In den letzten Tagen wurde in verschiedenen Medien darauf hingewiesen, dass Umfragen keine Wahlergebnisse sind (ein Beispiel dazu liefert die SZ). McCain selber sagte, dass er Umfragen nicht traue und zuversichtlich sei, das Rennen noch gewinnen zu können. Obwohl Umfragen in der Vergangenheit sehr wohl oft falsch lagen (und falsch liegen werden) sieht es trotzdem schlecht aus für McCain.
Normalerweise finde ich, dass in den Medien nicht genug Skepsis gegenüber Umfrageresultaten existiert. Vermutlich gibt es aber inzwischen ein paar gebrannte Kinder und das Misstrauen wird rein präventiv geübt. So komme ich in die ungewöhnlich Situation, mich gegen übertriebenes (oder zumindest nicht fundiertes) Misstrauen zu wenden.
Worauf bilden die Medien dieses Misstrauen? Die typischen Argumente für (durchaus angebrachte) Skepsis gegenüber Umfragen sind die folgenden:
- Umfragen haben schon in der Vergangenheit versagt. Zum Beispiel bei den diesjährigen Primärwahlen in den USA lagen sie total daneben und falsche Voraussagen bei der Wahl von Bush im Jahre 2000 werden aufgeführt.
- Viele junge Wählerinnnen und Wähler werden bei Telefonumfragen nicht erfasst, weil sie nur ein Mobiltelefon besitzen.
- Umfrage Resultate sind für Obama besonders ungenau wegen des sogenannten Bradley-Effekts. Die Befragten trauen sich nicht zuzugeben nicht für einen Afroamerikaner als Präsidenten stimmen zu wollen.
Mit solchen Argumenten macht man es sich jedoch zu einfach. Meist werden hier Äpfel mit Birnen verglichen oder es wird schlicht ungenau argumentiert.
Erstens sind die Umfragen in den US Primärwahlen nicht vergleichbar. Bei diesen wählen nämlich meist nur Parteimitglieder (die Regeln variieren von Staat zu Staat). Dafür vertrauenswürdige Stichproben zu erstellen hat sich gerade auf Staatenenbene schon immer als schwieriger und ungenauer erwiesen. Bei der Wahl im Jahr 2000 war das Ergebnis sehr knapp und die falschen Voraussagen basierten auf Exit-Polls (also Befragungen nach der Stimmabgabe) und waren meist innerhalb von der angegebenen, aber ach so gerne vergessenen Fehlerquote. Ausserdem versucht man aus solchen Fehlern zu lernen und die Repräsentativität der Stichproben zu verbessern (zum Beispiel durch den Einbezug von Mobiltelefonen). Es ist schon fast frech zu suggerieren, dass die Umfrageinsitute immer wieder die gleichen Fehler begehen.
Zweitens ist der Bradley-Effekt umstritten und viele sagen, dass er verschwunden sei. Es gibt sogar diejenigen die behaupten er hätte nicht mal bei der Wahl von Bradley existiert.
Drittens liegt Obama im Moment bei allen Umfragen vorne. Würde dies nicht die aktuelle Stimmungslage wiedergeben, würde das vermutlich bedeuten, dass alle Umfragen irgendwo einen systematischen Fehler begehen (was auch in der Vergangenheit nicht der Fall war). ‘Viele Umfragen waren in der Vergangenheit falsch’ heisst nicht ‘Regelmässig waren alle Umfragen in der Vergangenheit systematisch falsch’.
Viertens benutzen die verschiedenen Institute auch verschieden Stichproben. Einerseits kann man die unterschiedlichen Resultate durchaus durch ‘statistischen Lärm’ erklären. Es gibt Abweichungen innerhalb der Fehlerquote. Ausserdem sind diese Fehlerquoten nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit präzise. Bei vielen Umfragen wird es so zwangsläufig immer wieder eine geben, die ausserhalb der angegebenen Fehlerquote liegt. In einem guten Post zu dieser Frage auf dem Horse Race Blog, kommt der Autor zum Schluss, dass die Unterschiede vermutlich nicht nur mit diesem ‘statistischen Lärm’ erklärt werden können, sondern die Qualität der Stichproben variiert. Um so unwahrscheinlicher halte ich daher eine systematische Verzerrung zugunsten Obamas.
Fünftens zeigten Umfragen in der Vergangenheit, dass das Rennen gegen das Wahldatum hin knapper wird. Sie zeigten aber auch, dass die Voraussagen genauer werden, da die Unsicherheit wer wirklich wählen geht, sich verkleinert.
Zu guter Letzt sollte man den Einfluss des Elektorensystems nicht unterschätzen. Nicht jede Kombination an Staaten eröffnet für beide Kandidaten die gleichen Perspektiven. Ich habe schon über die Möglichkeiten eines Unentschiedens geschrieben. Schaut man aber die Karte auf der Basis der Umfragen auf Staatenebene an, erscheint ein solches immer weniger wahrscheinlich. Auf pollster.com wurde vor kurzem eine ausgezeichnete Darstellung gepostet. Die Daten sind zwar nicht mehr ganz taufrisch, aber sie illustrieren wie schwierig es für McCain sein wird, auf die nötigen 270 Elektorenstimmen zu kommen.
Quelle: Charles Franklin pollster.com
Die Elektorenstimmen sind als Balken dargestellt. Die Breite ist proportional zur Anzahl Elektorenstimmen des besagten Staates. Geordnet sind die Staaten nach ihrer Unterstützung für die beiden Kandidaten (rechts für Obama, links für McCain). Gelb sind die ‘Wackelstaaten’. Rosa sind die Staaten mit einer McCain Tendenz und hellblau mit einer Obama-Tendenz. Eine Linie zeichnet die 270 nötigen Stimmen ein. McCain muss nicht nur auf jeden Fall Florida gewinnen, er muss auch fast alle Swing-States gewinnen und diejenigen die zu ihm tendieren auch noch behalten.
Einfach zu sagen, Umfragen waren in der Vergangenheit falsch, bedeutet also auf keinen Fall, dass das Rennen noch völlig offen ist. Der Irrtum wäre auf der Basis der jetztigen Werte wohl monumental. Klar, erst am Wahltag wissen wir mehr, aber ‘völlig offen’ ist anders.
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