In der Schweiz wird oft zwischen EU Gegnern und Euro Turbos unterschieden. Ich gehöre zur letzteren Kategorie. Gewohnt aus einer totalen Minderheitsposition heraus zu argumentieren, möchte ich ein paar Gedanken zum gestrigen Nein in Irland zum Vertrag von Lissabon niederschreiben. Hier also mein Kommentar von draussen vor der EU-Tür.
Zuerst aber kurz zur Geschichte des Lissabon Vertrages. Um die EU fit zu kriegen für die Erweiterung, diskutierte man in Nizza. Das Resultat war etwas überraschend, da die Entscheidungsmechanismen teilweise noch schwerfälliger gemacht wurden (die einzige halbwegs plausible Erklärung dafür ist für mich nach wie vor Übermüdung wegen durchverhandelter Nacht).
Um diesen Schwachstellen abzuhelfen, entschied man, die Institutionen einem Streamlining zu unterziehen und diese Reformen mit dem Projekt einer Verfassung für die EU zu verwirklichen. Die Kombination von verschiedenen und mehrmals revidierten Verträge sollte somit gleichzeitig in einem übersichtlichen Dokument zusammengefasst werden. Diese Verfassung ging jedoch flöten und wurde nach den beiden ‚Nein’ in den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden nicht von allen Staaten ratifiziert.
Nun hat man also die dringendsten Anliegen der Verfassung in den Vertrag von Lissabon verpackt. In der Annahme, dass die Bürgerinnen und Bürger durch den Verfassungsentwurf ihre nationale Identität bedroht sahen, hat man die Referenzen zu Symbolen (Flagge, Hymne, etc.) entfernt. Dies ist weiter nicht schlimm, ich kann diesem nationalen Symbolik-Kram sowieso nichts abgewinnen. Auf mein tägliches Leben (und ich würde behaupten auf das aller anderen ebenfalls) hat das sowieso keinen Einfluss. Neben diesen eher kosmetischen Änderungen, werden in einem traditionellen EU Flickwerk-Vorgehen ältere Verträge damit nur verändert und nicht alle Verträge in einem Dokument neu zusammenfasst (wohl um damit die Wählerschaft nicht zu verängstigen (1)).
Es gibt wohl durchaus Für und Wider den Vertrag (wo gibt es das schon nicht). Ich vermute aber, dass die Ablehnung wenig mit diesen Argumenten zu tun hat. Was ist denn das Problem? Wenn man dem Vertrag von Lissabon etwas vorwerfen kann, dann ist es bestenfalls, dass er zu wenig weit geht und die EU Institutionen und Prozeduren nach einer Ratifizierung immer noch zu schwerfällig ist. Mehr Kompetenzen sollten transferiert werden und die doppelte Mehrheit (Bevölkerung und Staaten) abgeschafft werden. Was spricht den gegen ein einfaches Volksmehr (oder meinetwegen Ländermehr)? Ändert es etwas an der Legitimität wenn der Demos als grössere Gruppe definiert wird?
Warum haben so viele Menschen das Gefühl, dass Souveränität nicht auf der EU Ebene angesiedelt sein darf? Ist der Grund dafür, dass man meint ‚Brüssel’ sei zu weit weg? Dann müsste genau soviel Energie in das Bekämpfen von zentralistischen nationalen Systemen verwendet werden (alors, les Français?) oder es stellt sich die Frage warum die Deutschen Länder bereit sind, sich von Berlin so viele Dinge vorschreiben zu lassen? Sollte man nicht über ein Optimum statt eines ‘entweder oder’ diskutieren?
Ich vermute es gibt zwei Erklärungen für diese Anti-EU Reflexe: Erstens wäre da eine grosse Portion Konservativismus. Die Grundannahme ist, dass alles andere schlechter sein muss als der Status Quo. Zweitens glaube ich, dass Nationalismus ein grosses Problem ist. Ein Bauchgefühl welches im letzten Jahrhundert zweimal Ursprung von Kriegen war, die alles Bisherige in den Schatten stellten. Das politische Europa war ein bis jetzt erfolgreicher Versuch genau diesen Nationalismus zu überwinden. Kann es denn sein, dass diese angeblich so grosse Bürokratie und die Politikerinen und Politiker zu visionär sind? Wir müssen uns endlich von dieser Idee lösen, dass imaginäre Linien auf der Landkarte soviel Bedeutung haben sollen.
(1) Ironischerweise wird als Grund für das irische Nein nun häufig die Kompliziertheit des Vertrages ins Feld geführt.
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