Immer wenn ich hier in Baku bin und ein Gesprächspartner meinen Vornamen kennt, kommt unvermeidbar früher oder später die gleiche Frage: „Ali? Are you Muslim?”
Anfangs versuchte ich darauf ausweichend zu antworten, wie ich das auch auf die Gretchenfrage die mir in der Region (Armenien und Georgien) so häufig gestellt wird, da ich niemandem auf die Zehen treten wollte. Ich habe aber irgendwann beschlossen, dass wer so direkt fragt, auch mit einer direkten Antwort rechnen muss auch wenn diese nicht gehört werden will. Ich habe deshalb aufgehört Eiertänze aufzuführen. Wahrscheinlich bin ich es als Schweizer einfach auch nicht gewohnt, nach einer Angelegenheit direkt befragt zu werden, die hierzulande eher als Privatsache gilt (1).
Minarett in Baku
Was mich erstaunt ist die übliche Reaktion auf mein atheistisches Outing, die ich normalerweise erhalte: „But ‚Ali’ is a Muslim name!”. Ich hake dann meist nochmals nach, erkläre wie ich zu meinem Namen komme (mein Vater ist Tunesier) und dass ich, da ich in der Schweiz aufgewachsen, die Bibel wohl besser kenne. Doch ist es für den Fragestellenden zu diesem Zeitpunkt zu diesem Zeitpunkt häufig schon ‚offensichtlich’, dass ich ‚dazugehöre’. Es ist als ob ‚Muslim’ als ethnische und nicht religöse Kategorie aufgefasst wird. Mir ist das unheimlich.
Es gab wohl schon immer eine Vermischung in den Köpfen, ähnlich dem in meinen Augen schlecht definierten Konzept des ‚christlichen Erbe Europas’. Ich bin hingegen überzeugt, dass sich mit der fortschreitenden Politisierung des Islams und dem ‚mit uns oder gegen uns’ Denken dieses nur fast metaphorisch gemeinten ‚Krieges’ gegen den Terror genau ein solche Selbstwahrnehmung unter den Muslimen bestärkt wird. Die Kategorienvermischung ist allgegenwärtig. ‚Muslime’ und ‚Araber’ werden als austauschbare Begriffe verwendet, es sind ‚die’ Islamisten die sich gegen ‚den’ Westen wenden (häufig wird sogar nicht einmal zwischen dem Begriff Islamist und Muslim unterschieden), etc. Es gibt aber den Islam nicht, genau so wenig wie es ‚das’ Christentum gibt (2). Wird die Bezeichnung jedoch so verwendet, wird sie zum identitätsstiftenden Element, womit man sich gegenüber dem andern abgrenzt. Ich befürchte, dass sich genau dieses Denken sich auch in dem eigentlich wenig religiösen Baku in den Köpfen eingenistet hat. Diese unweigerliche Vermischung von Religion und Politik ist meist explosiv und heute eines der Hauptprobleme in der islamischen Welt.
Die Vereinnahmung nur wegen meines Namens zeigt auch wunderbar die Gefahr einer Ethnisierung des Denkens. Eine freie Wahl besteht nicht mehr. Man hängt sozusagen durch eine Blutbande fest. Man ist vorbestimmt zu den einen oder anderen zu gehören, ohne Raum für ein Mittelfeld. Der Defekt ist genetisch. Es gibt nur ein entweder oder und dabei mag ich einerseits anderseits soviel besser.
Was tun? Ich habe jetzt angefangen zurückzufragen. Gretchen kann man damit häufig leicht verunsichern.
(1) Die Schweizer Verfassung spiegelt vielerorts den Versuch, das labile Gleichgewicht zwischen Katholiken und Reformierten politisch zu erhalten. Zu gerne vergisst man hier, dass der moderne Bundesstaat unter anderem aus einem Religionskrieg entstanden ist.
(2) Wer dem widersprechen möchte, soll sich mal mit einem Vertreter der Ostkirche unterhalten und die Gemeinsamkeiten mit einem Anglikaner suchen. Die Gewalt zwischen den Verschiedenen Gruppen die alle die Wahrheit zu kennen glauben, sei es im Irak oder im Libanon oder sonst wo, bestätigen dies wohl auch für die muslimische Welt.
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