ResearchBlogging.orgDer zweite Teil zu den Internationalen Beziehungen von Mittelerde und den grossen Auseinandersetzungen in der Disziplin.

Teil II: Von Zauberern, Menschen und Zwergen

Die zweite grosse Debatte in der Disziplin der Internationalen Beziehungen fand in der Nachkriegszeit statt. Auf einer Seite standen die klassischen ‘Schulen’, die ich schon im ersten Teil vorgestellt habe (klassische Realisten und Liberalen). Deren Ansätze waren in gewissem Sinne an die Methoden historischer Analysen angelehnt. Diese methodische Wahl wurde in den 50er und 60er Jahren von Wissenschaftlern in Frage gestellt, die ein naturwissenschaftlicheres Vorgehen verlangten. Da die die ‘klassischen’ Schulen schon anhand der Elben und Orks vorgestellt wurden, werde ich mich hier ganz diesen neuen Strömungen widmen.

Diese neuen Denkschulen bauten auf der Annahme der rationalen Entscheidungen der Akteure (rational choice theory) auf. Es existierten verschiedene Ansätze um diese Rationalität zu definieren und zu operationalisieren. Für diese Denkweise und ihre Nuancen stehen zuerst einmal die Zauberer. Der ‘pure’ Rationalismus (unbounded rationality) wird von Saruman dargestellt. Er ist ein reiner Nutzen-Maximierer. Er geht davon aus, dass seine Gegenspieler ebenso funktionieren und entscheidet wie ein Schachspieler, welcher Zug für ihn am besten ist. Saruman kommt in der Geschichte zum Schluss, dass man Sauron kräftemässig unterlegen ist und der Ring nicht vor ihm versteckt werden kann. Darum entscheidet er Sauron zu unterstützen um so zumindest die Nummer zwei zu sein. Die Schlussfolgerungen werden anhand der Fakten gemacht und daraus die Konsequenzen gezogen.

Dagegen dient Gandalf als ein Beispiel für die sogenannt begrenzte Rationalität (bounded rationality). Trotz der grossen Diversität in Mittelerde gehen Saruman und Sauron von einheitlichen Präferenzen aus, d.h. sie vermuten bei allen die gleichen Motive. Dies ‘nutzt’ Gandalf (der übrigens im besprochenen Artikel einmal als Chef-Strategiker bezeichnet wird). Was der Gegner (also die Beherrscher der zwei Türme) nicht erwarten, ist, dass jemand den Ring nicht für sich selber nutzen würde, sondern tatsächlich versuchen könnte ihn zu zerstören. Diese Möglichkeit ist für sie schlicht keine Option. Gandalf hingegen ist sich dieser gegnerischen Schwäche bewusst. Der Wille den Ring zu zerstören ist ‘materiell’ eben schwer begründbar und darum liegt diese Präferenz jenseits der Vorstellung der dunklen Mächte.

Eine weitere Richtung in der rational choice Theorie sind die Neorealisten. Diese betrachten wie die klassischen Realisten den Staat auch als kleinste Einheit. Sie sehen aber im Staatensystem den dominanten Faktor. Gemäss den Neorealisten ist die anarachische Struktur des Staatensystems dominant. Jeder Staat ist ständig in existenzieller Not in einer Welt von fressen und gefressen werden, in einer Welt in der jeder eines jeden ‘Wolf’ ist. Die taktischen und strategischen Möglichkeiten für die Akteure werden von diesem System stark eingeschränkt, mögliche Züge dienen vor allem dem Überleben.

In Mittelerde sind es die Menschen, die sich in einem solchen System bewegen. Die Menschen versuchen ihre Souveränität zu bewahren ohne unbedingt ihr Territorium ausweiten zu wollen. Jedes Volk ist auf sich gestellt und geht zur Sicherung des eigenen Überlebens strategische und taktische Allianzen ein. Krieg erscheint normalerweise von Aussen aufgezwungen, ein Schicksal das man nicht kontrolliert. Boromir will den Ring für sich nutzen, weil er ihn ihm die einzige Möglichkeit sieht, den Krieg, der kommen muss, zu gewinnnen, trotz der Risiken, die der Ring mit sich bringt. Auch das Reitervolk von Rohan sieht sich als Spielball in einem System, das jenseits der Beeinflussbarkeit liegt und sie misstrauen allem, was von ‘Draussen’ kommt.

Die Ringwraiths (Ringgeister auf Deutsch), ursprünglich auch Menschen, dienen als Illustration eines offensiven Neorealismus’ im Gegensatz zur eben beschriebenen defensiven Variante. Das System ist zwar wie beschrieben, aber von ‘Natur’ aus versuchen sie ihr Territorium zu vergrössern. Sie allierten sich mit dem vermeintlich Mächtigsten und versuchen in diesem von Krieg und Agression dominierten System soviel Macht und Einfluss wie möglich an sich zu reissen.

Eine letzte Strömung wäre der neoliberale Institutionalismus. Vertreter dieser Denkrichtung betonen die Bedeutung von absoluten Gewinnen im Gegensatz zu relativen. Es geht also nicht darum im Vergleich zu anderen besser dazustehen, sondern man ist zufrieden damit, den eigenen Besitz zu vergrössern. Werden also Institutionen geschaffen, die es ermöglichen Betrug zu unterbinden, ist dies ein Schritt Richtung Frieden, da es allen ermöglicht ungestört und auf der Basis von persönlichem Verdienst Reichtum zu akkumulieren.

In Mittelerde stehen die Zwerge für den neoliberalen Institutionalismus. Sie sind mit dem extrahieren von Rohstoffen beschäftigt und versuchen so für ihr Volk den Reichtum zu vergrössern. Die Bedrohung durch die dunklen Mächte bringt die Zwerge in eine ‘natürliche Allianz’ mit den Menschen und den Elben (ich vermute ihre Haupthandelspartner). Trotz der anfänglichen Feindseligkeiten von Gimli gegen den Elben Legolas, zeigt er sich im Verlauf der Geschichte als sehr pragmatisch und befreundet sich gar mit dem Elben. Die gegenseitige Abhängigkeit (oder hier vielleicht eher Nutzen) ist wichtiger als ideologische Rivalitäten. Aus dem gleichen Grund wird Gimli auch zum Bewunderer von Galadriel der Elbenkönigin. Diese Gegenseitige Abhängigkeit schafft also kein Gefühl der Bedrohung oder Verletzlichkeit, sondern schafft Kooperation.

Teil I: Von Elben und Orks
Morgen folgt Teil III: Von Hobbits und Ents

Abigail E. Ruane, Patrick James (2008). The International Relations of Middle-earth: Learning from International Studies Perspectives, 9 (4), 377-394 DOI: 10.1111/j.1528-3585.2008.00343.x

Kommentare (2)

  1. #1 Arno
    Dezember 18, 2008

    Wie sehr sind diese Denkschulen eigentlich normativ bzw. axiomatisch bzw. deskriptiv?
    Und gibt es Metatheorien fuer den axiomatischen Aspekt, wo man versucht zu beantworten, wie Staaten, die verschiedenen dieser Theorien folgen, mit einander interagieren?

  2. #2 ali
    Dezember 18, 2008

    @Arno
    Ich vertröste mal kurz noch auf den nächsten Teil und werde dann antworten, dann muss ich weniger ausholen.

    Fürs erste mal soviel: Einige Strömungen einiger dieser ‘Denkschulen’ haben durchaus normative Elemente (mehr dazu morgen). Wenn ich dich richtig verstehe was du mit ‘axiomatisch’ meinst (und ich bin mir da nicht ganz sicher) würde ich mal sagen, dass ist wohl was sie (zumindest grob gesehen) unterscheidet. Sie gehen von unterschiedlichen Grundannahmen zur ‘Realität’ aus (unterschiedliche Axiome sozusagen). ‘Deskriptiv’ sind sie eigentlich alle nicht, denn sie versuchen ja zu erklären, nicht nur zu beschreiben.

    Es gibt schon Arbeiten, wie gewisse Denkschulen die Politik beeinflusst haben. Aber der Einfluss ist beschränkt, daher würde ich nicht von einer ‘Metatheorie’ sprechen (und es handelte sich ausserdem meist um Kritik von konstruktivistischer Seite). Die zwei Haupteinflüsse die mir in den Sinn kommen wäre einerseits die sogenannte ‘Democratic Peace’ Theorie die die US Aussenpolitik nach wie vor stark beeinflusst (‘Demokratien führen keinen Krieg gegeneinander’) und (Neo-)Realismus (und somit Rational Choice) wenn immer es um Nuklearwaffen ging im Kalten Krieg. Alles andere ist kaum der Rede wert.

    Aber ich komme vielleicht nochmals darauf zurück wenn die Serie abgeschlossen ist und alle vorgestellt (vielleicht brauche ich dazu aber noch eine kleine Erinnerungshilfe 😉 ).