Die Medien berichten kontinuierlich über den Anstieg von Lebensmittelpreisen, von Hungerrevolten und wie diese gerade Entwicklungsländer hart treffen. Schnell sind die Schuldigen ausgemacht. Der Förderung von Biosprit durch die Politik und den Spekulanten hätten wir das zu verdanken. Ein paar wichtige Aspekte gehen in der Berichterstattung jedoch unter. Hier ein Versuch der Differenzierung in Form eines Brainstormings.
Auch auf scienceblogs.de wurde das Thema schon heiss diskutiert (1). Ich möchte hier quer durch ein paar Aspekte erwähnen, die ich in der Berichterstattung vermisse, die meiner Meinung nach aber wichtig sind um das Problem zu verstehen. Hier meine Liste:
1. Hohe Preise für Agrarerzeugnisse sind nicht nur schlecht für Entwicklungsländer. Bauern in diesen Ländern (also Nettoproduzenten) profitieren davon. Die Krise trifft verschieden Regionen sehr unterschiedlich. One size fits all Lösungen müssen vermieden werden.
2. Der Preisanstieg reflektiert vor allem Änderungen auf der Nachfrageseite und nicht im Angebot. Es gab zwar Missernten, es gab aber auch ausserordentlich gute Ernten.
3. Die gegenwärtige Krise könnte eine nur temporäre Erscheinung sein, bis Angebot und Nachfrage wieder zurück zu einem Gleichgewicht finden. Im Agrarsektor bewegen sich die Preise normalerweise verzögert. Die Produktion kann nicht sofort hochgefahren werden, da Pflanzen zuerst wachsen müssen. Man kann davon ausgehen, dass die höheren Preise einen Anreiz bieten, die Produktion zu steigern (à la Schweinezyklus).
4. Der aktuelle Engpass ist, dass sich Menschen das Essen nicht mehr leisten können und nicht dass es zu wenig Nahrung gibt. Es geht um Einkommen. Wer kann, stellt den Speisezettel um (z.B. kein Fleisch mehr), für die mit kleinerem Einkommen wird es noch schwieriger. Dies soll hier nur erwähnt werden, damit hier niemand seinen malthusianischen Pessimismus bestätigt sieht.
5. Die Preise für Nahrungsmittel sind und waren stark verzerrt. Die meisten werden unter dem effektiven Preis auf den Weltmarkt gebracht. Dies dank der grosszügigen Subventionspolitik in Industrieländern. Verzerrte Preise geben schlechte Signale. Es kann gut sein, dass diverse externe Schocks nun etwas ausgelöst haben, das seine Wurzeln woanders hat.
6. Die gestiegene Nachfrage hat viele Gründe. Eine monokausale Begründung um alles auf die Nachfrage nach Biosprit abzuschieben greift zu kurz. Es eignet sich hingegen gut für populistische Argumente im Stile von ‘Menschen in den Entwicklungsländern müssen hungern, damit hier die Bonzen mit ihren 4×4 rumfahren können’. Ganz so einfach ist es nicht. Den grössten Anstieg im Preis sah zum Beispiel Reis.
7. In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil von Ausgaben für Nahrung am Gesamtetat eines typischen Haushaltes in den Industrieländern kontinuierlich geschrumpft. Es ist also einmal mehr eine Krise, wo die Hauptbetroffenen diejenigen sind, die am wenigsten politisches Gewicht haben. Hier wird kaum sehr viel politischer Druck aufgebaut werden.
8. Vielleicht wird tatsächlich viel mit Nahrungsmitteln spekuliert im Moment. Spekulation ist aber fast immer ein Symptom und nie eine Ursache. Spekulation wird nun mal erst interessant, wenn man erwarten kann, dass die Preise stark steigen werden. Sie eignet sich jedoch ausgezeichnet als Sündenbock.
All diese Aspekte müssen bedacht werden, wenn politische Schritte eingeleitet werden, um der Situation Herr zu werden. Ich warte also darauf, dass Politikerinnen und Politiker anfangen über die Milliardengeschenke an die Bauern zu sprechen, die häufig auf Kosten der Entwicklungsländer gehen. Da wäre mal etwas moralische Entrüstung angesagt. Schutzzölle und Landwirtschaftssubventionen eigenen sich aber nicht so gut um sich als Retter der Entrechteten darzustellen. Dann diskutieren wir doch lieber über Spekulanten und grosse Strassenkreuzer. Die Lösung bezahlen sollen immer nur die anderen.
(1) In Mahlzeit hat Stefan vor kurzem einen Eintrag über den Anstieg der Preise bei Nahrungsmitteln geschrieben und auch Geograffitico beschäftigte sich mit dem Thema.
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