Von meinem Einführungsseminar für die Politikwissenschaften ist mir nicht viel geblieben (es ist nun auch schon einige Jahre her). Ich erinnere mich jedoch sehr gut an eine Übung mit der das Seminar eröffnet wurde und es ist eine Lektion die man nicht genug betonen kann.

Der Assistent, der das Seminar unterrichtete, schrieb ein paar Korrelationen an die Wandtafel. Korrelationen wie

  • Gemässigter Alkoholkonsum in der Schwangerschaft korreliert negativ mit dem später gemessenen IQ des Kindes.
  • Reiche US Bundesstaaten wählen republikanisch
  • Kinder die Margarine konsumieren haben einen höheren IQ
  • Eine intakte Familiensituation korreliert positiv mit schulischen Leistungen eins Kindes

Nun wurden wir gebeten, mögliche Begründungen für diese Aussagen vorzubringen, was wir natürlich gewissenhaft taten. Ist ja auch nicht so schwer. Stolz, die Welt erklärt zu haben, kam dann aber die Enttäuschung: Die Korrelationen sind umgekehrt (oder im letzten Fall nicht vorhanden). Trotzdem kann man plausible Begründungen dafür finden und ist versucht, nicht mehr weiter nachzufragen.

Ich fühlte mich an diese Lektion erinnert, bei der Diskussion die Tobias auf Weitergen losgetreten hatte. Er stellte die Anzahl Publikationen in der online Datenbank gopubmed.org für mehrere Länder in der Region zusammen und stellte die Frage:

Welche politischen oder kulturellen Gründe sind es, die zu einem Versagen der Länder des Mittleren Osten im Bereich der Wissenschaft führen, mit Ausnahme Israels?

Soweit so gut. Was nun aber in den Kommentaren losgetreten wurde, bereitet mir Kopfschmerzen. Die These lautete nun plötzlich, dass die Ursache im Islam zu suchen sei. Verschiedene Behauptungen wurden aufgestellt warum genau (Säkularisierung, der Koran der ‘Wissen vorgibt’, der Islam der den Anschluss an die Moderne nicht geschafft hätte und daher ‘rückständig’ sei). Mein Damen und Herren, ich weiss, dass Vertreter der ‘harten’ Wissenschaften häufig etwas auf die ein bisschen ‘schwammigeren’ Sozialwissenschaften herunterblicken, aber lasst mich das mal festhalten: So arbeiten wir in den Sozialwissenschaften nicht!

Die Diskussion bei Weitergen ist leider versandet, da sich anscheinend die meisten lieber mit der Verbreitung von Klischees begnügen, sich aber nicht wirklich mit den Details auseinandersetzen wollen (man hat ironischerweise in dieser Diskussion mir vorgeworfen nur mit Rhetorik zu hantieren).

Der Verdacht ist gross, dass hier Fakten selektiv herausgepickt wurden, die das eigene Vorurteil bestätigten. Ich habe vermehrt auf das ‘methodisch’ schwache Fundament der obigen solchen Behauptung verwiesen in der Diskussion. Das ist aber zentral, weil dies macht solche Behauptungen nachvollziebar. Weil nicht alles auf eine Formel heruntergebracht werden kann ist Nachvollziebarkeit der einzige Anker für die Debatte.

Ich möchte hier nicht die ganze Diskussion wieder aufrollen aber ein paar allgemeine Festellungen machen:

  • Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Es ist zwar schon fast ein Klischee, aber es muss immer wieder betont werden. Wer eine Kausalität sieht soll diese auch belegen und sie nicht einfach mit einer Korrelation rechtfertigen. Zumindest ein plausibler Mechanismus sollte vorgeschlagen werden.
  • Es gibt andere Variablen die ebenso betrachtet werden müssen. Man kann sich nicht einfach die erstbeste raussuchen und trara! Hier habe ich meine Erklärung!
  • Man braucht eine Art Kontrollgruppe (‘christliche’ Länder, ‘islamische’ Länder ausserhalb der Region, verschiedene Entwicklunsstandards, etc.).
  • Die Auswahl der Fälle ist höchst selektiv. Israel gibt vermutlich mehr Geld für seine Rüstung aus als die erwähnten Staaten. Können wir nun daraus schliessen, dass der Islam im Gegensatz zum Judentum kleinere, billigere Armeen begünstigt?
  • Wenn man Dinge zusammenfasst und vereinfacht und daran führt häufig kein Weg vorbei, dann muss man genau sein in seinen Definition und Begründungen. Was versteht man unter ‘der Islam’ (Sufis, Sunniten, Shiiten, Wahbiten, etc.)? Was ist das gemeinsame abgesehen vom Label? Nur weil man meint zu gefühlsmässig zu wissen was es ist, macht das das Resultat nicht nachvollziehbar.

Statt die Diskussion weiterzuführen, hat nun einer der Diskutierenden und Blogger bei Chronologs (Yoav Sapir von un/zugehörig), einen langen Eintrag geschrieben, in dem er wieder mit den gleiche Fehlern hausieren geht. Leider entsprechen solche Verallgemeinerungen im Bezug auf den Islam durchaus dem Zeitgeist. Es ist frappant, wie im Artikel selbtst, die Widersprüche zu Tage treten. Yoav sagt was er nicht will mit seinem Posting und tut dann weiter unten genau dies trotzdem. Koranzitate mit anschliessend (rhetorischen) Fragen sind nunmal keine Argumente (auch wenn man auf viele unreflektierte Mitnicker bauen kann). Die gleiche Übung könnte man problemlos mit der Bibel machen.

Nichts liegt mir ferner, als den Islam zu verteidigen. Ich finde das meiste dieser Religion ebenso irrelevant oder gar lächerlich, wie das meiste aller anderer Religionen. Ich wehre mich hier gegen das Bild, dass von Anhänger von diversen Sekten gepflegt wird: Die tiefe Überzeugung, dass ihre Religion den anderen irgendwie überlegen ist. Das Problem liegt aber im Konzept selbst. Baufällig bleibt baufällig, ganz egal welche Farbe die Fassade des Hauses hat. Jeder, der sich selber zu einer der unzähligen existierende Sekten zählt, muss sich immer genau fragen, ob er vielleicht nicht befangen ist bei solchen Fragen. Leider werden aber in meinen Augen viel zu wenige Gläubige angehalten, genau dies zu tun.

Aber um wider zur Diskussion zurückzukehren: Yoav insistierte in der Diskussion bei Weitergen, dass er mit Libanon eine Art Kontrollfall hätte, da dieser fast zur Hälfte ‘christlich’ geprägt sei und entsprechend einen höheren Paper Austoss pro Kopf aufweist.

Die andere Aspekte, die du vorgeschlagen hast, haben sich am Testcase “Libanon” als irrelevant erwiesen

Zufälligerweise ist Tobias ein Fehler unterlaufen und es hat sich herausgestellt, dass der Libanon schlechter dasteht, als ursprünglich angegeben und hinter zwei Golfstaaten zu liegen kommt. Nun wäre es doch nicht mehr als konsequent zu sagen, dass der ‘Testfall’ nun eben bestätigt, dass man falsch lag und man die These nochmals überdenken sollte. Ich wartete vergebens auf eine Antwort. Der Libanon war so gesehen wohl tatsächlich ein Testfall. Einer mit dem getestet wurde, wie ernst die Behauptung das Thema ‘wissenschaftlich’ zu diskutieren wirklch war.

Kommentare (42)

  1. #1 Ludmila
    Januar 19, 2009

    Volle Zustimmung wegen der Bibel. Gerade das alte Testament hat so seine Stellen mit Fremdenfeindlichkeit und dem Aufruf bzw. der Verherrlichung von Genozid. Dass diese natürlich gerade zu bestimmten Zeiten gerne verwendet wurden, um das Töten von Andersgläubigen zu töten, ist bekannt. Frauenfeindlich ist das Werk sowieso.

    Heute heißt es dann auf einmal: “Ne, das darf man nicht wörtlich nehmen bzw. im historischen Kontext sehen.” Bzw. sucht sich als Gesellschaft die Teile der Bibel “liebender, gütige Gott” und eben nicht die Teile, die den “patriarchalischen Kriegsgott” zeichnen.

    Aha, die gesellschaftlichen Vorstellungen bestimmen, wie man religiöse Texte wahrnimmt und nicht umgekehrt – wie das anscheinend viele Menschen voraussetzen.

  2. #2 Christian
    Januar 19, 2009

    Zur Paper-Metrik will ich mich gar nicht weiter äußern, da eigentlich von vornherein hätte klar sein müssen, dass eine qualitative Aussage darüber, ob der Islam als ein Gesellschaftssystem oder als Staatsreligion wissenschaftliches Arbeiten behindert oder fördert, ohnehin nur in einer “ceteris paribus”-Situation hätte getroffen werden können, d.h. zwei Staaten mit gleicher Bevölkerungszahl, gleicher Menge an Unis und Studenten, gleichen Budgets für Bildung und Forschung etc. die sich im wesentlichen nur durch die Religion voneinander unterscheiden. Und da ein solches Szenario nicht existiert, hast Du mit Deiner Kritik ja prinzipiell nicht unrecht…

    Einem Punkt muss ich aber entschieden widersprechen: Warum sollte es falsch sein, die Inhalte einer religiösen Schrift zu prüfen und das Verhalten der Anhänger dieser Religion vor dem Hintergrund ihrer eigenen Schrift kritisch zu hinterfragen? D.h. wenn im Koran die Forderung aufgestellt wird, nicht rechtgläubige Menschen zu verfolgen oder zu töten, warum sollte es dann verboten sein, eine solche Passage kritisch zu betrachten und sich zu fragen, ob die Mehrzahl der Muslime dies glaubt oder danach handelt? Nichts anderes aber tut Yoav doch, wenn er Zitate aus dem Koran anführt und laut die Frage stellt, wie die Mehrheit der Korangläubigen denn diese Passagen interpretiert. Natürlich ist das selektives Quote Mining, aber die Frage lautet ja auch nicht, ob die paar Passagen repräsentativ für den Koran sind (sie sind es vermutlich eher nicht), sondern wie die Mehrheit der Muslime diese inhaltlich interpretiert.

    Soviel Religionskritik muss erlaubt sein. Und wo ich ohnehin gerade rummeckere, möchte ich gleich noch anführen, dass ich es für nicht so trivial halte, “die gleiche Übung problemlos mit der Bibel zu machen”, wie Du es ausdrückst. Mir jedenfalls ist unklar, wo in der Bibel und insbesondere im NT die Passagen sein sollen, in denen die Gemeinde dazu aufgerufen wird, aktiv und mit physischer Gewalt gegen Andersgläubige vorzugehen. Selbst Michael Blume, dem ich in Sachen Exegese sicher nicht annähernd das Wasser reichen kann, ist doch kein besseres Beispiel als das der Amalekiter eingefallen, das (1) aus dem AT stammt, (2) heute nicht mehr anwendbar ist und (3) nichts mit deren Religion zu tun hatte.

    Sollte es in der Bibel bzw. im NT tatsächlich ähnlich klare Handlungsanweisungen bezüglich des Umgangs mit Andersgläubigen geben, so sind mir diese nicht bekannt – ich lasse mich aber gern eines besseren belehren…

  3. #3 Fischer
    Januar 19, 2009

    Wobei der Vergleich mit der Bibel meines Erachtens etwas in die Irre führt, weil die beiden Texte einen unterschiedlichen Charakter haben.

    Die Bibel ist ja zumindest tendenziell eher Gründungsmythos als Handbuch mit konkreten Anweisungen. Handlungsanweisungen stammen da eher von Vorbildern und Auslegungen, nach dem Motto “der-und-der hat in der Bibel das-und-das gemacht und solches Verhalten ist gottgewollt”.

    Stimme Christian auf jeden Fall zu: Eine Religion muss sich nach ihren konstituierenden Texten fragen lassen. Dieses ewige Isjaallesnichsogemeint der Religionsapologeten nervt inzwischen.

    Vor allem weil das immer nur dann kommt, wenn’s mal religionskritisch wird. Wenn’s darum geht, anderen Leuten Vorschriften zu machen, dann, ja dann ist es natürlich heiliger Text, den die Ungläubigen bis zum letzten Jota und Strichlein zu respektieren haben.

  4. #4 Bernd
    Januar 19, 2009

    @ Ali schreibt:

    Der Verdacht ist gross, dass hier Fakten selektiv herausgepickt wurden, die das eigene Vorurteil bestätigten. Ich habe vermehrt auf das ‘methodisch’ schwache Fundament der obigen solchen Behauptung verwiesen in der Diskussion. Das ist aber zentral, weil dies macht solche Behauptungen nachvollziebar.

    […]

    Es gibt andere Variablen die ebenso betrachtet werden müssen. Man kann sich nicht einfach die erstbeste raussuchen und trara! Hier habe ich meine Erklärung!

    […]

    Wenn man Dinge zusammenfasst und vereinfacht und daran führt häufig kein Weg vorbei, dann muss man genau sein in seinen Definition und Begründungen.

    Ich stimme Dir völlig zu, möchte aber anhand der oben aufgeführten Zitate noch einmal zwei Aspekte deutlich hervorheben, die für mich eine gute sozialwissenschaftliche Begründung ausmachen.

    (1) Man benötigt eine Theorie, man benötigt Hypothesen, man muss theoretische Konstrukte ordentlich definieren (Konzeptspezifikation) und in etwas Messbares umsetzen (Operationalisieren). Dies alles benötigt man bevor man mit der Datenanalyse beginnt. Alles andere ist Variablensoziologie/-politikwissenschaft, also das ziellose Stochern nach Zusammenhängen (und bei unserer Anzahl an Variablen ist klar, dass man fündig werden wird; auch ein Seitenhieb ans data mining).

    (2) Es muss eine begründete Stichprobenauswahl geben, wir sprechen auch vom Stichprobendesign. Alle Statistik ist hinfällig, wenn die Grundlage nicht stimmt (“Müll rein, Müll raus”).

    Hoffen wir mal, dass mit solchen Beiträgen wie denen von Ali oder auch meinen Kommentaren ab und an deutlich gemacht werden kann/konnte, dass auch die empirischen Sozialwissenschaften (zumindest ein Teil davon [1]) eine ausgefeilte Forschungsmethodologie besitzen, die erfolgreiche Forschung und begründete Aussagen ermöglichen. Wer diesen Kriterien genügt, betriebt (empirische) Wissenschaft und jedwede leidige Dichotomie zwischen ‘soft’ vs ‘hard sciences’ ist hinfällig.

    [1] Ganz so einig sind wir uns doch nicht; für alle sozialwissenschaftlichen Bereiche will ich meine Hände doch nicht ins Feuer legen 😉

  5. #5 Till
    Januar 19, 2009

    Und wo sollen bitte Theorie und Hypothesen herkommen? Irgendwie wird hier die eine Seite des Methodendreiecks unterschlagen. Denn entweder geschieht die Theorie- und Hypothesenbildung “aus dem Bauch heraus”, oder sie wird zum Teil des wissenschaftlichen Prozesses — dann sind wir aber im qualitativen Paradigma.

  6. #6 Ludmila
    Januar 19, 2009

    @Fischer: Na komm. Die 10 Gebote und die Essvorschriften und die Vorschriften, wie man denn genau wo zu opfern hat, sind schon sehr eindeutig und mit wem man wann Sex haben darf (Mann mit Mann= böse) und wann nicht (Frauen während der Regel = unrein). Auch wenn sich an die Eßvorschriften auch nur orthodoxe Juden halten.

    @Christian:

    Ach und was die kriegerische Geschichte im Alten Testament geht. Ich werfe außerdem das Buch Joshua und die Eroberung Jerichos mit ein und eben diverse Kämpfe als Moses seine Schäfchen ins Gelobte Land führte: Sprich Eindringlinge die einheimische Bevölkerung massakrierte, weil deren Gott es so befahl. Und immer wird beschworen, was die Isrealiten so besonders macht: Gottes Auserwähltes Volk. Das darf eben alles 😉

    “Aber in den Städten dieser Völker hier, die dir der HERR, dein Gott, zum Erbe geben wird, sollst du nichts leben lassen, was Odem hat, sondern sollst an ihnen den Bann vollstrecken, nämlich an den Hetitern, Amoritern, Kanaanitern, Perisitern, Hiwitern und Jebusitern, wie dir der HERR, dein Gott, geboten hat, …”

    “5. Moses 20, 15-17”

    “Er, der HERR, dein Gott, wird diese Leute ausrotten vor dir, einzeln nacheinander. …”

    (5. Mose 7,22)

    “Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten!”

    (Psalm 139,19)

    So zieh nun hin und schlag Amalek und vollstrecke den Bann an ihm und an allem, was es hat; verschone sie nicht, sondern töte Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.”

    (1. Samuel 15,3)

    Nach unserem Dafürhalten waren das Kriegsverbrechen. Klar, haben damals so ziemlich alle Eroberer mit den Besiegten umgegangen. Das “Wehe den Besiegten der alten Römer” kommt nicht von ungefähr. Aber genau das ist doch der Punkt. Noch vor ein paar Jahrhunderten fand da niemand was dabei bzw. nahm sich solche Geschichten zum Vorbild. Heute eben nicht, weil sich die Gesellschaft auch dank der Aufklärung weiterentwickelt hat.

    Im Übrigen Christian erinnerst Du Dich sicherlich an die Taliban und die zerstörten Buddha-Statuen. An dieser Bibel-Stelle hätten die ihre wahre Freude:

    “Ihre Altäre sollst Du umstürzen und die Steinmale zerbrechen und ihre heiligen Pfähle umbauen; denn Du sollst keinen anderen Gott anbeten. etc.”
    2. Moses 34,13-17

    Erst die einheimische Bevölkerung vertreiben und dann deren religiösen Bauwerke zerstören, na so haben wir das gerne 😉

    Jesus wird auch zugeschrieben, dass kein Iota der alten Schriften durch seine Lehren relativiert werden soll.

    Es war letztendlich Paulus, der den Weg zur Weltreligion geebnet hat, in dem er entschieden hat, dass man eben nicht Jude sein muss, um Christ zu sein und sich daher nicht an das AT halten muss. Damit fielen natürlich auch diese ganzen unbequemen Verbote und Gebote weg und das AT wurde zum reinen Geschichtenbuch umgedeutet. Man stelle sich vor: Samstag dürfte kein Essen gekocht werden und kein Schinken!

    Und wer würde heute ernsthaft seine Töchter zur Vergewaltigung ausliefern wollen, damit seine männlichen Gäste unbehelligt bleiben wie weiland Lot und wer möchte schon einen Gott anbeten, der sich gerne an den Kindern der Feinde vergreift? (Stichwort: Erstgeborene, Ägypten, Moses)

    Wenn Christen selbst bei Bedarf behaupten “Isjaallesnichsogemeint” und “an diesen Teil meines heiligen Buches halte ich mich jetzt nicht, weil der Paulus gesagt hat, das muss ich nicht”, dann muss man das gleiche Recht jeder Religion zubilligen. Oder sich selbst den selben Standards unterziehen.

    Fundamentalisten finden in jeder “heiligen Schrift” Futter für ihr aggressives Durchgeknalltsein.

  7. #7 Bernd
    Januar 19, 2009

    @ Till, 19.01.09, 19:08 Uhr schreibt:

    Und wo sollen bitte Theorie und Hypothesen herkommen? Irgendwie wird hier die eine Seite des Methodendreiecks unterschlagen. Denn entweder geschieht die Theorie- und Hypothesenbildung “aus dem Bauch heraus”, oder sie wird zum Teil des wissenschaftlichen Prozesses — dann sind wir aber im qualitativen Paradigma.

    Es ging mir doch gar nicht darum, den gesamten sozialwissenschaftlichen Erkenntnissprozess nachzuzeichnen. Ich stimme Dir natürlich zu und auch dem Hinweis, dass qualitative Methoden u.a. bei der Generierung von Hypothesen wertvolle Dienste leisten können. Mir ist nur nicht ganz klar, warum Du den gesamten Prozess der Theorienbildung im “qualitativen Paradigma” verorten willst.

  8. #8 Fischer
    Januar 19, 2009

    @Ludmila:
    Ich weiß gar nicht was du hast. Schließlich bestätigen deine Zitate nur meine These. 😉 Ich hab ja nicht behauptet, dass es gar keine expliziten Vorschriften in der Bibel gäbe. In deinen Zitaten geht es ja gerade darum, was Gott zu Moses sagt und was irgendwelche biblischen Figuren vorbildhaft tun und lassen. Daraus können dann Handlungsanweisungen abgeleitet werden. Das muss man aber meistens erstmal tun.

    Gerade für die Mann-mit-Mann-Geschichte gibt es meines Wissens überhaupt keine explizite normative Aussage, sondern Bibelstellen, die in die Richtung eines Verbots interpretiert werden. Die Botschaft der von dir zitierten Lot-Geschichte ist ja auch erstmal nur, dass Pädophile besser sind als Schwule.

  9. #9 buchstaeblich
    Januar 19, 2009

    Äh:

    “Kinder die Margarine konsumieren haben eine höheren IQ “:

    Hat damals eigentlich irgendwer aufgezeigt mit der Frage: “Einen höheren IQ als wer?”?

  10. #10 Tobias
    Januar 19, 2009

    @buchstaeblich:
    Höher als die Margarine.

  11. #11 Ludmila
    Januar 19, 2009

    @Fischer: Äh dürfte ich Dir mal diese Bibelstelle reichen 😉

    Leviticus 18, 22

    “Du darfst mit einem Manne keinen geschlechtlichen Umgang haben wie mit einer Frau; es wäre ein Greuel.”

    Leviticus 20, 13

    “Wenn ein Mann sich mit einem anderen Mann wie mit einer Frau vergeht, haben beide Schändliches begangen. Sie sollen mit dem Tode bestraft werden; es lastet Blutschuld auf ihnen.”

    Na, das sind schon Gebote bzw. alte Gesetzestexte, die christliche Fundamentalisten bis heute gegen Homosexuelle verwenden. Der Papst hat sich das mit den Homosexuellen ja nicht ausgedacht. Der Rest der Welt hat sich nur entschieden, diese rückständigen und menschenverachtenden Ansichten wie so viele anderen zu überwinden.

    Und das Neue Testament stellt Atheisten in eine Reihe mit Pädophilen:
    . Kor. 6,9-10

    “Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte keinen Anteil am Reiche Gottes haben werden? Gebt euch keiner Täuschung hin! Weder Unzüchtige, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer, noch Räuber werden Anteil haben am Reiche Gottes.”

    1. Timotheus 1. 9-10

    “Wir wissen ja, das Gesetz ist gut, wenn einer es richtig anwendet in der Erkenntnis, dass für einen Gerechten das Gesetz nicht da ist, wohl aber für gesetzlose und widersetzliche, für gottlose und sündhafte, ruchlose und gemeine Menschen, Vater-und Muttermörder, Mordbuben, für Unzüchtige, Knabenschäinder, Menschenräuber, Lügner, Meineidige und was sonst noch der gesunden Lehre widerstreitet.”

    Ach und solche Stellen aus dem Neuen Testament muss man als moderne Frau nicht wirklich anerkennen:

    Paulus, Epheser 5, 22-24
    Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie dem Herrn. Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Gemeinde ist, die er als seinen Leib erlöst hat. Aber wie nun die Gemeinde sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen ihren Männern unterordnen in allen Dingen.”

    P.S.: Ich will hier nicht die Bibel schlecht reden, aber es kann doch nicht sein, dass man den Koran kritisiert und dann meint “aber die Bibel ist etwas gaaaaanz anderes” . Das hieße mit zweierlei Maß messen.

  12. #12 buchstaeblich
    Januar 19, 2009

    Ludmila,

    aber augenscheinlich stört sich das NT wohl nur an Pädophilen, die es mit Jungs haben:

    ” … noch Knabenschänder … “,

    Mit Pädophilie, Inzest und Mädchen hat die Bibel wohl kein Problem. Dazu fällt mir auch das AT und die Geschichte um die Töchter von Herrn Lot und der salzigen Gattin ein.
    https://www.bibel-online.net/bibel_3/01.1-mose/19.html

  13. #13 ali
    Januar 19, 2009

    Nur noch kurz morgen dann mehr.

    @Christian

    Zuersteinmal bin ich froh, dass wir bei der Grundaussage meines Posts uns zur Abwechslunng einig sind 🙂

    Nichts anderes aber tut Yoav doch, wenn er Zitate aus dem Koran anführt und laut die Frage stellt, wie die Mehrheit der Korangläubigen denn diese Passagen interpretiert. Natürlich ist das selektives Quote Mining, aber die Frage lautet ja auch nicht, ob die paar Passagen repräsentativ für den Koran sind (sie sind es vermutlich eher nicht), sondern wie die Mehrheit der Muslime diese inhaltlich interpretiert.

    Wenn das die Frage wäre hätte ich auch kein Problem mit. Aussagen wie

    Wie plausibel ist es denn, die Verse so zu verstehen, wie sie wirklich geschrieben stehen?

    Offensichtlich sehr plausibel. Von Missbrauch dieser Verse durch Allahs Kämpfer kann anscheinend keineswegs die Rede sein.(…)
    Wird die Gewalt von Allahs Kämpfern hineininterpretiert? Oder steckt die Gewalt schon im Text drin?

    Abgesehen von vagen Behauptungen (“In manchen Ländern dieser Erde gehört das zum schulischen Lehrprogramm”) wird die Frage der Interpretation nicht wirklich angepackt.

    Ludmila hat einige schönen Passagen aus dem AT rausgesucht. Du kannst jetzt natürlich auch sagen das NT sei viel wichtiger, aber da wären wir wieder beim Rosinenpicken. Ausserdem zeugt es auch nicht gerade von viel Mitgefühl wenn alle ewiger Tortur ausgesetzt werden, falls sie Jesus nicht folgen (Matthäus 25:41). Auch da hat Ludmila weiter schöne Beispiele angeführt.

    @Fischer
    Völlig einverstanden was

    Eine Religion muss sich nach ihren konstituierenden Texten fragen lassen.

    anbelangt. Aber dann kein, ‘das AT ist uns nicht so wichtig’ oder ‘das ist nicht so gemeint’ von niemandem. Dann stehen eben alle mit abgesägten Hosen da.

    Wobei der Vergleich mit der Bibel meines Erachtens etwas in die Irre führt, weil die beiden Texte einen unterschiedlichen Charakter haben.

    Die Bibel ist ja zumindest tendenziell eher Gründungsmythos als Handbuch mit konkreten Anweisungen. Handlungsanweisungen stammen da eher von Vorbildern und Auslegungen, nach dem Motto “der-und-der hat in der Bibel das-und-das gemacht und solches Verhalten ist gottgewollt”.

    Das halte ich für Schönfärberei. Es gibt Christen die halten sich an einige Regeln, an andere (häufig zum Glück) nicht, genau so wie das mit den Muslimen auch so ist. In allen Gruppen gibt es die, die das Gefühl haben, dass ‘Gottes Wort’ nicht genüge getan wird. Zu sagen die Texte seien ‘anders im Charakter’ halte ich für irreführend. Trotz Bergpredigt hat auch das Christentum von den Kreuzzügen bis zur Lord’s Resistance Army nicht nur ‘die-andere-Wange’ hinhalten inspiriert. Was ist da der Unterschied zum Handbuch?

    Die Texte an und für sich sind untauglich um irgendwas mehr zu sein als ein Gründermythos, trotzdem liegt es wohl in der Natur der Sache, dass mehr darin gesehen wird. Für Unmenschlichkeiten die aus diesen Schriften dann abgeleitetet werden, kannst du nicht die Texte selbst verantwortlich machen. Das wäre ja wie ‘ich habe nur auf Befehl gehandelt’ und billigte diesen Büchern tatsächlich eine höhere Autorität zu.

  14. #14 Christian
    Januar 20, 2009

    @Ludmilla:

    Wenn Christen selbst bei Bedarf behaupten “Isjaallesnichsogemeint” und “an diesen Teil meines heiligen Buches halte ich mich jetzt nicht, weil der Paulus gesagt hat, das muss ich nicht”, dann muss man das gleiche Recht jeder Religion zubilligen. Oder sich selbst den selben Standards unterziehen.

    Ich will jetzt hier nicht den Exegeten spielen, aber genau DAS ist doch ein ganz entscheidender Punkt. Eben weil im NT diverse Vorschriften und Regeln des AT, die heute als überaltet und unhaltbar gelten, explizit aufgehoben werden, IST es eine andere Sache. Wo gibt es denn bitte einen “Koran, 2. Teil” in dem sich nachlesen ließe, dass die Tötungsaufrufe im “Koran, 1. Teil” nicht so ernst zu nehmen sind?

    Ich kann in den Zitaten nichts finden, was meiner Grundaussage widersprechen würde. Erstens stammt praktisch alles aus dem AT und die Amalekiter sind schon bei Yoav besprochen wurden: Kennst Du irgendwelche Amalekiter, denen man heute raten müsste, sich vor gläubigen Juden in Acht zu nehmen? Wenn im Koran aber explizit steht, dass “Christen und Juden” verfolgt werden müssten, hat das eine andere, da nicht ausschließlich historische Dimension.

    Was die Stellung der Frau in der Kirche angeht, sollte Dir allein schon die Tatsache dass es in der protestantischen Kirche nicht nur Priesterinnen sondern auch Bischöfinnen gibt (von Frau Käßmann hast Du sicher schon mal gehört) zeigen, wie solche Passagen zu bewerten sind. Abgesehen davon ist weder eine Passage mit überalteten patriarchalischen Ansichten noch eine Kritik an der Homosexualität mit einem ganz konkreten Aufruf zur Ermordung von Menschen zu vergleichen.

    Zur Homosexualität: Da sehe ich nun auch wieder nur Passagen aus dem AT und zwei aus dem NT, in denen von Homosexualität überhaupt nicht die Rede ist. Mit “Knabenschänder” ist nun wirklich etwas anderes gemeint – auch wenn es sicher den einen oder anderen Evangelikalen gibt, der das gerne so ausgelegt sehen möchte. Ebenso wenig werden übrigens Atheisten mit Pädophilen gleichgesetzt. Oder wo kommen die vor? “Götzendiener” sind etwas anderes…

    Damit sind wir aber wieder am zentralen Punkt von Yoavs Frage angekommen: Ist eine bestimmte, offenbar der gesellschaftlichen Ethik widersprechende Auslegung des Korans – oder eben auch der Bibel – nur Werk von Fundamentalisten, oder wird es von der “breiten Masse” an Gläubigen und Theologen ebenso gesehen?

    @ali:

    Ich halte “das NT ist wichtiger” nicht für Rosinenpicken. Gäbe es einen zweigeteilten Koran, in dessen zweitem Teil explizit etliche Grausamkeiten des ersten Teils negiert werden würden, müsste man das meines Erachtens nach sehr wohl zur Kenntnis nehmen, wenn es um die Frage nach der Interpretation von “Teil 1” ginge.

    Was Matthäus 25:41 etc. pp. angeht: Es ist doch wohl ein gewaltiger Unterschied, ob in einem religiösen Text sozusagen prophezeit wird, Gott werde diejenigen Menschen, die dem “falschen” Glauben anhängen, nach dem Tode bestrafen, oder ob die Anhänger der betreffenden Religion aktiv dazu aufgerufen werden, sich noch in diesem Leben um die Ungläubigen “zu kümmern”. Oder siehst Du da keinen Unterschied? Mit welcher Art von Gläubigem lässt es sich besser leben: Mit dem, der der Meinung ist Dir würden nach Deinem Tod irgendwelche furchtbaren Dinge widerfahren, oder mit dem, der der Meinung ist, sein Gott hätte ihm den Auftrag erteilt, Dich noch in diesem Leben für Deinen Unglauben zu bestrafen?

    Um wieder den Bogen zu schlagen: “dass AT ist nicht so wichtig” muss man meines Erachtens nach gelten lassen, das ergibt sich schlicht und ergreifend aus dem Inhalt des NT. “Das ist nicht so gemeint” kann natürlich nicht als Ausrede herhalten. Von daher muss man natürlich anerkennen, dass die Bibel teils heftig im Patriarchiat verwurzelt ist. Darüber lohnt sich die Diskussion kaum. Inwiefern dadurch nun aber Yoavs Fragen zum Koran entkräftet wären, das erschließt sich mir nicht. Sicher kann man doch fragwürdige Vorstellungen zur Rolle der Frau nicht mit einem Aufruf zur Tötung von Menschen gleichsetzen. Fragwürdige Vorstellungen zur Rolle der Frau existieren bekanntlich auch im Islam. Wenn man also schon vergleichen möchte, dann bitte “Frauenbild der Bibel mit Frauenbild des Koran” und “Umgang mit Nichtgläubigen in der Bibel mit Umgang mit Nichtgläubigen im Koran”.

  15. #15 Ronny
    Januar 20, 2009

    Ich denke mal, dass die Religion von vornherein einen Ansatz hat, dass Wissenschaft eher als Feind betrachtet wird und somit ein Druck auf jeden ausgeübt wird der sich in diese Richtung interessiert. Schließlich liegt es nicht im Interesse einer Religion Forschung zu betreiben, sondern darin die Glaubensgrundsätze ungefragt zu übernehmen. War ja bei uns in Europa bis vor 200-300 Jahren genauso.

    Ich kenne einige Techniker und Ärzte aus dem Iran die ausgewandert sind sicher auch aus der Idee im Westen mehr Geld zu verdienen, aber bei Nachfrage oft auch angeben, dass eben keinerlei freie Forschung möglich ist.

    Durch diesen ‘Brain Leak’ (ist glaube ich das Modewort) flieht genau die Klientel die notwendig ist um sich a) gegen religiöse Dogmen zu stemmen und b) eben die erwähnten wissenschaftlichen Arbeiten zu machen.

    Weiters sehe ich auch die Grundvoraussetzungen unterschiedlich. Menschen können sich nur um Wissenschaft kümmern wenn die anderen Bedürfnisse wie Nahrung, Wohnung und soziale Sicherheit stimmen (nennt man Bedürfnispyramide soweit ich weiß). Ín Isreal dürfte das soweit ok sein, in den umliegenden Ländern nicht.

    Noch kurz einer meiner Lieblingssätze: Alles was extrem ist, ist schlecht. Sieht man immer wieder.

  16. #16 Ludmila
    Januar 20, 2009

    @Christian: Kennst Du irgendwelche Amalekiter, denen man heute raten müsste, sich vor gläubigen Juden in Acht zu nehmen?

    Na das kann man auch sehr zynisch sehen. Da haben die Amalekiter und all die anderen, die im gelobten Land lebten aber Glück gehabt, dass sie ausgerottet wurden, sonst müssten sie sich noch heute vor gläubigen Juden in Acht nehmen. Ganz abgesehen davon, dass du ganz genau weißt, dass diese Stellen zur Rechtfertigung durchgeknallter israelischer Extremisten verwendet werden.

    Das mit den Atheisten steht in den Zitaten vom Neuen Testament verklausuliert als “gottlose” und mal ehrlich diesen Eiertanz um das Wort “Knabenschänder” finde ich ziemlich seltsam.

    Ganz abgesehen davon, dass Du jetzt mit dem Argument kommst, dass Neue Testament ist viel wichtiger.

    Aber das steht selbst im Neuen Testament widersprüchlich. Die Bergpredigt scheint sich gegen AT zu richten und dann kommen wieder Stellen in den Evangelien vor, welche die Gültigkeit des AT bekräftigen.

    Mt 5,18
    “Wahrlich ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelchen vom Gesetz, bis alles geschieht.”

    Lukas 24,44
    „Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen.“

    Auch die Haltung der großen Kirchen ist widersprüchlich. Wie bereits erwähnt, scheut der Papst nicht davor zurück ganz alttestamentarlisch Homosexualität als Sünde zu verdammen.

    Ich weiß, Ihr als deutsche Protestanten seid weitaus liberarer. Aber mit dieser Haltung seid Ihr innerhalb des Christentums in der Minderheit.

    Also, was denn nun? Ist das Alte Testament unwichtig, außer wenn es mir in den Kram passt 😉

    Fazit: Es ist nicht ganz so einfach 😉

  17. #17 Christian
    Januar 20, 2009

    @Ludmilla: Genau das ist doch aber der Punkt. Durchgeknallte israelische Extremisten – Du sagst es doch selbst. Alles worauf Yoav nach meinem Verständnis seines Postings hinauswollte ist doch die Frage, wie die entsprechenden Koranstellen zu interpretieren sind, in denen zum Kampf gegen Juden und Christen aufgerufen wird. Sind es nun ein paar durchgeknallte Fundis (wie bei der Amalekiter-Passage), die hieraus eine entsprechende Handlungsanweisung ableiten, oder ist es eher der Konsens im Mainstream-Feld der Religion. So eine Frage sollte nicht verboten sein, auch wenn sie natürlich tendenziös und sozialwissenschaftlich “unsauber” ist…

    Zum “Eiertanz” um das Wort “Knabenschänder”: Einen Eiertanz gibt es da eigentlich nicht, nur einzelne Leute, die meinen, den Korintherbrief mehr oder weniger kenntnisfrei auslegen zu können. Gemeint ist hier die rituelle Tempelprostitution (von Kindern) und damit im weitgreifenden Sinne sexueller Kindesmißbrauch. Wenn solcher Mißbrauch in scharfen Worten verurteilt wird, kann das den Korintherbrief doch eigentlich nur sympathisch machen… Die Analogie “Knabenschänder = Homosexueller” ist vollkommen irreführend und wird meines Erachtens von keiner größeren Denomination vertreten – auch nicht von den Katholiken.

    Zu Lukas 24,44:

    Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen.

    Der Satz hat eine vollkommen andere Bedeutung als sie dieser hätte:

    Es muss alles erfüllt werden, was geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen.

    Die Passage im Matthäus-Evangelium ist die einzige, die man wirklich als Verteidigung des AT gelten lassen kann, etliche andere Passagen sprechen da aber eine ganz andere Sprache…

    Zu den Themen Atheismus und Homosexualität: Ich will jetzt den Papst nicht in Schutz nehmen, aber immerhin sagt er lediglich, dass er Homosexualität für eine Sünde hält. Da für einen Nicht-Katholiken (sowie vermutlich auch für etliche Katholiken) die Meinung des Papstes eben genau das ist – eine Meinung – spricht nichts dagegen, eine abweichende Meinung zu vertreten. Konsequenzen hat das jedenfalls keine. Lasst den Papst doch hundertmal sagen, dass er Homosexualität nicht richtig findet – schließlich ruft er nicht dazu auf, Homosexuellen irgend etwas anzutun, er tut lediglich seine Meinung kund. Ganz anders sieht es übrigens in etlichen islamischen Ländern aus, wo Homosexuelle verfolgt und auch umgebracht werden…

    Um keine Haarspalterei um die Auslegung irgendwelcher Bibelstellen zu betreiben, einigen wir uns einfach mal darauf, dass Atheismus und Homosexualität in der Bibel kritisiert werden. Hier muss man doch aber fragen: Mit welchen Konsequenzen? Wenn von Seiten einer religiösen Gemeinschaft konstatiert wrd, dass jemand für irgendein Fehlverhalten eine Strafe im Jenseits erwartet, dann kann dies einem Nicht-Gläubigen doch herzlich egal sein, solange er von den Anhängern der besagten Religion im Diensseits in Ruhe gelassen wird. Hier sieht Yoav – wenn ich ihn da richtig verstanden habe – das wesentliche Problem mit dem Koran, da dieser nicht nur Veurteilungen und moralische Richtlinien enthält, sondern die Gläubigen mehr oder weniger direkt dazu auffordert, sich “falsch” verhaltende Menschen bereits im Diensseits einer Bestrafung zuzuführen.

    Hierin besteht meines Erachtens nach doch ein wesentlicher qualitativer Unterschied. In der Bibel mag ja Homosexualität, Atheismus und was weiß ich noch alles kritisiert und für falsch befunden werden – aber der Aufruf, strafend durch die Lande zu ziehen und den Kopf jedes Menschen zu fordern, der sich falsch verhält, der fehlt doch nun mal vollständig…

  18. #18 Ludmila
    Januar 20, 2009

    @Christian: aber der Aufruf, strafend durch die Lande zu ziehen und den Kopf jedes Menschen zu fordern, der sich falsch verhält, der fehlt doch nun mal vollständig

    Na dann tauche mal in die abendländische Geschichte ein. Da gibt es genug Beispiele für genau solche Forderungen und Taten, die mit der Bibel gerechtfertigt wurden.

    Nur dann, wenn man wie Du der Meinung ist, dass das AT durch das NT aufgehoben wird. Und diese Ansicht ist nicht so glockenrein und überall gültig, wie Du das hier darstellen willst und das war es ganz offensichtlich in den vergangenen 2000 Jahren auch nicht wirklich. Und wenn Du schon meinst, dass man die Texte der Bibel im historischen Kontext sehen muss, dann muss das genau so für den Koran gelten. Die kriegerischen Verse haben da nämlich oft ganz handfeste Hintergründe in historischen kriegerischen Auseinandersetzungen.

    Ich bin halt gegen zweierlei Maß. Was für die eine heilige Schrift gelten soll, darf der anderen nicht verweigert werden. Kritik an der einen Schrift, muss genauso rigoros bei der eigenen geleistet werden.

    Lasst den Papst doch hundertmal sagen, dass er Homosexualität nicht richtig findet – schließlich ruft er nicht dazu auf, Homosexuellen irgend etwas anzutun, er tut lediglich seine Meinung kund.

    Als ehemalige Katholikin muss ich Dir sagen: Das ist doch nicht Dein Ernst!
    Erstens ist der Papst als Stellvertreter Christi auf Erde nach katholischem Verständnis eine Leitfigur,
    zweitens hat der Papst mehr getan als eine Meinung kundzutun. Er hat theologische Schriften aufgesetzt, die für einen gläubigen Katholiken verbindlich sind, und verteidigt bzw. setzt Vorschriften innerhalb der katholischen Kirche um, die diskriminierend sind und
    drittens kann man mit der gleichen Begründung behaupten: “Dann lasst doch diese islamischen Religionsführer zum Mord aufrufen. Das ist nur eine Meinung.”

    Schon wieder wird hier mit zweierlei Maß gemessen.

    Gerade die abendländische Geschichte zeigt, wie unterschiedlich die Bibel ausgelegt wurde. Die Texte haben sich in über 1000 Jahren nicht verändert. Die Gesellschaft aber sehr wohl. Will man also einen religiösen Gottesstaat verhindern, dann muss man die Gesellschaft ändern.

    Religionen haben wie jede Ideologie kriegerisches Potenzial, da die sich immer auf die Formeln “wir sind besser als die anderen” und “glaub das, was ich sage, ohne wenn und aber” zusammenkochen lassen. Von da zu Krieg und Unterdrückung ist es gar nicht so weit.

    Genau gegen diesen Dogmatismus bar jeder Vernunft muss man sich wehren und es ist nicht etwas, was in der Geschichte der Menschheit alleine dem Islam vorbehalten war. Es scheint leider eine zutiefst menschliche Eigenschaft zu sein.

  19. #19 Christian
    Januar 20, 2009

    Erstens ist der Papst als Stellvertreter Christi auf Erde nach katholischem Verständnis eine Leitfigur, zweitens hat der Papst mehr getan als eine Meinung kundzutun. Er hat theologische Schriften aufgesetzt, die für einen gläubigen Katholiken verbindlich sind, und verteidigt bzw. setzt Vorschriften innerhalb der katholischen Kirche um, die diskriminierend sind und drittens kann man mit der gleichen Begründung behaupten: “Dann lasst doch diese islamischen Religionsführer zum Mord aufrufen. Das ist nur eine Meinung.”

    Die Schriften und Vorschriften haben doch aber nur eine Bedeutung innerhalb der Religionsgemeinschaft selbst. Oder stellt die katholische Kirche irgendwo auf der Welt tatsächlich irgendwelchen Homosexuellen nach? Was innerhalb der Gemeinschaft gedacht und geschrieben wird, kann allen anderen doch aber herzlich egal sein (Prinzip der Religionsfreiheit), solange sich die Religionsgemeinschaft nicht anmaßt, auch über die eigenen, freiwilligen Mitglieder hinaus das Leben von Menschen bestimmen zu dürfen, die andere Ansichten haben oder aber (was noch schlimmer ist) als strafende Instanz durch die Lande zu ziehen und Urteile zu fällen.

    Darüber hinaus bin ich nicht der Meinung, dass man diese Dinge gleichsetzen kann. Die Feststellung des Papstes, Homosexualität sei eine Sünde oder auch irgendeine kircheninterne Vorschrift, dass Homosexuelle keine Priester werden dürfen – das hat doch eine andere Qualität wie ein Aufruf zur Tötung von Menschen. Sicher wirst Du das nicht gleichsetzen wollen. Wobei ich die Katholiken in diesem Punkt ja auch nie verstanden habe – denn wenn Homosexuelle keine Ämter ausüben dürften, dann müsste man ja auch Menschen, die zu Neid, Zornesausbrüchen oder Eitelkeiten neigen (alles Dinge, die in der Bibel noch deutlich schärfer verurteilt werden) vom Priesteramt ausschließen – das würde die Ränge doch ziemlich dezimieren…

    Ganz unabhängig davon, ob man solche Vorschriften gut findet oder nachvollziehen kann, spielt sich das Ganze doch aber auf einer gänzlich anderen Ebene ab, als ein konkreter Aufruf, anderen Menschen körperliche Gewalt anzutun…

  20. #20 Christian
    Januar 20, 2009

    @Ludmilla: Noch was zum Thema “abendländische Geschichte”: Die mittelalterliche Kirche mit ihrer Inquisition, ihren Hexenverbrennungen und ihren Kreuzzügen war ganz offensichtlich brandgefährlich. Ich persönlich bin heilfroh, dass eine Kirche in dieser Form heute nicht mehr existiert und wünsche mir, dass es auch so bleibt.

    Wie aber gehen wir mit einer Religionsgemeinschaft um, in der sich negative Tendenzen zeigen, die einen Vergleich zur teils äußerst unerbittlich grausamen christlichen Kirche des Mittelalters durchaus zulassen? Wo endet die religiöse Toleranz und ab welchem Punkt muss man sich offensiv mit dem Glauben Dritter auseinandersetzen? Wenn der Papst Ansichten zur Homosexualität verbreitet, die nur innerhalb der katholischen Kirche Gültigkeit besitzen? Oder wenn dazu aufgerufen wird, Homosexuelle oder sonstige “Missetäter” ausfindig zu machen und zu bestrafen?

  21. #21 ali
    Januar 20, 2009

    @Christian
    Ich möchte Ludmila voll und ganz zustimmen. Das Problem ist nicht die Kritik an diesen Suren aus dem Koran. Ich finden diese Texte genau so wiederlich wie du und auch Yoav.

    Interessant ist aber, dass einmal der Text für sich alleine sprechen soll (Koran) und einmal die richtige ‘Interpretation’ vorgegeben wird. Das ‘AT’ sei nicht so wichtig (warum wird es denn trotzdem referenziert, benutzt und ist Teil der Bibel?), oder die Interpretation eines Satzes aus dem Matthäus-Evangelium welches vermutlich um drei Ecken übersetzt wurde. Das gleiche Problem besteht auch beim Koran. Die überwältige Mehrheit der Muslime rennt nicht rum, legt Bomben und bringt ‘ungläubige’ um. Diese werden wohl der Interpretation von Yoav des Korans nicht zustimmen. Sie würden wahrscheinlich ähnlich argumentieren wie du: “An dieser Stelle steht aber, und das ist wichtiger, und dort steht auch geschrieben, dass, und sowieso der historische Kontext dieser Stelle ist eigentlich, und dies bezieht sich nur auf die Endzeit….”

    Wenn also Fischer sagt: “Eine Religion muss sich nach ihren konstituierenden Texten fragen lassen. Dieses ewige Isjaallesnichsogemeint der Religionsapologeten nervt inzwischen.” Dann habe ich damit kein Problem. Aber wenn es heisst, im Koran steckt die Gewalt schon ‘im Text drin’ (Yoav) dann ist das auch bei der Bibel so. Falls nicht, muss bei beiden interpretiert und kontextualisiert werden.

    Ich halte an der Feststellung fest, wenn du zum Beispiel Gewalt gegen Juden rechtfertigen möchtest, da kannst du durchaus die Bibel dafür benutzen Gesicht halten (z.B. Titus 1.11-“welchen man muß das Maul stopfen, die da ganze Häuser verkehren und lehren, was nicht taugt, um schändlichen Gewinns willen. Denn es sind viel freche und unnütze Schwätzer und Verführer, sonderlich die aus den Juden, Es hat einer aus ihnen gesagt, ihr eigener Prophet: “Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche.” Dies Zeugnis ist wahr. Um der Sache willen strafe sie scharf).

    Nochmals: Es ist mir bewusst, dass die meisten Gläubigen der meisten Religionen nicht gewalttätig sind. Ich glaube aber auch sie sind dies trotz der ihrer Schriften und nicht wegen. Weil man die Interpretation der Schriften immer dem Zeitgeist angepasst hat. Einem Kult diese Fähigkeit schlicht abzusprechen mit Argumenten, die nur auf dem Text selber basieren, ist so gesehen wirklich ein Doppelstandard.

  22. #22 Ludmila
    Januar 20, 2009

    Was innerhalb der Gemeinschaft gedacht und geschrieben wird, kann allen anderen doch aber herzlich egal sein (Prinzip der Religionsfreiheit),

    Meiner Meinung nach hebelt das Menschenrecht auf Würde jede Religionsfreiheit aus und von daher kann ich Dir da nicht folgen. Es kann und darf nicht sein, dass Diskriminierung mit Religionsfreiheit gedeckt wird. Und es geht um weitaus mehr als Homosexuellen das Priesteramt zu verweigern. Dieses Privileg “genießen” auch Frauen.

    Im Übrigen, ging es hier nicht darum, was Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft denken und schreiben? In dem Fall, der Islam? Ja, dann kann es Dir demnach egal sein, was im Koran steht. Es sei denn unser säkulares Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit wird verletzt.

    Du siehst offenbar auch Menschenrechte als Gegenentwurf zur Religion hier der islamischen, nur ziehst Du offenbar da woanders eine Grenze.

    Aber das ist doch genau meine These. Wir haben inzwischen andere gesellschaftliche Maßstäbe, die nicht nur auf Religion fußen, weil sich die Gesellschaft gewandelt hat und wir extremen Sichtweisen mit Vernunft und Ethik begegnen wollen und das uns auch über die Religionsfreiheit geht.

  23. #23 ali
    Januar 20, 2009

    Nachtrag @buchstaeblich

    Um Korrekt zu sein: Die Beispiele habe ich zusammengestellt und stammen nicht aus dem Seminar. Das Seminar ist zu lange her, um mich an die Korrelationen zu erinnern.

    Die Kinder habe angeblich einen höheren IQ als solche, die keine Margarine assen (mehr zu diesem seltsamen Resultat).

  24. #24 Ludmila
    Januar 20, 2009

    @Christian: Nachtrag: Ich finde es übrigens gut und wichtig, wie relativ unaufgeregt und gesittet die Diskussion hier verläuft. Danke!

  25. #25 Christian
    Januar 20, 2009

    Im Übrigen, ging es hier nicht darum, was Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft denken und schreiben? In dem Fall, der Islam? Ja, dann kann es Dir demnach egal sein, was im Koran steht. Es sei denn unser säkulares Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit wird verletzt.

    Genau da würde ich die Grenze ziehen. Von mir aus kann jeder Immam predigen, dass Juden und Christen nach ihrem Ableben mit Strafe rechnen müssen und überhaupt und allgemein alles falsch machen im Leben. Interessant wird es erst dann, wenn in irgendeiner Form dazu aufgerufen wird, schon im Diesseits Strafen auszuteilen… In der Tat kann es mir herzlich egal sein, was im Koran steht, solange ich nicht damit rechnen muss, dass jemand den Koran als Rechtfertigung dafür verwendet, in meine persönlichen Rechte einzugreifen. Ebenso wie es einem Homosexuellen doch im Grunde vollkommen wurscht sein kann, was im Leviticus steht, solange niemand mit Verweis auf den Leviticus-Text ihm irgendetwas antun möchte.

    Oder sehe ich das falsch?

    Meiner Meinung nach hebelt das Menschenrecht auf Würde jede Religionsfreiheit aus und von daher kann ich Dir da nicht folgen. Es kann und darf nicht sein, dass Diskriminierung mit Religionsfreiheit gedeckt wird. Und es geht um weitaus mehr als Homosexuellen das Priesteramt zu verweigern. Dieses Privileg “genießen” auch Frauen.

    Starker Tobak. Wie würdest Du dieses Problem denn lösen wollen? Vielleicht die Kirche dazu zwingen, die betreffenden Passagen zur Stellung der Frau oder zur Homosexualität aus der Bibel zu streichen? Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft ist doch freiwillig (zumindest sollte sie es sein), wer also mit der Diskriminierung von Homosexuellen in der katholischen Kirche nicht einverstanden ist, kann doch der katholischen Kirche jederzeit den Rücken kehren und braucht sich keinen feuchten Kehricht darum zu kümmern, was dort gesagt oder gedacht wird.

    Mein Kriterium wäre in der Tat dieses: Es wird dann gefährlich, wenn eine Glaubensgemeinschaft für sich in Anspruch nimmt, über den Kreis der freiwilligen Mitglieder hinaus das Leben Dritter bestimmen zu können oder aber (was sicher die schlimmste Variante ist) als strafende Instanz göttlichen Rechts zu agieren. Genau das darf nicht sein.

  26. #26 Ronny
    Januar 20, 2009

    Ich schließe mich hier mal Ludmilla an. Auch meiner Meinung müsste Religionsfreiheit dort enden wo staatliche Gesetze dagegen spechen auch wenn es innerhalb der Religionsgemeinschaft ist. Religion sollte den Status eines Vereins bekommen, wo sich Gleichgesinnte treffen können.
    Wenn ein Anglerverein im Statut hat: keine Frauen, keine Homosexuelle dann kann man rechtlich dagegen auftreten. Warum nicht auch bei Religion ? Was gibt der Kirche das Recht zu sagen: Keine Frauen aber gleichzeitig kann ich ein z.b. Orchester verklagen das Frauen nicht aufnimmt.
    Was ich auch sehr bedenklich finde ist die Tatsache, dass in Deutschland ein Gesetz(esentwurf) vorliegt, der Ärzte, Anwälte und Verteidiger ZWINGT gegen ihren Klienten auszusagen, aber Gesitliche ausnimmt ? Das ist krass !
    Man müsste auch in der Schule wirklich ‘Religion’ unterrichten und nicht ‘Eine bestimmte Religion’. Ich würde mich der Aussage anschließen: Kirchenmitglieder sollten doch selbst entscheiden, wenn a) den Kindern Gott als eine Idee dargestellt wird (und nicht quasi als Realität) und b) keinerlei sozialer Druck wirkt.

  27. #27 Ludmila
    Januar 20, 2009

    Wie würdest Du dieses Problem denn lösen wollen? Vielleicht die Kirche dazu zwingen, die betreffenden Passagen zur Stellung der Frau oder zur Homosexualität aus der Bibel zu streichen?

    Haben Protestanten eine ganz andere Bibel ohne Leviticus? Ihr habt es doch auch geschafft, die Passagen über Homosexualität auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.

    In der Bibel steht übrigens auch, dass man keine Schweine und Meeresfrüchte essen soll. (Ebenfalls Leviticus) Und obwohl das da steht, denke ich, dass der gute alte Benedikt ohne Reue Schweinebraten und Krabbencocktail essen wird.

    Ich war übrigens damals in einer Kirchengemeinde in Mainz als Kardinal Lehman es damals in den 80ern wagte, weibliche Messdiener aufzunehmen, was ihm dann flugs von ganz oben verboten wurde. Vorschriften können und werden auch innerhalb der katholischen Kirche geändert – selbst wenn man sich früher auf die Bibel berief, um diese ins Leben zu rufen. Es sind halt die Hardliner, die eine Neuerung verhindern.

    Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft ist doch freiwillig (zumindest sollte sie es sein), wer also mit der Diskriminierung von Homosexuellen in der katholischen Kirche nicht einverstanden ist, kann doch der katholischen Kirche jederzeit den Rücken kehren und braucht sich keinen feuchten Kehricht darum zu kümmern.

    Och bitte Christian. Du weißt doch selbst, dass das hier nicht die Mitgliedschaft in einem Golfklub ist, die man einfach so kündigen kann, ohne Konsequenzen für Dich und Deine Familie.

    Letztendlich bedeutet die Haltung der katholischen Kirche hier und heute, dass die katholischen Eltern von homosexuellen Kindern und die Kinder natürlich selbst in große Gewissensnöte kommen. Ganz abgesehen von dem ganzen gesellschaftlichen Druck der Kirchengemeinde. Ganze Familien werden letztendlich vor die Entscheidung gestellt: Kind oder Kirche bzw. gesellschaftliches Umfeld (Nachbarn. Freunde). Und das halte ich für zutiefst unethisch.

    Es ist nicht so einfach, wie Du das hier hinstellst.

    P.S.: Aber um die Haltung der kath. Kirche ging es auch nicht wirklich. Von daher ist die Diskussion hier ein wenig fehl am Platz.

  28. #28 ali
    Januar 20, 2009

    Interessant wird es erst dann, wenn in irgendeiner Form dazu aufgerufen wird, schon im Diesseits Strafen auszuteilen… In der Tat kann es mir herzlich egal sein, was im Koran steht, solange ich nicht damit rechnen muss, dass jemand den Koran als Rechtfertigung dafür verwendet, in meine persönlichen Rechte einzugreifen.

    Ich glaube das ist der Angelpunkt der Diskussion. In Irland wurden Leute wegen ihrer Konfession getötet. Die Lord’s Resistance Army massakrierte Menschen an Weihnachten und will eine Theokratie auf der Basis der 10 Gebote errichten. Auch nicht um Leben und Tod gehende Eingriffe kann man auflisten: Proposition 8 in Kalifornien, mit Steinen durchgesetztes Arbeitsverbot am Sabbat, etc. etc. Solange es Leute gibt, die sagen, dass solche Texte durch eine höhere Kraft inspiriert sind, werden Leute diese auch anderen aufzwingen versuchen.

    Wenn du nun sagst der Papst ruft nicht zu Mord und Totschlag auf. Das stimmt. Die grosse Mehrheit der Imame meines Wissens auch nicht (es kommt wie bei den Protestanten aber noch dazu, dass die Autorität nicht so klar geregelt ist wie bei den Katholiken). Man findet wiederum in jeder Religion solche Hassprediger (um allen Gerecht zu werden noch ein Zitat von Rabbi Dov Lior: “A thousand non-Jewish lives are not worth a Jew’s fingernail.”). Menschenverachtendes Gedankengut ist nicht das Monopol einer einzigen Religion.

    Ich finde es übrigens gut und wichtig, wie relativ unaufgeregt und gesittet die Diskussion hier verläuft. Danke!

    Dem schliesse ich mich an.

  29. #29 Christian
    Januar 20, 2009

    @Ludmilla:

    Du weißt doch selbst, dass das hier nicht die Mitgliedschaft in einem Golfklub ist, die man einfach so kündigen kann, ohne Konsequenzen für Dich und Deine Familie.

    Wo willst Du hier die Grenze ziehen, solange die Konsequenzen nicht illegaler oder gar gewalttätiger Natur sind (was ja in Deutschland kaum vorkommen dürfte)? Auch die Gründung einer RCDS-Gruppe in einer politisch linkslastigen Hochschule hat gewisse soziale Konsequenzen für die Gründer. Ich bezweifle allerdings, dass man hier unter Verweis auf die Menschenrechte die Mitstudenten dazu zwingen könnte, sich mit den politischen Vorstellungen ihrer Kommilitonen anzufreunden.

    Will sagen: Auf die eine oder andere Weise findet doch Diskriminierung an vielen Stellen statt. Wer in einem sehr religiösen sozialen Umfeld der Kirche den Rücken kehrt wird natürlich irgendwelche negativen Folgen spüren. Aber was ist mit dem überzeugten Nicht-Trinker in gepflegter Gesellschaft? Oder mit dem radfahrenden Öko-Fuzzi in einer autoverrückten Nachbarschaft? Wo soll da die Grenze gezogen werden?

    Letztendlich bedeutet die Haltung der katholischen Kirche hier und heute, dass die katholischen Eltern von homosexuellen Kindern und die Kinder natürlich selbst in große Gewissensnöte kommen. Ganz abgesehen von dem ganzen gesellschaftlichen Druck der Kirchengemeinde. Ganze Familien werden letztendlich vor die Entscheidung gestellt: Kind oder Kirche bzw. gesellschaftliches Umfeld (Nachbarn. Freunde). Und das halte ich für zutiefst unethisch.

    Es soll ja keine Diskussion um den Katholizismus werden, aber genau da habe ich Schwierigkeiten mit der Vorstellungskraft. Schlimmstenfalls ist Homosexualität auch in den Augen gestrenger Katholiken eine Sünde (nicht einmal eine Todsünde, die sind ja bereits belegt), ebenso wie Hochmut, Eitelkeit, eheliche Untreue etc. pp. Warum sollte der gesellschaftliche Druck aus einem kirchlichen Umfeld auf Eltern mit einem homosexuellen Sohn so viel größer sein als auf Eltern mit einem angeberischen Sohn? Wenn es da wirklich qualitative Unterschiede geben sollte (da ich nicht katholisch bin, fällt es mir schwer, das zu beurteilen…), wäre das natürlich kurios.

    @ali, Ludmilla:

    Ich finde es übrigens gut und wichtig, wie relativ unaufgeregt und gesittet die Diskussion hier verläuft. Danke!

    Weil ihr beide grundsätzlich damit rechnet, dass eine Diskussion um religiöse Themen nur in ungesittetem Chaos enden kann? 😀 Das wäre aber ein böses Vorurteil… 🙂

  30. #30 Ludmila
    Januar 20, 2009

    Schlimmstenfalls ist Homosexualität auch in den Augen gestrenger Katholiken eine Sünde (nicht einmal eine Todsünde, die sind ja bereits belegt), ebenso wie Hochmut, Eitelkeit, eheliche Untreue etc. pp. Warum sollte der gesellschaftliche Druck aus einem kirchlichen Umfeld auf Eltern mit einem homosexuellen Sohn so viel größer sein als auf Eltern mit einem angeberischen Sohn?

    Ähm. Christian. Da muss ich Dir leider erhebliche Naivität bescheinigen. Als Ex-Katholik und jemand, der hier im katholischen Rheinland mit schwulen, lesbischen Bekannten auch Umgang pflege, kann ich nur sagen: Du kannst froh sein, dass Du anscheinend von katholischer Bigotterie gegen Lesben und Schwulen unbehelligt geblieben bist. Und das Rheinland ist noch liberal. Auf dem bayrischen Land und gar erst in Süditalien oder in Polen müssen Schwule tatsächlich um Leib und Leben fürchten. Und das wird von der örtlichen Polizei sogar teilweise gedeckt. In den USA ist es in einigen Bundesstaaten ähnlich. Erst 2003 fiel das strafrechtliche (!), religiös motivierte Verbot des Vollzug von homosexuellem Geschlechtsverkehr im eigenen Schlafzimmer unter Erwachsenen im gegenseitigen Einvernehmen.

    Ich kann es rational und auch aus dem katholischen bzw. christlichem Glauben heraus nicht nachvollziehen, dennoch berufen sich diese Leute auf die Bibel bzw. das AT, um Menschen das Leben zur Hölle zu machen, weil es ihnen nicht passt, was in deren privaten Schlafzimmer abgeht.

    BTW bei der nächsten Bundestagsdebatte um homosexuelle Ehen unterhalten wir uns aber noch mal über: “Das, was die katholische Kirche über Homosexuelle glaubt, hat nur Auswirkungen auf die Religionsgemeinschaft”. Denn das sieht die katholische Kirche ganz anders und deren Position ist immer noch so mächtig, dass sie Einfluss auf die Politik und damit auch auf diejenigen hat, die mit der Kirche nichts am Hut haben.

    Ich wiederhole es gerne noch einmal: Meines Erachtens überschreitet die katholische Kirche hier eine Grenze und schürt Ressentiments gerade in katholisch-konservativen Gegenden, die ganz schnell in offenen Hass und Gewalt umschlägt.

  31. #31 Ludmila
    Januar 20, 2009

    @Christian: Nachtrag.

    In vielen Fällen wird man in Religionsgemeinschaften hineingeboren und diese reklamieren selbst Sonderrechte, die ein Kegelclub oder eine politische Partei nicht hat. Kennst Du einen Säugling mit Parteibuch? Und wie war das noch mit der “Religionsfreiheit”, die explizit im GG verankert ist? Und was ist mit dem Totschlagargument der “verletzten religiösen” Gefühle? Ich hab noch nie von verletzten politischen Gefühlen gehört.

    Die meisten Menschen behandeln Religionsgemeinschaften deutlich anders bzw. werten deren Anliegen höher als das vom Kegelclub oder einer politischen Partei. Wenn diese Sonderstellung nicht vorhanden wäre, dann könnten sich z.B. auch Frauen in Führungspositionen klagen wie Ronny das auch angesprochen hat, so wie das bei jeder anderen Institution dieses Landes möglich ist.

    Dann ist es aber nicht zulässig, so zu tun, als ob diese Sonderstellung auf einmal nicht gilt, nur weil es mal Kritik hagelt.

  32. #32 Christian
    Januar 20, 2009

    @Ludmilla

    Auf dem bayrischen Land […] müssen Schwule tatsächlich um Leib und Leben fürchten. Und das wird von der örtlichen Polizei sogar teilweise gedeckt.

    Für Polen und Italien kann ich das nicht beurteilen, aber soweit es das bayerische Land angeht, halte ich das für eine extreme Übertreibung. Wann wurde denn in Bayern der letzte Homosexuelle vom katholischen Mob ermordet? Dazu müsste es doch sicher einen Medienbericht geben…

    Ich kann es rational und auch aus dem katholischen bzw. christlichem Glauben heraus nicht nachvollziehen, dennoch berufen sich diese Leute auf die Bibel bzw. das AT, um Menschen das Leben zur Hölle zu machen, weil es ihnen nicht passt, was in deren privaten Schlafzimmer abgeht.

    Das ist in der Tat schwer nachvollziehbar. Wenn die katholische Kirche andere Verfehlungen auch nur annähernd so ernst nehmen würde, wie die Homosexualität, müssten sich die Priester scharenweise an “Geiz ist geil”-Werbetafeln anketten. Kurioserweise gab es in der katholischen Kirche meines Erachtens nach schon immer eine gewisse ungesunde Obzession mit sexuellen Vorschriften – warum, weiß ich allerdings auch nicht (siehe meinen alten Blogpost hier). Ähnlich scheint mir das im übrigens Islam zu sein, wenn es um die Emanzipation von Frauen geht.

    BTW bei der nächsten Bundestagsdebatte um homosexuelle Ehen unterhalten wir uns aber noch mal über: “Das, was die katholische Kirche über Homosexuelle glaubt, hat nur Auswirkungen auf die Religionsgemeinschaft”. Denn das sieht die katholische Kirche ganz anders und deren Position ist immer noch so mächtig, dass sie Einfluss auf die Politik und damit auch auf diejenigen hat, die mit der Kirche nichts am Hut haben.

    Schwierige Frage. Wenn katholische Wähler der Ansicht sind, einen Politiker nicht unterstützen zu können, der für die absolute Gleichberechtigung der homosexuellen Ehe einsteht, kann man sie schlecht dazu zwingen. Hier hat natürlich die Religion als solche einen Einfluss auf das Leben Dritter, das scheint mir aber in demokratischen Systemen dazuzugehören – denn warum sollte ein religiöser Wähler sich nicht von seinen Vorstellungen bei der Wahlentscheidung leiten lassen? Die ScienceBlogger würden vielleicht geschlossen für einen Politiker an die Urne gehen, der fest verspricht, die Forschungsetats zu erhöhen und dafür beim Straßenbau zu kürzen. Greifen wir damit dann auf inakzeptable Weise in das Leben der Beschäftigten im Straßenbau ein? Immerhin werden einige von denen durch unsere Wahlentscheidung möglicherweise arbeitslos… Greifen also die katholischen Wähler auf inakzeptable Weise in das Leben von homosexuellen Menschen ein, wenn sie für einen Politiker stimmen, der beispielsweise die traditionelle Ehe stärker fördern will?

    Meines Erachtens überschreitet die katholische Kirche hier eine Grenze und schürt Ressentiments gerade in katholisch-konservativen Gegenden, die ganz schnell in offenen Hass und Gewalt umschlägt.

    Auch auf die Gefahr hin, dass ali mir gleich wieder böse Vorurteile vorwirft, aber alle Medienberichte über Gewalttaten gegen Homosexuelle in Deutschland, an die ich mich während der letzten Jahre erinnern kann, hatten irgendetwas mit Anhängern der islamischen Religion zu tun, siehe beispielsweise diesen Bericht vom Tagesspiegel über Homophobie an Schulen in Berlin:

    https://www.tagesspiegel.de/berlin/Homophobie-Schule;art270,2674437

    Erschreckend auch, was LSVD zu dieser Thematik zu sagen hat:

    In der bundesdeutschen Hauptstadt ist Gewalt gegen Schwule und Lesben zwischenzeitlich an der Tagesordnung – angestachelt von Hasspredigern und -sängern betätigen sich vor allem männliche Jugendliche aus dem islamistischen Milieu als Gewalttäter – mit einer oft erschreckenden Brutalität. Erst vor einer Woche wurde ein lesbisches Pärchen auf einem U-Bahnhof von zwei jungen Männern körperlich attackiert und mit Farbe besprüht. Am Dienstag fand anläßlich eines weiteren Gewaltaktes in Berlin eine Protestkundgebung gegen homophobe Gewalt statt.

    Tatsächlich gelten zwischenzeitlich auch die “schwulen Kieze” wie etwa Schöneberg als “nicht mehr grundsätzlich sicher”. Experten und direkt Betroffene von Gewalttaten berichten vermehrt von regelrechten Schlägergruppen aus dem islamistischen Milieu, die gezielt in Stadtteile wie Schöneberg gehen und dort auch tagsüber und auf offener Straße erkennbare oder vermutete homosexuelle Männer teilweise krankenhausreif schlagen.

    Quelle: https://www.hagalil.com/01/de/Antisemitismus.php?itemid=2918

    Ich lasse mich diesbezüglich gerne eines besseren belehren und will wirklich nicht den Apologeten für die katholische Kirche spielen, aber das Gewaltpotenzial scheint mir doch woanders zu liegen. Oder gab es in den letzten Jahren oder Jahrzehnten irgendwelche Gewalttaten gegen Homosexuelle aus dem “katholischen Millieu”? Konnte beim googeln überhaupt nichts finden, dafür zahlreiche Berichte über verprügelte Homosexuelle in Berlin, Köln, Hamburg etc., die aber alle einen anderen religiösen Hintergrund hatten. Hier der katholischen Kirche vorzuwerfen, sie würde gezielt “Hass und Gewalt” gegen homosexuelle Menschen schüren, halte ich – gelinde gesagt – für ziemlich unfair.

  33. #33 Jürgen Schönstein
    Januar 20, 2009

    Wow, eine Religionsdebatte unter Sciencebloggern … wobei ich denke, dass die vergleichende Debatte, welche Religion “besser” ist, gleichzeitig das Problem im Kern trifft – in dem Sinn, dass dies offenbar die einzige Art zu sein scheint, mit der sich Religion diskutieren lässt, und die hat in der Tat nichts mit Wissenschaft zu tun, was ja die Kernfrage, die Tobias gestellt hatte und auf die sich Ali bezieht, schon relatv klar beantwortet – und voll daneben geht, denn es geht doch nicht um Islam vs. Christentum vs. Judentum, sondern eigentlich um den Kontrast zwischen säkularen und religiös organisierten Gesellschaften, wie Ronny weiter oben schon ausgeführt hat. Und diese These ließe sich ja vielleicht am Beispiel des Iran testen, der ja 1979 auf sehr drastische Weise diesen Übergang von einem säkularen zu einem Religionsstaat vollzogen hat, was aus primär politischen Gründen zu einem massiven Brain Drain führte.

  34. #34 ali
    Januar 21, 2009

    @Christian

    Weil ihr beide grundsätzlich damit rechnet, dass eine Diskussion um religiöse Themen nur in ungesittetem Chaos enden kann? 😀 Das wäre aber ein böses Vorurteil… 🙂

    Ich habe nie behauptet ich sei frei von Vorurteilen 😉

    @Jürgen

    Ich bin nicht überzeugt von der Säkularisierungsthese. Man müsste genau erklären was man mit ‘Säkularisierung’ meint. Ich vermute mit einer gängigen (institutionellen) Definition, wird diese Hypothese kaum unterstützt. Von den Institutionen her gesehen sind wahrscheinlich einige der arabischen Nachbarn Israels wesentlich säkularer als Israel selber (die Islamisten sind unter anderem erstarkt weil sie in vielen Ländern die einzige Opposition zu den Regimes sind). Ich vermute eher, dass es (neben ökonomischen Faktoren) mit autoritären Regimes zusammenhängt (aber dann wäre vermutlich die Sowjetunion oder China ein Gegenbeispiel).

  35. #35 Jürgen Schönstein
    Januar 21, 2009

    @Ali
    Sicher ist es eine Frage, wie man “säkular” definiert. Als Hintertürchen habe ich mir ja die Formulierung “säkulare oder religiös organisierte Gesellschaften” offen gelassen, was ja etwas mehr Spielraum lässt als das jeweilige verfassungsmäßige Staatensystem – auch ein formal säkularer Staat kann ja eine sehr religiös organisierte Gesellschaft haben. Ich bin kein Israel-Kenner, aber wenn ich mir all meine israelischen Freunde anschaue, dann entdecke ich doch eine sehr säkulare Grundauffassung. Das gleiche gilt übrigens für die Iraner in meinem weiteren Bekanntenkreis – aber das sind alles Leute, die 1979 nicht ganz freiwillig ihre Heimat verlassen mussten. Die Sache mit der Autorität, die Du ansprichst, würde ja in diese Betrachtungsweise ganz gut reinpassen, denn Religionen sind als Organisationen ja zumeist autoritär strukturiert. (Oder hat mir da nur – autsch – meine katholische Erziehung in Bayern die Perspektive verbogen?)

  36. #36 ali
    Januar 21, 2009

    Auch ich kenne Israel nicht sehr gut. Ich glaube es hängt stark davon ab, ob du deine Umfrage in Tel Aviv oder Jerusalem startest 😉 Ich bin jetzt mehr vom politischen ausgegangen.

    Ich glaube durchaus, dass Theokratie schlecht ist für die Wissenschaft (und/oder fehlender Säkularismus). Ich glaube nur, dass dies wegen dem ‘Autoritären’ ist und nicht in erster Linie, religionsimanent.

    Aber was du sagst ist eigentlich genau mein Punkt. Es geht darum wie die Religion gelebt (oder aufgezwungen) wird und es ist nicht in den Texten per se. Ob nun das Prinzip Religion eine Art ‘anti-wissenschaftlichen’ Keim in sich trägt wäre dann wieder eine andere Debatte.

  37. #37 Ronny
    Januar 22, 2009

    Bei dieser Frage muss man, glaube ich, mehrere Komponenten berücksichtigen. Israel hat viele Vorteile gegenüber den umliegenden Ländern. Es hat eine funktionierende Demokratie, garantiert die Freiheiten seiner Bewohner und stellt die Grundversorgung (Nahrung, soziale Leistunen, usw) sicher. Ohne diese Basis kann es IMO keine funktionierende Wissenschaft geben. Das passt auch zu Ali’s Aussage in Bezug auf totalitäre Systeme.

    i>Zitat Ali:Ich glaube durchaus, dass Theokratie schlecht ist für die Wissenschaft (und/oder fehlender Säkularismus).
    Denke ich auch, denn Religion basiert ja unter anderem auf der (wie Dawkins formulierte): Anbetung von Wissenlöchern. Da die Wissenschaft diese Löcher schließt entzieht es der Religion die Grundlagen, d.h. die Religion muss schon aus Überlebensgründen antiwissenschaftlich sein.

    Bei der Religion ist Israel aber ein interessanter ‘Ausreißer’. Trotz einer relativ strikten Religion die sich auch stark in das Leben einmischt (z.B. Sabbatruhe oder Nahrungsbeschränkungen) entstammen viele brilliante Wissenschaftler diesem Volk, die scheinbar in ihrer Tätigkeit nicht behindert werden. Wäre auch mal ein interessantes Thema warum das so ist.

    <

  38. #38 Ludmila
    Januar 23, 2009

    @Christian:
    https://www.vielfalt-statt-gewalt.de/download/DokumentationLandeskoordination2006.pdf

    https://www.maneo-toleranzkampagne.de/umfrage-bericht2.pdf

    Zu behaupten, dass es so etwas hier bei uns nicht gäbe bzw. vor allem von Immigranten betrieben wird, ist viel zu kurz gegriffen. Der eingewanderte Schwulenhaß ist natürlich auch ein Problem und macht auch einen hohen Anteil unter den Gewalttaten aus. Dafür tun sich dann die Deutschen an anderer Stelle hervor.

    Und wann wurde noch mal der Vollzug von homosexuellem Geschlechtsverkehr aus dem deutschen Strafrechtskatalog zumindest auf unter 21jährige beschränkt? 1969? So lang ist das nicht her und jetzt frag Dich bitte mal, wie man in einem Staat mit überwiegend christlicher Tradition Homosexualität als Straftat rechtfertigen kann.

    Ernsthaft Christian,
    Wann wurde denn in Bayern der letzte Homosexuelle vom katholischen Mob ermordet?

    Willst Du hier Diskriminierung gegen Schwule und Lesben kleinreden? Diskriminierung fängt nicht erst an, wenn der Mob ausrückt und die Leute umbringt. Das ist “nur” der traurige Höhepunkt.

    So etwas reicht völlig aus:
    „Widerliche Dreckslesben! Gott wird Euch dafür hassen! Nächste Woche werdet Ihr an Krebs sterben!“ (Nachzulesen im ersten verlinkten Dokument.)

    Was bewegt denn bitte Menschen so etwas zu sagen, wenn man sich als Christ versteht? Und ist das etwas tolerabel.

  39. #39 Christian
    Februar 1, 2009

    @Ludmilla: Sorry, aber den Reply sehe ich jetzt erst.

    Zunächst einmal: Nein, solche Kommentare sind natürlich diskriminierend und überhaupt nicht in Ordnung. Christliche Nächstenliebe ist da jedenfalls nicht zu hören. Nenn mir doch aber bitte die Kirche, in der Jugendlichen sowas beigebracht wird, dann gibt es nächste Woche einen Protestbrief und einen hässlichen Artikel im Frischen Wind. Dem verlinkten Dokument kann ich jedenfalls nicht entnehmen, dass diese Aussage (abgesehen von der religiösen Invokation) einen katholischen Hintergrund haben könnte. Da steht aber nur “an einer Straßenecke gehört”, was kaum sinnvolle Schlüsse auf die Ursache zulässt.

    Außerdem warst Du es, die sinngemäß geschrieben hatte, dank der Kirche müssten Homosexuelle “um Leib und Leben” fürchten. Und so schlimm solche Kommentare auch sind – von einer Gefahr für Leib und Leben sind sie noch ein ganzes Stück entfernt. Wenn Du schon der Kirche vorwirfst, sie brächte das Leben von Homosexuellen in Gefahr, dann ist die Frage nach dem letzten tödlichen (oder wenigsten tätlichem) Übergriff durchaus berechtigt.

    Und was die “Gefahr für Leib und Leben” angeht, hätte ich noch einige Presselinks, die ich dieses Mal aber draußen lasse, um den Spamfilter nicht erneut zu aktivieren. Daher nur die Zitate, Links können auf Wunsch nachgeliefert werden…

    Aus dem TAGESSPIEGEL: “Da kommt die Lesbe – Homophobie an Schulen”:

    Der Albtraum begann vor zehn Jahren. Bis dahin hatte die Lehrerin an der Kreuzberger Grundschule keinen Hehl aus ihrem Privatleben gemacht. Wenn sie Schüler danach fragten, sagte sie offen, dass sie mit einer Frau zusammenlebe.

    Dann kippte die Stimmung, immer öfter reagierten Schüler und Eltern ablehnend – parallel zum Anstieg des Migrantenanteils an der Schule von 50 auf 90 Prozent, wie die Lehrerin berichtet, darunter vor allem Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien.

    Vor drei Jahren wuchs sich die Ablehnung zu einer Mobbing-Welle aus. Einige Schüler hätten sie mit Schmährufen begrüßt wie: „Da kommt die Lesbe!“ Sie hätten sie nach dem Unterricht verfolgt und an Wände geschrieben, dass sie lesbisch sei. Da vertraute sie sich der Schulleitung an. Gemeinsam beschloss man, das Privatleben der Lehrerin geheim zu halten.

    Soweit ist es also schon gekommen in Berlin.

    Und aus dem Magazin “Queer”:

    In Kreuzberg sind am Wochenende mindestens drei Drag-Künstlerinnen zusammengeschlagen worden. Andere Quellen sprechen sogar von acht Opfern. Mindestens eines musste mit starken Blutungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die Frauen waren um 6 Uhr morgens aus dem Veranstaltungszentrum SO 36 gekommen, in dem ein Drag-Festival stattfand, und wurden von einer “Gruppe großer, bulliger Türstehertypen” ohne Provokation angegriffen, meldet die “taz”. Die Täter stehen offenbar mit der rechtsradikalen türkischen Organisationen “Graue Wölfe” in Verbindung.

    Derweil sorgt in Amsterdam ein Überfall auf ein schwules Model für Aufregung, der sich bereits am 30. April, dem Königinnentag, abgespielt hat und erst jetzt international Beachtung fand. Der 20-jährige Mike Du Pree war auf einem Laufsteg am Rembrandtplatz, in dem er für Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen warb, von zehn jungen Männern verprügelt worden. Die offenbar muslimischen Täter brachen ihrem Opfer dabei die Nase. Noch ist unklar, ob die Täter verhaftet worden sind. Homo-Aktivisten kritisieren die Polizei wegen Untätigkeit.

    Sowohl in Berlin als auch in Amsterdam fühlen sich Schwule und Lesben bedroht von gewaltbereiten Männern muslimischen Hintergrunds. Jennifer Delano, Organisatorin der Amsterdamer Modenschau, erklärte gegenüber dem “Gay Krant”, Amsterdam sei keine tolerante Stadt mehr. Das Homo-Magazin warnt daher vor einer Eskalation. Politiker fordern Konsequenzen: “Das zeigt, wie stark sich die islamischen Schwulenverprügler fühlen”, erklärte Martin Bosma, Abgeordneter der liberal-konservativen Partij voor de Vrijheid.

    Angesichts dessen der katholischen Kirche – an der auch ich vieles auszusetzen habe – unterzuschieben, sie wäre der treibende Motor für Homophobie und Homosexuelle müssten wegen bayerischer Pfarrer oder italienischer Priester Angst um “Leib und Leben” haben, finde ich ein wenig unfair. Das Gewaltpotenzial gegen Homosexuelle scheint doch nun wirklich primär von einer anderen Glaubensrichtung auszugehen.

    Nicht dass das solche dummen Kommentare irgendwie ungeschehen macht. Aber es relativiert sie doch ein wenig. Die Gefahr für Leib und Leben geht meines Erachtens nach jedenfalls von anderen aus.

  40. #40 Ludmila
    Februar 1, 2009

    @Christian:
    Nicht dass das solche dummen Kommentare irgendwie ungeschehen macht. Aber es relativiert sie doch ein wenig. Die Gefahr für Leib und Leben geht meines Erachtens nach jedenfalls von anderen aus.

    Diskriminierung kann man meines Erachtens nicht mit dem Hinweis wegwischen, dass es da andere noch viel schlimmer treiben. Was ja nun wirklich schlimm genug ist. Diskriminierung kann man meines Erachtens auch nicht relativieren. Weil dahinter immer der grundlegend falsche Gedanke steckt, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen weniger wert sind.

    Wenn man diesen Weg erst beschreitet, dann kann man letztendlich alles rechtfertigen. Mord ist nur die letzte Station auf diesem langen Weg in die Dunkelheit. Ich kann und ich werde der katholischen Kirche als Organisation, die angeblich Nächstenliebe predigt, immer vorhalten, dass sie offenbar da Ausnahmen machen. Aber da kann und darf es keine Ausnahmen geben und wenn die Kirche diese Ausnahmen predigt, dann gießen sie Öl ins Feuer.

    Ich fürchte Christian, wir haben uns festgefressen. Und uns völlig vom ursprünglichen Thema entfernt.

    Zum Thema: Es wäre extrem interessant, wenn man in die Zeit zurückreisen könnte, als die Rollen umgekehrt verteilt waren. Als das christliche Abendland fundamentalistisch, arm, wissenschaftsfeindlich war und autokratisch regiert wurde und die islamische Welt zwar auch autokratisch regiert wurde, aber ihren Bürgern Religions- und Glaubensfreiheit zugestand. Was zur witschaftlichen und kulturellen Blüte führte.

    Viele antike Schriften kennen wir heute nur, weil arabische Gelehrte sie über eine Zeit retteten, in der die Europäer entweder kein Interesse an diesem Wissen hatten oder es offen ablehnten.

    Damals hätte man vermutlich vortrefflich mit umgekehrten Vorzeichen streiten können: Was macht die christliche Religion so gewalttätig?

  41. #41 Christian
    Februar 1, 2009

    @Ludmilla: Da hast Du natürlich prinzipiell nicht Unrecht, ich vermute aber mal, dass es jemandem, der heute vom Mob durch die Straßen gejagt wird, relativ egal sein dürfte, welche Verfehlungen es vor tausend Jahren gegeben hat. Die Diskussion ist zwar aus soziologischer und historischer Sicht überaus wichtig, aber man muss doch zwischen der Debatte und den alltäglichen Problemen unterscheiden. Den Beweis dafür, dass der “Straßenecken-Kommentar” irgendwie kirchlich motiviert gewesen ist, vermisse ich jedenfalls noch. Die Position der katholischen Kirche zur Homosexualität kann man sicherlich kritisieren, ich halte es aber weiterhin für falsch, der Kirche den Wunsch nach Gefahr für Leib und Leben homosexueller Mitmenschen anzudichten.

  42. #42 Ludmila
    Februar 1, 2009

    @Christian: Ganz explizit fordert die Kirche heute nicht den Kopf von homosexuellen, das ist wahr.

    Aber für mich bleibt es dabei. Wer aus irgendwelchen Gründen “rechtfertigt”, dass andere Menschen weniger wert sind, der muss sich vorhalten lassen, dass er seine Anhänger auf einen dunklen Pfad führt, der schlimmstenfalls in dem Wunsch nach physischer Zerstörung gipfelt. Auch wenn das nicht explizit nicht gewünscht wird, so muss man rein realistisch sich vor Augen führen, wozu diese Argumentation schlimmstenfalls führen kann.

    Das nachzuweisen, wird im Einzelfall natürlich schwierig sein. Das wäre dann die Aufgabe an die Soziologen.