In einigen Blogs hier wüten Diskussionen in denen Anhängerinnen und Anhänger von Ideen Standpunkte mit Argumenten verteidigen, die naturwissenschaftlich unhaltbar sind. Von Homöopathie über Reinkarnation, von Behauptungen über unser Klima bis zum Abstreiten der Mondlandung.
Die Verfechter, der gelinde gesagt unorthodoxen Weltsicht, scheinen einen fundamental anderen Ansatz zu haben, was Grundannahmen betreffend dem sein sollen, das man gemeinsam als Basis für die Diskussion nehmen könnte.
Mit viel Ausdauer und Geduld stemmen sich hier die Naturwissenschaftler (und eine Naturwissenschaftlerin) und viele Stammkommentatoren gegen eine riesige Brandung von halbverdautem populärwissenschaftlichen Wissen (wie oft wurde schon Quantenphysik bemüht), Glaubensbekenntnisse, abstrusen Argumente und manchmal gar grob beleidigende Rundumschlägen.
Als Sozialwissenschaftler bin ich da manchmal fast ein wenig neidisch. Bei ‘uns’ scheint alles verschwommener, weniger eindeutig. Man kann Dinge vielleicht in Formeln packen, muss dabei aber soviel vereinfachen und Annehmen, dass das Gegenteil häufig trotz allem ebenso plausibel geltend gemacht werden kann. Die am heftigsten geführten Debatten im Fach der Internationalen Beziehungen zum Beispiel, sind leider meist Grabenkämpfe um genau diese Frage: Gibt es sie überhaupt, die Realität?
Auf dem Understanding Society Blog war gestern ein interessanter Beitrag zum Thema ‘Objektivität in den Sozialwissenschaften’ zu finden. Der Autor trägt fünf Thesen zusammen, die in entsprechenden Wissenschaftsphilopsophischen Debatten vorgebracht werden. Die Thesen schliessen sich nicht gegenseitig aus und ich vermute die Liste ist kaum abschliessend.1
- Es gibt soziale Fakten [social facts], die von den Konzepten und Theorien des Wissenschaftlers, der diese aufdecken möchte, unabhängig sind — das heisst, es gibt eine objektive soziale Welt (ontologische Objektivität)
- Es ist möglich, dass eine Theorie betreffend einer gegebenen Auswahl an sozialen Fakten auf der Basis der richtigen Begründungen gut verwurzelt ist (epistemische Objektivität)
- Soziale Fakten sind unabhängig vom Bewusstsein der Teilnehmenden.
- Wissenschaftliches Forschen kann wertfrei und Interessens-neutral sein.
- Wissenschaftliches Forschen tendiert zur Konvergenz auf einen Konsens innerhalb aller Forschenden über die Eigenschaften der Welt. Dies ist ein Resultat von weiterführender empirischer und theoretischer Forschung.
Daniel Little von Understanding Society optiert für die ersten zwei und die fünfte These und betrachtet die dritte als nicht relevant. Mir scheint dieser Ansatz nicht schlecht, gerade weil die Thesen relativ offen formuliert sind. Ich glaube die meisten der zuvor erwähnten fachspezifischen Grabenkämpfe finden aufgrund absoluter Annahmen statt (z.B. Alle sozialen Fakten). Sie unterstreichen auch gut, was die Sozialwissenschaft zur Wissenschaft macht.
Ich finde die Thesen zeigen zudem auf, wo die Probleme liegen mit vielen der Eingangs erwähnten Kommentatoren. Es geht hier zwar um social facts, aber die Fragen zu Objektiviät sind ebenso relevant für diese Diskussionen. Häufig verwerfen diese Personen eine oder mehrere dieser Thesen ohne es explizit zu sagen, kommen aber in der Diskussion immer wieder darauf zurück, um auf der Basis der obigen Feststellungen, ihre Meinung zu untermauern. Vielleicht sollte man vor der nächsten Reinkarnationsdiskussion fragen, welcher der fünf Punkte man zustimmt (nachdem das ‘sozial’ gestrichen wurde), um zu sehen, ob man überhaupt eine Diskussion auf der gleichen Basis führen kann. Vielleicht wäre das ja eine Idee für ein Captcha auf sciencblogs.de.
1Dies ist mein Versuch einer Übersetzung aus einem Gebiet in dem ich selber wenig Kenntnisse habe (Wissenschaftsphilosophie) und die die ich habe, wurde mir auf Englisch vermittelt. Ich bitte also alle des Englischen mächtigen, den Originaltext als Grundlage zu benutzen.
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