ResearchBlogging.orgDer vierte und letzte Teil zu den Internationalen Beziehungen von Mittelerde. Es wird Zeit nach all den Einträgen von zusammengefasst schon fast Tolkienschen Ausmass Bilanz zu ziehen.

Epilog: Feminismus und Schlussfolgerungen

Der besprochene Artikel von Ruane und James geht in einem zweiten Teil auf die drei Wellen feministischen Denkens in den Internationalen Beziehungen ein und ordnet diese jeweils einer Frauenfigur im Herr der Ringe zu.1 Ich werde darauf aus drei Gründen nicht eingehen: Erstens kenne ich die Thematik viel zu wenig, als dass ich sehr viel sinnvolles dazu beitragen könnte. Zweitens denke ich wäre es eine Überbetonung dieser Strömungen im Verhältnis zum Raum den feministische Studien in Internationalen Beziehungen effektiv einnehmen. Es bleibt zu betonen, dass dies keine inhaltliche Wertung sein soll, sondern nur eine Konsequenz davon, dass ich vermute, dass die meisten Lesenden hier nicht vom Fach sind. Drittens und damit wäre ich bei der eigentlich Kritik des Papiers angelangt, scheint mir der Zusammenhang mit dem Feminismus zu sehr konstruiert und die Beispiele weniger intuitiv als die für die grossen Debatten in der Disziplin.

Dies hängt zweifelsohne auch damit zusammen, dass weibliche (und vor allem starke weibliche) Figuren in Tolkiens Romanen rar sind und ein eher randständiges Dasein fristen.2 Dies halte ich für denkbar ungeeignet um Feminismus zu vermitteln, ausser natürlich man sucht nach negativen Beispielen.

Dies ist eine Kritik, die man generell an der Idee, die Denkschulen anhand von Mittelerde im Vorlesungssaal zu vermitteln, anbringen könnte. Die Beispiele scheinen manchmal etwas gesucht und überinterpretiert. Zum Beispiel taugen die Menschen eindeutig besser um Neorealismus zu erklären, als das die Zwerge für den Liberalismus dienlich sind. Dies ist in erster Linie durch die Geschichte bestimmt, da man schlicht weniger über die Zwerge erfährt, wenn man die Trilogie liest.

Es besteht zudem das Risiko einer Konfusion zwischen dem Blickwinkel eines Vertreters einer Denkschule und der “Realität” innerhalb eines solchen Paradigmas. Die Menschen leben in einer ‘neo-realistischen’-Welt gemäss dem besprochenen Artikel, hingegen Gandalf analysiert die Welt, wie ein Vertreter des ‘begrenzten Rationalismus’.

Diese Kritiken beziehen sich jedoch auf Schwächen, die jede Vereinfachung und Verbildlichung mit sich bringen wird. Meine Einführung ins Fach damals war nicht frei von solchen Simplifizierungen. Ich bin überzeugt, dass die Originalität und der Reiz mitzuspinnen vielen Studentinnen und Studenten einen anderen Zugang zur Disziplin geben würde. Vielleicht könnten solche Ansätze auch helfen, das Fach vom Mauerblümchen-Dasein weg zu bringen, ein Schicksal welches es nach wie vor in den meisten Ländern des Kontinents hat.

Zum Abschluss möchte ich nochmals eine Idee aus dem Artikel aufgreifen, die mir besonders gut gefiel. Sie könnte einen Beitrag leisten, Studentinnen und Studenten nicht von Anfang an auf die Grabenkämpfe der Disziplin zu konditionieren (oder wie vor kurzem treffend gesagt wurde “I am interested in puzzles not paradigms”). Die Autoren benutzen das Bild des Palantir. Alle beschriebenen Ansätze erlauben einem einen Blick auf eine Fragestellung. Dieser ist jedoch eingeschränkt, man weiss nie welche Informationen einem vorenthalten werden und der Gesamtkontext ist nicht zwangsläufig ersichtlich. Tolkien über die Palantiri im Silmarillion:

Die Steine hatten die Kraft, dass jeder, der in sie hineinblickte, Dinge darin zu erkennen vermochte, die weit in der Ferne lagen, ob an fernem Ort oder in ferner Zeit. Gewöhnlich zeigten sie nur, was sich in der Nähe eines der Geschwistersteine befand, denn jeder der Steine hielt mit jedem andren Verbindung; wer aber von grosser Willens- und Geisteskraft war, konnte lernen, ihren Blick zu lenken, wohin immer er wollte. So waren die Numenorer vieler Dinge gewahr, die ihre Feinde zu verbergen gedachten, und weniges nur entging ihrer Wachsamkeit in den Tagen ihrer Macht.

Ich kann nur hoffen, man wird in Einführungsvorlesungen in Internationalen Beziehungen in Zukunft mehr von Tolkien hören.

11. Der Kampf für formelle Gleichstellung (1850-1950), 2. Kampf für informelle Gleichstellung (1960-1990) und 3. Postmoderner und Postkolonialer Feminismus (1990er).
2Die beiden grossen Ausnahmen sind wohl Éowyn und Galadriel im Herr der Ringe.

Abigail E. Ruane, Patrick James (2008). The International Relations of Middle-earth: Learning from International Studies Perspectives, 9 (4), 377-394 DOI: 10.1111/j.1528-3585.2008.00343.x

Kommentare (6)

  1. #1 Jane
    Dezember 20, 2008

    Danke für diese unterhaltsame Mini-Serie. IB mal anders. Irgendwie schade, dass meine Tage an der Uni gezählt sind…Für solche kreativen “Spinnereien” ist halt nur im “Elfenbeinturm” Platz.

  2. #2 Andylee
    Dezember 21, 2008

    Was mich mehr interessieren würde als die HdR-Interpretation wäre eine “Klassifizierung” aller StarTrek-Rassen nach den gleichen Kriterien. 😉

    …..

    Zum Thema zurück: Interessant wäre es zu erfahren, ob sich “Zwerge” und “Elfen” rein auf Tolkien beziehen oder den allgemeinen Fantasy-Begriff “Zwerg” und “Elf” beschreiben (Tolkien ist zwar schon in sehr großen Teilen sehr nahe am allgemeinen Begriff, aber insbesondere zB bei Zwergen wird vieles nicht erwähnt, was dem ernsthaften Fantasy-Liebhaber und Rollenspieler als unumgängliche Zwergeneigenschaft gilt) 🙂

  3. #3 Chris
    Dezember 22, 2008

    Schöne Kurzserie, hätte mich allerdings über das eine oder andere Schema – sei es aus Mittelerde Sicht oder aus IB Sicht – zur Verdeutlichung gefreut.

  4. #4 ali
    Dezember 24, 2008

    @Andylee
    Ich befürchte bei Star Trek kenne ich mich zu wenig aus. Spock ist aber bestimmt ein Rationalist und Klingonen kaum liberale Idealisten….

    @Chris
    Du hast ja recht. Die Posts wurden aber eh schon länger als von mir ursprünglich geplant. Eine Idee von mir war aber sowieso, diese Mini-Serie wiederzuverwenden und somit als Grundlage zu benutzen, wenn im Einzelfall mal mehr zu erklären ist. Ich werde also hoffentlich darauf zurückkommen.

  5. #5 Andylee
    Dezember 26, 2008

    @ali

    Bei Star Trek gibt es halt sehr sehr viele ganz idealtypische Völker (super-logische Vulkanier, super marktwirtschaftliche Ferengi etc).

    Die unbeantwortete Frage allerdings: Lag der Studie nur die Herr der Ringe-Saga zugrunde, oder wurden auch charakteristika der Völker im rollenspielerischen Sinn berücksichtigt?

  6. #6 ali
    Dezember 26, 2008

    @Andylee

    Fast alles im beschriebenen Artikel bezog sich auf die Herr der Ringe Trilogie. Nur bei den Zwergen hatte ich das Gefühl, dass sich die Autoren noch andere Tolkien-Bücher zur Hilfe nahmen.

    Da die Grundidee der Autoren war, einen Weg aufzuzeigen, wie mit Populärkultur Internationale Beziehungen vermittelt werden könnten, sollte sich auch entsprechend alles auf die Geschichte beziehen, die die meisten kennen (der Film wird explizit erwähnt, die Bücher sind referenziert). Dazu kommt, dass ich immer den Eindruck hatte, dass das Klischee der Rollen-Spiel-Szene in den USA ist, dass dies vor allem von ‘Nerds’ gespielt werden und dass sie ‘uncool’ sind (mir als begeisterter Zocker völlig unbegreiflich). Ein wohl denkbar schlechtes Vehikel um Stoff zu vermitteln.

    P.S.: Ich muss aber auch sagen, dass ich (ohne Statistiken dazu zu kennen) immer den Eindruck hatte, dass Wissenschaftler eher eine Rollenspiel-Vergangenheit haben. Aber vielleicht habe ich da einen Confirmation-Bias…