calvin.jpg

In der Schweiz kennt man Genf nicht nur als UNO Stadt und Sitz des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, sondern auch als Ort wo die politische Kultur manchmal etwas anders tickt und man sich für das eine oder andere Skandälchen nicht zu schade ist.

Das neuste dieser Skandälchen hat durchaus Unterhaltungswert.

Es gibt hier in der Stadt einen wunderschönen Friedhof. Er gleicht eigentlich mehr einer Parkanlage. Dieser trennt das Gebäude, in dem ich wohne, vom kantonalen Finanzamt (es ist schwer sich die Feststellung zu verkneifen, dass zwischen mir und dem Finanzamt nur ein Friedhof liegt). Im Sommer sitzen häufig Steuerbeamte auf dem Rasen oder auf den Parkbänken, kauen an ihren Sandwichs und blicken auf die letzten Ruhestätten der verstorbenen berühmten Söhne und Töchter der Stadt Genf.

Der Friedhof ist wahrscheinlich nicht nur einer der wenigen seiner Art mit einer eigenen Website, tatsächlich ist man in illustrer Gesellschaft, wenn man in ihm wandelt. Nebst vielen anderen liegen Louis Borges, Ludwig Hohl, Alice Rivaz, Jean Piaget, Fijodor Dostojewskis Tocher Sofija und Jean Calvin dort.

Mir gefällt er der “Friedhof der Könige” (Cimetière des rois) nicht nur, weil er ohne dieses düstere-morbide auskommt, das Friedhöfe häufig auszeichnet. Er ist ein ausgezeichneter Ort um etwas über die Geschichte Genfs zu erfahren. Jedes Grab erzählt einen Teil der Geschichte der Stadt. Es ist zudem ein Ort angenehmer Ruhe, grün und einladend. Doch nun wird diese Ruhe durch einen Entscheid der Stadtexekutive gestört. Sie ist die Instanz, die entscheidet, wer denn seine Knochen auf dem Prestigefriedhof hinter meinem Haus verbuddelt kriegt (die Stadträte selber haben wie die Kantonsräte ein Plätzchen auf sicher).

Nun hat eben dieser Stadtrat beschlossen, die 2005 verstorbene Schriftstellerin Grisélidis Réal auch auf dem Königsfriedhof zu bestatten. Da Problem ist, dass sie nicht nur eine Schriftstellerin war, sondern auch eine Prostituierte (und prononcierte Kämpferin für die Frauen in diesem Gewerbe) und sie verbüsste zudem wegen Handel mit Marihuana eine Gefängnisstrafe (einen Nachruf im britischen Independent findet man hier). Just im Jahr in dem man Calvins 500stes Geburtsjahr feiern möchte (sofern man als Calvinist über ‘feiert’) wurde nun diese Verlegung gutgeheissen. Da heben sich natürlich im nach wie vor calvinistischen Genf ein paar puritanische Augenbrauen, wenn eine Prostituierte neben Calvin zu liegen kommen soll.

Aber es gibt ja auch in der Bibel Präzedenzfälle. Hat sich gemäss Lukas nicht Jesus selbst zum Entsetzen aller von einer Prostituierten die Füsse waschen lassen (Lukas 7, 36-48)? Man wird sich zum Schluss wohl an das Gebot der Nächstenliebe erinnern und dass Grisélidis Réal einiges für ihre nächsten getan hat. Einiges mehr als wohl viele derer die die Augenbrauen ob diesem Entscheid hochgezogen haben. Zumindest die Kirche scheint offiziell keine Probleme damit zu haben, wohl eher ein paar Genfer kleinkarierte.

Ich glaube übrigens der Voraussage der NZZ, dass sich Calvin deswegen auf dem Friedhof der Könige nicht im Grabe drehen wird. Aber vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Es wurde zwar ein diskretes Grab eingerichtet, man weiss aber eigentlich gar nicht genau wo auf dem Friedhof seine Gebeine liegen. Aber Pssst! Nicht weitersagen.

Bildquelle: Wikimedia Commons

Kommentare (1)

  1. #1 Michael Blume
    Januar 15, 2009

    Das ist mal tatsächlich ein Grund, stolz darauf zu sein, dass die Kirche(n) nichts dagegen unternehmen, sondern auch die “Sünderin” (kirchlich?) den Friedhof beziehen lassen.

    Hier in Stuttgart hatten wir den Fall hoch politisch: Der (CDU-)OB Rommel löste einen Aufschrei aus, als er für die Bestattung von RAF-Terroristen auf einem Friedhof der Stadt plädierte. In den Aufruhr sprach er einen (weisen!) Satz, der die Debatte beendete und ihm bis heute angerechnet wird: “Im Tod hört alle Feindschaft auf.”

    Wenn wir an Friedhöfen nicht großherzig denken und fühlen, wann dann?

    Grüße aus Washington

    Michael