Offenbar ging es um einen Geschäftsabschluss, die Dame wollte memon-Produkte kaufen und sie füllten gemeinsam ein Formular aus. Ganz eindeutig für mich zu hören war, wie von einer Einzugsermächtigung zugunsten von Herrn H. und von einem Betrag von gut 1000 Euro die Rede war.
Nach der Pause die wichtigste Botschaft zuerst: Natürlich gibt es eine Lösung für all diese Probleme! Nun wurden die memon-Produkte vorgestellt. Herr Grill erzählte sein „Erweckungserlebnis”: Ein Freund hatte ihn zu einem memon-Seminar in Wien gebracht, zum Preis von 120 Euro. Der nächste Schritt war dann ein „Aufbauseminar” in Rosenheim, wo auch die Firma memon ihren Sitz hat. Das Seminar war teuer, aber er dachte sich: „einmal probier ich’s noch”. Zuvor hätte er schon sehr viel Geld in andere Technologien investiert, die ihn nicht „erschöpfend befriedigt” hätten, um seine gesundheitlichen Beschwerden (Verspannungen, Herzrhythmusstörungen, Vorhofflimmern, nächtliche Schweißausbrüche, Asthma, etc.) in den Griff zu bekommen. Auf dem Seminar kam er in Kontakt mit den memon-Produkten, er deckte sich damit gleich für sein ganzes Haus ein und nahm sie im Auto mit nach Wien. Schon auf der Fahrt hätte er gemerkt, wie gut es ihm plötzlich ging. Zuhause angekommen fühlte er sich, als wäre er gerade mal zehn Minuten zum Einkaufen gefahren, nicht so schlapp wie sonst nach vier Stunden Autofahrt. Auch erzählte er Anekdoten davon, welche positiven Wirkungen die Produkte in seinem Familienkreis gehabt hätten und wie er PatientInnen mit schweren Herzproblemen oder Krebs im Endstadium in seinem Salutogenese-Institut erfolgreich damit behandelt hätte. Schnarchen, Asthma, usw., alles könne damit erfolgreich behandelt werden.
Herr Grill „erklärte” auch den „Wirkmechanismus” der memon-Produkte. Dazu wurde zuerst ein (esoterisch geprägter Werbe-)Film mit und über Winfried M. Dochow abgespielt, ein Maschinenbauer, der in den 1980er-Jahren die memon-„Technologie” erfunden haben will. Der Wirkmechanismus wurde als Analogie zu Noise-Cancelling-Kopfhörern erklärt: Durch destruktive Interferenz würden alle Frequenzen außer jener des Sonnenlichts und der Schumann-Resonanz (7,83 Hz) ausgelöscht bzw. „harmonisiert”. Die Schumann-Resonanzfrequenzen, die sich in der Erdatmosphäre zwischen Erdoberfläche und Ionosphäre bilden, werden in der Esoterik als die „natürliche” Schwingung der Erde interpretiert, ohne die kein Leben möglich wäre (laut Herrn Grill sind in Weltraumstationen, U-Booten etc. Frequenzgeneratoren installiert, die die Schumann-Frequenzen lokal erzeugen würden). Durch die Harmonisierung würden die Elektronen, die zuvor an Wänden, Decken, Vorhängen etc. „geklebt” seien, wieder in die Luft zurückkehren, könnten wieder eingeatmet werden und der oxidative Zellstress bzw. die Geldrollenbildung ginge zurück. Auch der Feinstaub würde dadurch wieder zu Boden sinken und wir müssten ihn nicht mehr einatmen. Wie dann überhaupt irgendeine drahtlose Kommunikation möglich sein soll, wenn alle anderen Frequenzen durch destruktive Interferenz ausgelöscht werden, blieb dabei schleierhaft. Ein memon-Harmonisierer, der durch Anschluss an die Steckdose einen ganzen Raum harmonisieren könne, wurde durch das Publikum gereicht (angeblich nur ein Muster, ohne die essentiellen „Informationen”). Leider wurde er nicht bis zu mir hinten durchgereicht, sodass ich ihn nicht inspizieren konnte. Laut Recherche eines niederländischen öffentlich-rechtlichen TV-Senders im Jahr 2011 enthält das „Gerät” lediglich eine Leuchtdiode, ein Stück Folie und Sand. Und mit solchen Produkten setzt die Firma memon alleine in Deutschland 3,5 Millionen Euro jährlich um!
Ein Besucher fragte nach: Was macht das Gerät denn mit den Hoch- und Niederfrequenzen? Wie sind denn die Chips am Handy mit dem Strom verbunden (also wie werden sie mit Energie versorgt, die anderen Geräte werden ja an die Steckdose angesteckt)? Die Antworten klangen eher ausweichend, auf die Fragen ging der Referent nicht sehr konkret ein.
Die memon-Produkte wurden mit Auszeichnungen beworben, die sie angeblich schon bekommen hätten: Zweimal der Innovationspreis des Freistaats Bayern (laut der memon-Zeitschrift „Natürlich Gesund” handelte es sich dabei lediglich um „Innovationsgutscheine”), die „Goldene Stimmgabel” (weil die memon-Produkte angeblich auch die Klangqualität von Stereoanlagen verbessern), etc. Herr Grill nannte auch Preise für die Geräte: Um eine typische Wohnung mit memon-Produkten auszustatten, müsse man mit einer (einmaligen) Investition von 2500 bis 3000 Euro rechnen. Da sei aber alles inkludiert, das gesamte „Raumfeld” und das Leitungswasser. Eine Garçonnière könne man schon um 1700 Euro ausstatten.
Ein zentraler Teil der Veranstaltung war eine Live-Vorführung des (angeblich) negativen Effekts von Mobilfunk einerseits und der (angeblich) schützenden Wirkung eines memon-Chips am Handy andererseits auf das Blut zweier freiwilliger Probanden. Zwei Vortragsbesucher wurden ausgewählt und dazu angehalten, zehn Minuten miteinander zu telefonieren. Vorher wurde ihnen je ein Tröpfchen Blut abgenommen, das später mit einem vor Ort aufgebauten Mikroskop analysiert werden sollte. Ebenso wurde ihnen nach einem zehnminütigen Telefonat ohne Chip und ein drittes Mal nach einem weiteren Telefonat mit memon-Chip Blut abgenommen. Eine Dame namens Doris (Name geändert, korrekter Vorname dem Autor bekannt), die das Mikroskop bediente, führte gegen Ende der Veranstaltung das Ergebnis vor. Dieses lautete im Wesentlichen wie folgt: Vor dem Telefonieren war das Blut „schön”, d.h. die roten Blutkörperchen einzeln und nicht verklumpt. Nach dem zehnminütigen Telefonat ohne Chip war das Blut verklumpt, eine deutliche Geldrollenbildung war zu erkennen. In der dritten Blutprobe war das Blut wieder viel „schöner”, die Blutkörperchen lagen einzeln vor. Was Frau Doris genau machte, war für mich aus der Entfernung nicht genau zu erkennen. Jedenfalls ist eine geringe Geldrollenbildung keine krankhafte Abnormität, mit einem starken Mikroskop lassen sich immer Stellen in einer Blutprobe finden, die solche Stapel von Blutkörperchen zeigen oder eben nicht. In der Alternativmedizin wird dieses Phänomen pathologisiert. Ein logischer Fehler des ganzen Tests fiel dabei offenbar niemandem auf: Herr Grill erwähnte zwischendurch, dass der ganze Salon mit einem Exemplar des zuvor durch das Publikum gereichten Produkts „harmonisiert” sei. Weshalb sollte dann überhaupt ein negativer Effekt des Telefonats auf das Blut oder eine Schutzwirkung des Handy-Chips feststellbar sein?
Zum Schluss wurde noch ein Zeitrafferfilm von der Entwicklung einer Zellkultur innerhalb von 24 Stunden unter Einfluss von Mobilfunk aus einer „Studie” von Dartsch Scientific gezeigt. Das Schlussstatement von Herrn Grill lautete: „In Wahrheit passiert an uns und der gesamten Natur ein riesiger Feldversuch!” Aber: „Ich und meine Familie werden diesen Feldversuch überleben!” Frau Doris ergänzte vielsagend: „Verschwörungstheoretiker würden sagen, es handelt sich nicht um einen Feldversuch, sondern um programmierten Zelltod!”
Beide Termine wurden per Diktiergerät am Handy aufgezeichnet, die Aussagen des Referenten kann ich allesamt belegen.
Mein Dank geht an Mario Sedlak, Viktor Weisshäupl, Erich Eder und Ulrich Berger für diverse Beiträge zum Artikel.
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