Es reicht schon fast zum Trend und scheint mehr und mehr zur politikwissenschaftlichen Moderescheinung zu werden: Politisches Verhalten, genetisch zu erklären (versuchen).
Jürgen Schönstein von Geografitico hat letzten Sommer schon auf einen Artikel verwiesen, der in der American Political Science Review (APSR) veröffentlicht wurde und eine genetische Veranlagung zur politischen Partizipation gefunden haben will. Dieser war mir zuvor nicht bekannt.
Ein anderer, älterer Artikel, der mir hingegen bekannt war, wurde 2005 ebenfalls in der APSR veröffentlicht. John R. Alford, Carolyn L. Funk und John R. Hibbing stellten darin die These auf, dass politische Orientierung ebenfalls genetische bestimmt ist. Sie testen diese These mit einem Datensatz mit eineiigen und zweieiigen Zwillingen aus den USA (und verifizieren mit Daten aus Australien).
Grundsätzlich finde ich es durchaus spannend, wenn Politikwissenschaftler so über den Zaun zu fressen versuchen. Die implizite Provokation die in diesen Studien mitschwingt, nämlich dass unsere Entscheidungen eben nicht so frei sind, wie wir meinen, halte ich für einen interessanten und plausiblen Ausgangspunkt.
Diese Papers zeigen aber auch die (vorläufigen) Grenzen genau dieses Ansatzes. Dinge wie politisches Verhalten sind vermutlich von extrem komplexen Vorgängen bestimmt und von unzähligen Variablen beeinflusst. Gerade der Artikel von Alford, Funk und Hibbing illustriert dies gut. Erstens wird die gleiche Erklärung schon viel schwieriger in einem politischen System, dass nicht so binär ausgerichtet ist, wie das Westminster Modell. Es gibt nicht einfach Progressive und Konservative, solche Einteilungen können variieren je nach Sachfrage und Land und sind ein definitiorisches Problem. In unterschiedlichen Ländern sind überlappen diese vielleicht auch in gewissen Parteien in anderen nicht. Zweitens, und dies ist der eigentlich Anlass für diesen Post, es ist sehr schwierig, diese Variablen statistisch wirklich zu messen. Es ähnelt der Kritik, die ich hier in einem anderen Kontext auch schon vorgebracht habe. Nun haben in einem Artikel zwei Autorinnen und ein Autor sich der methodischen Grundlage von Alford, Funk und Hibbing angenommen (via The Monkey Cage). Suhay, Kalmoe und McDermott versuchen darin aufzuzeigen, dass in der Zwillingsstudie die Resultate verzerrt sind, weil die Annahme der gleichen Umgebung verletzt würde (Equal Enviornment Assumption) wenn man eineiige mit zweieiigen Zwillingen vergleicht. Die Autoren würden sich ausserdem nur auf Variation konzentrieren, ohne Mechanismen ins Auge zu fassen.
Mich überzeugt die Studie von Alford et al. nicht sehr und das Suhay Papier bestärkt mich darin. Es handelt sich aber zweifelsohne um einen Wachstumsmarkt und es besteht durchaus Potential auf interessantes zu stossen. Vermutlich muss man aber sehr viel differenzierter werden.
Bildquelle: Wikicommons
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