Regelmässig liest man in den Schlagzeilen, dass die Benutzung von Mobiltelefonen die Entstehung von Gehirntumoren begünstigt oder genau das Gegenteil, nämlich dass sie das Risiko an einem solchen zu erkranken erwiesenermassen nicht vergrössern. Diese widersprüchlichen Aussagen entspringen wohl der medialen Übervereinfachung von wissenschaftlichen Ergebnissen.
Es geht mir hier in erster Linie um die Probleme der medialen Aufarbeitung wissenschaftlicher Studien und den damit einhergehenden Probleme. Weil Diskussionen um methodische Mängel und Risikobewertungen finden keinen Platz in der Berichterstattung der Massenmedien, schon gar nicht wenn es um ein Thema wie Mobiltelefone geht. Das interessiert schliesslich jeden.
In der konkreten Frage geht es um eine gross angelegte Studie die unter dem Titel Interphone durchgeführt wurde. Zwischen 2000 und 2006 wurden 30 Millionen US$ investiert für 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die einen möglichen Zusammenhang in 13 Ländern mit 14 000 Personen untersuchten.
Ein Grund für die widersprüchlichen Meldungen ist wohl, dass die nationalen Teams Resultate frühzeitig veröffentlichten. Dies trotz offensichtlichen methodischen Schwächen des Studiendesigns die sich bei dieser fragmentarischen Publikation verstärkt auswirkten.
Erstens wurden vermutlich die Stichproben ungeschickt ausgewählt (‘Selection Bias’). Man hat nämlich festgestellt, dass diejenigen die sich bereit erklärten an der Studie in der Kontrollgruppe teilzunehmen (also Personen ohne Tumor), eher regelmässige Mobiltelefonbenutzer waren als die die eine Teilnahme ablehnten. Dies verzerrt natürlich die Resultate, da in der untersuchten Gruppe mehr Mobiltelefonbenutzer zu finden sind, als in der Gesamtbevölkerung die diese repräsentieren sollte.
Auch die Definition von ‘regelmässiger Mobiltelefonbenutzer’ kann kritisiert werden. Wer es die letzten sechs Monate mindestens einmal die Woche benutzte, galt als solcher. Dazu kommt, dass die Leute zu ihren Nutzungsgewohnheiten befragt wurden, die bis zu 10 Jahren zurückliegen. Dies ist speziell problematisch, da Personen mit einem Gehirntumor mit fortschreitender Krankheit offensichtlich häufiger falsche Erinnerungen hatten und ihr Mobiltelefonnutzung überschätzten (die Autoren kamen jedoch zum Schluss dass dieses Problem gelöst werden kann1).
Dies hat zu teilweise verwirrenden nationalen Resultaten geführt. So fanden einige nationale Studien einen statistisch signifikanten Zusammenhang, dass regelmässige Benutzung eines Mobiltelefons vor gewissen Gehirntumoren schützt. Auch ‘zeigten’ einige Resultate, dass die Benutzung des Mobiltelefons zwar auf der typischen Nutzungsseite das Risiko für die Bildung von Tumoren vergrössert aber auf der anderen Seite statistisch signifikant senkt! Solche seltsamen Resultate sind vermutlich auf Verzerrungen zurückzuführen.
Studien, die die Nutzungsdaten nicht nur rückwirkend zu ermitteln versuchen, wären vermutlich zuverlässiger (oder zumindest weniger kritikanfällig). Die Studie hätte eigentlich dieses Jahr veröffentlicht werden sollen, aber lässt nun noch auf sich warten, offensichtlich wegen Uneinigkeiten betreffend der Interpretation der Resultate.2
Es besteht ein weiteres Problem bei der Berichterstattung. Was bedeutet ein ‘grösseres Risiko’ eigentlich? In diesem in der britischen Times erschienen Artikel zur gleichen Frage, äussert sich der Autor zum Problem des relativen Risikos. Wenn sich das Risiko verfünffacht klingt das zwar dramatisch. Ein sehr kleines Risiko, bleibt aber auch nach einer Verfüffachung nach wie vor klein. Die Dramatik macht aber die besser Schlagzeile.
Ich weiss immer noch nicht ob ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und Gehirntumoren besteht und dazu kann und will ich mich auch nicht äussern. Wahrscheinlich kann das niemand. Deshalb wäre eine vorsichtigere Berichterstattung angesagt, nicht nur um die Öffentlichkeit korrekt zu informieren und Panikmache vorzubeugen, sondern auch für den Ruf der Wissenschaft.
1 Journal of Exposure Science and Environmental Epidemiology advance online publication 21 Mai 2008; doi: 10.1038/jes.2008.27, ist oben verlinkt.
2 Die meisten Informationen zur Studie stammen aus folgendem Artikel (der muss man fairerweise sagen, entgegen der Prämisse dieses Eintrags sehr gut gemacht ist): The Economist, 25 September 2008, ‘Mobile madness‘
Kommentare (33)