Der dritte Teil zu den Internationalen Beziehungen von Mittelerde und den grossen Auseinandersetzungen in der Disziplin. Heute: Warum die Hobbits Konstruktivisten und die Ents Marxisten sind.
Teil III: Von Hobbits und Ents
Die im zweiten Teil beschriebenen Strömungen, die die ‘Verwissenschaftlichung’ der Internationalen Beziehungen vorwärts treiben wollte, wurde wiederum in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderst vermehrt in Frage gestellt. Wie dort schon beschrieben, gingen diese Denkschulen von objektiv feststellbaren Fakten aus. Das solche vermeintliche Fakten konstruiert sein könnten und ‘weicher’ sind als es zu sein scheint und dass diese ‘Fakten’ vielleicht unterschiedlich wahrgenommen werden, abhängig von dem eigenen Standpunkt und Background, dies waren Fragen die nun von Konstruktivisten und in den ‘Kritischen Studien’ (Critical Studies) gestellt wurden.
In Tolkiens Trilogie stehen die Hobbits (und allen voran Frodo) für die konstruktivistische Denkweise. Konstruktivisten sehen zum Beispiel in Konflikt und Unsicherheit eine soziale Konstruktion und keine objektive Realität. Dies steht im krassen Gegensatz zu einem grossen Teil der Literatur des Kalten Krieges, wo vieles über rationale Entscheidungsfindung auf der Basis von objektiver Information analysiert wurde. Die Hobbits scheinen keine Regierung oder Zentralgewalt zu haben, trotzdem befolgen sie Gesetze und Regeln und führen keine Kriege. Sie sind rein auf Agrar- und Viehwirtschaft ausgerichtet. Sie leben also friedlich in einem quasi anarchischen System (ähnlich dem der Staatengemeinschaft). Sie scheinen sich nicht gegenseitig bedroht zu fühlen und befolgen Regeln, weil dies eben ihren sozialen Normen entspricht. Die vier Hobbit Helden beweisen ja auch, dass ihr Volk sich durchaus verteidigen könnte, wenn es notwendig ist. Frodo und seine Freunde werden in einen Strudel von Ereignissen hineingezogen die in ihrem Ausmass weit über den kleinen Raum des Shires ausgeht. Sie müssen entsprechend ihre Wertehaltungen anpassen. Dies ist ein Beispiel, wie auch ein ein konstruiertes Wertesysteme durchaus auch gewissen externen Zwängen unterliegt (also nicht zwangsläufig alles “konstruiert” ist) und hat ebenfalls seine Parallelen mit einer konstruktivistischen Sicht der Staatenwelt.
Die Ents stehen für die Critical Theory, eine Gruppe, die wohl am besten als Sammelbegriff mit vielen sehr unterschiedlichen Strömungen zu sehen ist (häufig wird auch der Konstruktivismus dazu gezählt). Vertreter der ‘Kritischen Theorie’ zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie Annahmen des wissenschaftlichen Mainstreams kritisch hinterfragen aber theoretisch nicht einfach einzuordnen sind. Die Ents sagen entsprechend, dass sie ‘auf niemandems Seite’ seien. Die ganze Umweltthematik die man in Sarumans Abholzen des Fangorn Waldes hineinterpretieren kann, passt sehr gut zu den marxistische inspirierten Theorien in Internationalen Beziehungen. Die mächtigen nutzen die schwächeren, peripheren Gruppen aus und extrahieren deren Ressourcen. Die Ents sind also nicht interessiert am ‘grossen Krieg’ des Guten gegen das Böse, sondern fokussieren auf marginalisierte Gruppen. Viele Vertreter der ‘Kritischen Studien’ setzen sich auch dafür ein, dass die Theorie normativer sein soll, dass man sich auf die Seite der verletzlichen Gruppen stellt, wie die Ents sich für die Bäume stark machen. Dass es durchaus Potential für Zusammenarbeit mit Rationalisten gibt, zeigen die Ents ebenfalls. Um den Wald zu retten und Saruman zu bestrafen, sind die Ents am Ende dazu bereit, sich an der Seite der freien Völker gegen Saruman und seine Orks aufzulehnen und ihren Teil zum ‘grossen Krieg’ beizutragen.
Teil I: Von Elben und Orks
Teil II: Von Zauberern, Menschen und Zwergen
Morgen folgt: Epilog
Abigail E. Ruane, Patrick James (2008). The International Relations of Middle-earth: Learning from International Studies Perspectives, 9 (4), 377-394 DOI: 10.1111/j.1528-3585.2008.00343.x
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