Grafik von European Surveillance of Antimicrobial Consumption (ESAC) project
In der Ausgabe des Economist von letzter Woche fand sich eine interessante Kolumne, die eine Verbindung zwischen Handelsliberalisierung und dem Missbrauch von Antibiotika herstellte. Ein interessanter Gedanke, der zu näherer Betrachtung einlädt.
Ausgehend von den Unruhen in Griechenland und den zu erwartenden Auswirkungen der Wirtschaftskrise, spekuliert Charlemagne über die Konsequenzen für zukünftige Handelsliberalisierung. Man muss vielleicht erwähnen, dass Freihandel einer der wichtigsten Postulate ist, die das Wochenmagazin mit grosser Hartnäckigkeit propagiert. Es gibt auch kaum theoretische ökonomische Argumente, die Protektionismus rechtfertigen würden und dies wird vom Economist, der Name verpflichtet wohl, auch immer wieder betont. Nun wird in eben dieser Kolumne spekuliert, ob die Tendenz zur Liberalisierung der letzten Jahre wegen der Krise gebremst werden wird.
Charlemagne stellt eine interessante Korrelation von Protektionismus mit einem völlig anderen Bereich fest: Das unnötige Verwenden von Antibiotika. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einem Nord-Süd Gefälle, mit den nördlichen Ländern, die Antibiotika seltener und gezielter einsetzen (siehe Grafik) als ihre südlichen und mediterranen Nachbarn. Die im Artikel aufgestellte Hypothese ist, dass beides damit zu tun hat, wie gut die Leute in diesen Ländern mit Unsicherheit betreffend der Zukunft umgehen können.
Die Logik wäre folgendermassen: Wer Schwierigkeiten hat, mit Unsicherheit klar zu kommen, wird einerseits eine isolationistische Handelspolitik unterstützen (Jobsicherheit, weniger externe Schocks) obwohl diese ökonomisch sinnvoll wäre. Diese Personen werden aber auch eine Tendenz haben, Antibiotika sozusagen präventiv zu verlangen, auch bei harmloseren Krankheiten oder wie im Artikel beschrieben, gar bei viralen Infektionen. Als Indiz für diese These zitiert Charlemagne Eurobarometer-Daten zu Zukunftssorgen in den den einzelnen Ländern (ich habe die Zahlen nicht rausgesucht, ich glaube ihm einfach mal, dass es wirklich etwas gibt, dass nach Korrelation aussieht).
Mir ist dieser Antibiotika-Graben selber aufgefallen, als ich aus der deutschsprachigen Schweiz ins französischsprachige Genf zog. Charlemagne ist da wohl durchaus auf einer interessanten Spur, ich habe aber gewisse Zweifel, dass die Unsicherheitstoleranz wirklich der Zusammenhang ist. Ich frage mich, ob es vielleicht etwas mit einer grundsätzlichen Erwartungshaltung an Autoritäten zu tun haben könnte.
Wenn ich von der Schweiz extrapoliere, stelle ich zum Beispiel ein unterschiedliches Staatverständnis in den beiden Regionen fest (ich habe jedoch Zweifel ob dies wirklich auf Deutschland oder skandinavischen Länder übertragbar ist). Man erwartet hier im französischsprachigen Raum viel eher vom Staat, dass er die Probleme löst und zwar sofort. So könnte diese Erwartungshaltung auch gegenüber dem Arzt zutage kommen Ein “bleiben Sie zu Hause und trinken Sie Kamillentee” würde selten akzeptiert werden.
Vielleicht hat irgendjemand eine andere plausible Erklärung. Ich bin gespannt.
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