ICJ.jpg

Gestern wurde vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine Klage Kroatiens gegen das heutige Serbien zugelassen. Der Vorwurf lautet auf Genozid während des Krieges 1991-1995. Da diese Meldung normalerweise ausser bei Völkerrechtlern nur als Randnotiz wahrgenommen wird, hier ein paar Zusatzinformationen.

Um es gleich am Anfang festzuhalten, der Gerichtshof hat erst seine Zuständigkeit bestätigt und ist noch nicht auf den Inhalt eingegangen. Die Zuständigkeit ist aber bei Klagen vor dem Gerichtshof meist die erste grosse juristische Schlacht. Grundsätzlich sind alle UN Mitglieder auch Unterschreiber des Statuts des Gerichtshof (welche der UN Charta angefügt ist). Sie müssen aber ihr explizites Einverständnis für die Zuständigkeit geben. Dies kann für einen spezifischen Fall gemacht werden, generell, mit einem anderen Land, für spezifische Themen, in Verträgen und so weiter. Im spezifischen Fall kommt auch noch die Frage der Rechtsnachfolge ins Spiel (ist das heutige Serbien der Nachfolger der Republik Jugoslawien?). Vor dem Gericht können ausschliesslich Staaten klagen.

Das Gericht ist zwar zuständig, aber die Erfolgsaussichten Kroatiens sind nicht sehr gut. Genozid wird zwar gerne als argumentative Keule benutzt, ist aber ein juristisch ziemlich genau definierter Begriff und schwer zu beweisen. Massgebend ist das Übereinkommen vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (pdf auf Deutsch). Diese Konvention definiert den Völkermord folgendermassen:

[E]ine der folgenden Handlungen, begangen in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören”:

a) das Töten von Angehörigen der Gruppe
b) das Zufügen von schweren körperlichen oder seelischen Schäden bei Angehörigen der Gruppe
c) die absichtliche Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die auf die völlige oder teilweise physische Zerstörung der Gruppe abzielen
d) die Anordnung von Maßnahmen zur Geburtenverhinderung
e) die gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe

Es handelt sich bei Genozid um einen Spezialfall von Kriegsverbrechen (wenn keine Genozid festgestellt wurde, schliesst das Kriegsverbrechen nicht aus). Es gilt zu beachten, dass die Absicht einen Genozid zu begehen reicht. Die Aktionen müssen jedoch zielgerichtet sein. Oft ist aber der Beweis eben dieser Absicht schwer zu erbringen. Die Kommandostrukturen müssen klar sein und die Entscheid an oberster Stelle nachgewiesen werden, ansonsten mag vielleicht der Straftatsbestand erfüllt sein, aber er kann nicht dem Staat angelastet werden. Es sind aber Staaten und nicht Personen die Rechtsubjekte sind beim Internationalen Gerichtshof.

Das Gericht hat nun alle Einwände Serbiens zurückgewiesen und sich für Zuständig erklärt. Serbien hatte zwei Einwände1 geltend gemacht: Eine Materielle (Serbien hätte die Konvention erst nach den Ereignissen unterschrieben) und eine zeitliche (Serbien hätte zum relevanten Zeitpunkt einiger Vorwürfe gar noch nicht existiert). Beide wurden vom Gericht zurückgewiesen, da Serbien die Rechtsnachfolge Jugoslawien angetreten habe und eine Inhaltliche Prüfung der Klage noch statt zu finden hat.

Wer sich für die Details interessiert, das vollständige Urteil findet man hier und die zusammenfassende Pressemitteilung hier (beides findet man auch auf Französisch, welches neben Englisch die zweite offizielle Sprache des Gerichts ist).

1 Ein dritter Einwand bezog sich, soweit ich das verstehe, nicht auf den Genozidvorwurf.