Es gibt Konflikte wo nicht geschossen wird und darum gehen sie im weltpolitischen Lärm leicht unter. Einer dieser Frozen Conflicts (tiefgefrorene Konflikte), wie sie auch genannt werden, scheint unglücklicherweise im Auftauen begriffen zu sein. An der Waffenstillstandslinie in Nagorno-Karabach ist es zu Kämpfen gekommen. Solche Scharmützel sind dort eigentlich häufig, doch diese scheinen eine grössere Intensität zu haben als frühere.
Was genau passiert ist schwierig zu sagen. Wie so häufig im Kriegsnebel verbreiten beide Parteien sich widersprechende Thesen. Die aserische Seite behauptet, dass Armenien von seinen innenpolitischen Problemen ablenken möchte. Genau das Gegenteil könnte natürlich auch der Fall sein, nämlich dass Aserbaidschan die innenpolitische Konfusion Armeniens nutzt und austestet, wie weit es gehen kann. Beides ist plausibel.
Ich kenne Armenien und Aserbaidschan von eignenen Reisen in der Region. Karabach ist in beiden Ländern nach wie vor ein Tabuthema vor allem wenn man Ausländer und zu Besuch ist (jeder Versuch der Ausgewogenheit wird als Unterstützung der Gegenseite ausgelegt). Ich hatte den Eindruck, dass gerade die jüngere Generation, die nur indirekte Kriegserinnerungen hat, sich mehr und mehr auf absolute Positionen zurückzieht. Alle sagen dass sie natürlich bereit seien zu verhandeln aber auch, dass gewisse Fragen ‘nicht verhandelbar’ seien. Genau da liegt das Problem. Dies wären die Fragen die auf den Tisch müssten. Wie soll ein Kompromiss gefunden werden, wenn ein solcher von vornherein ausgeschlossen wird? Ist nicht die Suche nach Kompromissen eine Kernaufgabe der Diplomatie?
Ich hoffe dass die Lage sich wieder beruhigt und die Vernunft die Oberhand gewinnt. Aber von einer politischen Lösung ist die Region wohl nach wie vor weit entfernt. Im Tiefkühler kann man auf böse Überraschungen stossen.
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