Nach dem irischen “Nein” zum Vertrag von Lissabon liefen hier im Blog die Kommentare heiss. Wir spekulierten über die mögliche Motivation dieses Neins und was dahintersteckte. Nun sind Nachwahlbefragungen da.
Der Irlandkorrespondent der NZZ (mit dem grandiosen Kürzel ali) gibt einen Überblick über diverse Interpretationen, zitiert aber in erster Linie politische Kommentatoren. Diese liefern zwar interessante Analysen aber nicht auf der Basis von systematischen Erhebungen.
Der Ökonomieprofessor Kevin O’Rourke analysiert die Vorwahlbefragungen und sieht ein Muster im Stadt-Land Gegensatz bei EU Fragen.
Die aktuellsten und vermutlich interessantesten Daten findet man auf der Seite der Kommission. Eine Analyse einer bei 2000 Wählerinnen und Wählern gemachten Nachwahlbefragung verrät einem einiges zur Motivation der Nein-Stimmenden (1). Die Motivation den Vertrag abzulehnen scheinen vielfältig gewesen sein (Seite 8). Dies belegt einmal mehr, dass es einfacher ist eine “Nein”-Kampagne zu führen als eine “Ja”-Kampagne. Ich sehe auch meine Vermutungen bestätigt: 22% geben an den Vertrag abgelehnt zu haben, weil sie “nicht genug über den Vertrag wussten und daher nicht für etwas stimmen wollten, dass sie nicht gut verstanden [not familiar with]”. Diese Erklärung ist gefolgt von 12%, die die ‘Irische Identität bewahren wollten’. Mögliche substantiellen Gründe werden nur von kleinen Gruppen erwähnt (z.B. Verlust eines Kommissars oder Verlust der Neutralität je 6%, Vormacht der grossen EU Staaten 4%).
Paradoxerweise sind die Iren trotz des Neins nach wie vor begeisterte Europäer zu sein. Was bedeutet das?
Es scheint mir auf den ersten Blick also ob das irische Volk alles andere als eine klare Nachricht nach Brüssel schicken wollte. Die Nein Kampagne hat offensichtlich verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Argumenten mobilisieren können. Aber man findet immer irgendwas auszusetzen an einem Kompromiss. Verhandlungen sind nicht alles oder nichts, sonder 50-50. Wer was will, muss auch was geben. Dazu kommt, dass die von den Befragten angegebenen Hauptgründe alles andere als substantielle Vorbehalte gegenüber dem Vertrag von Lissabon sind. Nein zu sagen, weil man etwas nicht versteht, ist kein verantwortungsvolles Verhalten und das wischi-waschi Argument der nationalen Identität ist genau was mir so sauer aufgestossen ist. Es ist eine bedeutungslose Projektionsfläche, ein Bauchgefühl aus dem nichts Gutes kommen kann. Vielleicht liegt das Problem doch nicht bei der EU, sondern beim europäischen Stimmvolk.
(1) Post-referendum survey in Ireland – Preliminary results, European Commission, 2008
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