Kürzlich hatte ich einen Post über wunderschöne Bilder von Bibliotheken. Marc von der Wissenswerkstatt hat diesen unter dem sinnigen Titel “Kathedralen des Wissens” wieder aufgenommen. Da sich einige Bücherliebhaber hier zu tummeln scheinen, möchte ich diese Metapher wieder aufnehmen und von einem ausserordentlichen Wallfahrtsort für Bibliophile schreiben.
In meiner momentanen Heimatstadt gibt es eine beeindruckende Sammlung an Büchern und Manuskripten die der Öffentlichkeit in einem Museum zugänglich sind. Die Fondation Martin Bodmer ist das Resultat einer lebenslangen Sammelleidenschaft eines gutbetuchten Mannes und es gibt wohl kaum etwas vergleichbares auf der Welt (1).
Eines der Thesenblätter Luthers (Quelle: https://www.fondationbodmer.org)
Es gibt kaum ein grosser Denker oder Schriftsteller, der in diesem Museum nicht in Form einer Erstausgabe vertreten ist. Dante, Cervantes, Chaucer, Poe, Faulkner, Proust, alle sind sie da. Auch naturwissenschaftlich orientierte kommen nicht zu kurz. Das zugehörige Archiv beherbergt wohl die grösste Sammlung an Newton Handschriften. Curie ist ebenso vertreten wie Einstein und eine Erstausgabe von Newtons Principia Mathematica mit handschriftlichen Marginalien von Leibniz.
Eine Repräsentantin der im Museum leider untervertetenen Frauen: Marie Curie (Quelle: https://www.fondationbodmer.org)
Man findet in der Fondation Bodmer ein vollständiges Totenbuch auch dem alten Ägypten. Es gibt christliche Texte die so nah an die Zeit der Entstehung dieser Geschichten reichen wie nur vorstellbar (zum Beispiel eine Mariengeschichte aus dem 3. Jahrhundert des Christentums, ein Johannesevagelium aus dem 2. Jahrhundert und einen Teil des wiederentdeckten Judasevangeliums). Die Deklaration der Menschenrechte nach der französischen Revolution kann man da bestaunen, ein Thesenblatt Luthers und das Edikt von Nantes. Eine Papierrolle die De Sade in der Bastille und im Irrsinn mit klitzekleinen Buchstaben bekritzelt hat. Eine beeindruckende Vitrine beschäftigt sich mit dem Fauststoff und seinen Vorläufern. Unter all diesen wunderbvollen Texten ist eines meiner liebsten Stücke eine der wenigen noch vollständig existierenden Gutenberg Bibeln. Diese stammt aus der Bibliothek des im letzten Jahrhundert vertriebenen russischen Zaren und wurde den Bolschewiki abgekauft, die mit diesem wertvollen Stücks nichts anfangen konnten (man weiss ja, Opium halt).
Die Geschichte der Geburt Christi aus dem 3. Jahrhundert (Quelle: https://www.fondationbodmer.org)
Die Ausstellung ist in einem schönen Bau des berühmten Schweizer Architekten Mario Botta untergebracht. Das Museum ist zum Schutze der Manuskripte nur wenig beleuchtet und unter Tag. Ein Lichtschacht in der Mitte transportiert das Tageslicht in die Dunkelheit des Museums. Die Bücher sind natürlich hinter Glas, aber die Vitrinen sind so angebracht, dass man sowenig von den Texten getrennt ist, wie irgendwie möglich.
Ich vermute, und hier nehme ich Marcs ‚Kathedralen’ wieder auf, ein Besuch in diesem Museum ist für mich was am ehesten dem ähnelt, was viele für sich als ‚religiöses Erlebnis’ definieren. Zu wissen in einem Raum zu sein mit den Handschriften dieser grossen Denker (und leider viel zu wenigen Denkerinnen) die unsere Kultur, unser Denken geprägt haben, hat für mich eine metaphysische Dimension die mich ungemein berührt. Was diese Texte bedeuteten und immer noch bedeuten für unser Weltbild, für Politik und Wissenschaft ist kaum zu erfassen. Diese Bücher erinnern uns daran, dass am Anfang der meisten grossen Ereignissen, Revolutionen und Prozessen das geschriebene stand. Können wir, die in Akademia arbeiten und soviel Zeit mit dem Schreiben, Lesen und Diskutieren von Geschriebenen verbringen, uns etwas motivierenderes und schmeichelhafteres überhaupt vorstellen?
Dieses Museum ist auf jeden Fall eine Reise wert.
(1) Es gibt ein Manuskripten Museum in Eriwan, Armenien. Dies ist aber nicht mit der Fondation Martin Bodmer vergleichbar, das die Manuskripte fast ausschliesslich armenisch sind.
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