Ich gehöre zu den Skeptikern was das modische Terrorismus-Blabla der Politik anbetrifft und denke die Welt hat grössere Probleme als sich vor Terroranschlägen zu fürchten. Das heisst aber nicht, dass ich für ein Hände in den Schoss legen wäre. Daher erstaunt es mich wie in diesem Zusammenhang zwar immer wieder Pakistan, Afghanistan, Irak und Somalia erwähnt werden, aber niemand über den Jemen schreibt.

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Das letzte Mal als der Jemen so richtig Schlagzeilen machte, war als drei Deutsche dort im letzten Dezember verschleppt wurden. Diese Entführung war wohl weniger politisch als ökonomisch motiviert (so ein Ausländer ist auf dem ‘Entführungsmarkt’ locker mal eine Million wert). Trotzdem ist diese Episode symptomatisch und zeigt ein Malaise auf, welches Jemen mit den pakistanischen Stammesgebieten, den Territorien ausserhalb von Kabul in Afghanistan und Gebieten von Somalia teilt: Der Staat hat kaum Kontrolle darüber.

Dazu kommt eine gute Dosis politische Gewalt. Vor ein paar Tagen starben fünf Menschen (vier Touristen und ein einheimischer Reiseführer) bei einem Bombenanschlag in Jemen und sieben weiterer wurden verletzt.

In Guantanamo sitzen über 100 jemenitische Staatsbürger ein und die Regierung rechnet damit, dass die meisten wieder im Jemen repatriiert werden. Es bleibt zu befürchten, dass sich unter den Jemeniten, die sich nach Afghanistan verirrt haben, spätestens nach mehreren Jahren in Guantanamo, sich der eine oder andere Jihadi hat rekrutieren lassen. Vor kurzem hat nun die Regierung 170 Gefangene aus dem Gefängnis entlassen, die verdächtigt werden, Verbindungen zu Al-Kaida zu haben (heutzutage wohl eine Chiffre für Terrorismusverdacht). Dies kurz nachdem der selbsternannte Führer von Al-Kaida in Jemen die Fusion mit dem saudischen Ableger verkündet hat.

Das ist halte ich gar für das wichtigste Detail. Al-Kaida war ursprünglich und ist wohl trotz einer anderen Wahrnehmung im Westen nach wie vor hauptsächlich eine Organisation, die sich dem Kampf gegen das Königshaus der Sauds verschrieben hat. Sie kämpfen gegen die Präsenz von US Truppen im für sie ‘heilligen’ Land. Jemen ist nicht nur aus den bisher genannten Gründen, sondern auch geographisch eine ideale Basis um genau diesen Kampf vorzuführen.

Es würde sich also lohnen, den Jemen im Auge zu behalten. Trotz dem Terrorismus-Hype liest und hört man jedoch kaum etwas in den gängigen Medien, ausser wenn gerade Touristen an Leib und Leben gefährdet sind. Vielleicht liegt das daran, dass zu häufig einfach Regierungscommuniqués nachgekaut werden. Aber selbst der letzte Bericht der International Crisis Group stammt von 2003 (Yemen: Coping with Terrorism and Violence in a Fragile State). Hat man eventuell den Jemen vergessen?

Kommentare (8)

  1. #1 Karl Mistelberger
    März 26, 2009

    Warum schreibt niemand über den Jemen?

    Es wird viel über den Jemen geschrieben, gerade über die unmittelbar zurück liegenden Jahre. Mann muss es nur sehen wollen, nicht unter den Teppich kehren und das Gegenteil behaupten: https://en.wikipedia.org/wiki/Category:Terrorism_in_Yemen

  2. #2 ali
    März 26, 2009

    Klar findet man Artikel zu Jemen (ich selber habe schliesslich einige im Blogpost verlinkt und muss auch irgendwie davon gelesen haben). Ich behaupte ja auch nicht das wörtlich ‘niemand’ über den Jemen schreibt.

    Es geht mehr um die mediale Aufmerksamkeitsökonomie in welcher Jemen zu kurz kommt im Vergleich zu anderen Ländern mit ähnlichem Problempotential. Wenn man eine Umfrage startet und Leute fragt “Welche Länder sollen Fokus sein, wenn es um islamistischen Terrorismus geht?” würde wohl selbst ein relativ informiertes Publikum nicht den Jemen auflisten sondern nur die üblichen Verdächtigen (Afghanistan, Pakistan, Irak, Somalia).

    Will man was über den Jemen lesen, muss man die Berichte suchen und sie springen einem nicht an bei der täglichen Zeitungslektüre und beim Radiohören. Ausser eben Europäer werden entführt (nicht mal Südkoreanische Touristen scheinen zu reichen).

  3. #3 Jane
    März 26, 2009

    “denke die Welt hat grössere Probleme als sich vor Terroranschlägen zu fürchten”

    Dem ist aus europäischer und amerikanischer Sicht zuzustimmen. Auch wenn groß angelegte Anschläge wie in New York, Madrid und London grauenvoll sind, sie gefährden die Stabilität unseres polit. und wirtsch. Systems nicht. Stabile Demokratien halten das aus, siehe Israel.

    Anders sieht es in den schwachen Staaten Asiens und des Nahen und Mittleren Ostens aus. Hier haben die Fanatiker um Al Kaida und Co. die Möglichkeit, ganze Landstriche oder gar Länder ins Chaos zu stürzen und das tun sie ja auch (Wasiristan in Pakistan, Afghanistan, große Teile des Irak etc.). Die überwiegende Mehrzahl der Opfer des islamistischen Terrors sind schließlich Menschen aus diesne Ländern. Außerdem blockieren die terr. Kräfte effektiv Stabilisierungs- Befriedungs- und Demokratisierungsbestrebungen. Von daher denke ich schon, dass diese Art von Terrorismus ein großes intern. Problem darstellt, neben vielen anderen natürlich.

  4. #4 Karl Mistelberger
    März 26, 2009

    Es geht mehr um die mediale Aufmerksamkeitsökonomie in welcher Jemen zu kurz kommt im Vergleich zu anderen Ländern mit ähnlichem Problempotential.

    Wenn ich bei Spiegel Online oder der BBC News Frontpage gucke, so genießt der Jemen eine angemessene Aufmerksamkeit. An den Medien selbst scheint es also nicht zu liegen.

    Eher liegt es am Publikum. Teile dessen scheinen sich nur dann richtig aufgeilen zu können, wenn die USA massiv involviert sind.

  5. #5 Jürgen Schönstein
    März 26, 2009

    @Karl Mistelberger
    “… genießt der Jemen eine angemessene Aufmerksamkeit …”
    Das Schlüsselwort hier ist “angemessen”. Und da scheinen Sie eben andere Maßstäbe anzulegen als beispielsweise Ali Arbia im obigen Post. Denn die Meldungen, die durch die Medien gingen, fallen in die Kategorie “Sensationsmeldungen” (Todesstrafe für eine e-Mail, Terroranschläge auf Touristen, minderjährige Bräute) – und als Journalist weiß ich gut genug um die Mechanismen, die bei der Themenauswahl ins Spiel kommen. Als Nachrichtenredakteur hätte ich auch nicht anders gehandelt, denn wer will seine Leser schon mit Fakten aus einem unbekannten Land langweilen, wenn sie nicht wenigstens ein bisschen spektakulär präsentiert werden können … Aber ich muss trotzdem auch Ali beipflichten, dass dabei Probleme übersehen werden, die uns langfristig beschäftigen werden. Die wären aber ein Thema für das, was man die “Hintergrundgeschichte” nennt – und die findet, vor allem in Zeiten der Anzeigen-Anorexie, die zur Magersucht bei Zeitschriften geführt hat, kaum noch einen Platz. Dies ist aus ökonomischer Sicht zwar nachvollziehbar, aber das macht es nicht weniger bedauerlich.

  6. #6 Karl Mistelberger
    März 30, 2009

    Denn die Meldungen, die durch die Medien gingen, fallen in die Kategorie “Sensationsmeldungen” (Todesstrafe für eine e-Mail, Terroranschläge auf Touristen, minderjährige Bräute) – und als Journalist weiß ich gut genug um die Mechanismen, die bei der Themenauswahl ins Spiel kommen.

    Diesen Eindruck hatte ich auch. Es scheint sich aber eher um eine “gefühlte” Wahrnehmung zu handeln. Tatsächlich sind in diesem Fall die Journalisten besser als sie in den Vorurteilen der Leserschaft erscheinen. Auf die vielen Beiträge in Spiegel-Online habe ich schon hingewiesen. Bei den BBC-News wird das Thema noch ausführlicher behandelt: z.B. Yemen faces new Jihad generation und viele hundert ähnliche Artikel aus neuerer Zeit.

  7. #7 Patrick Gengler
    April 13, 2009

    Mit dem Jemen ist es wie mit Saudi Arabien oder anderen Nahoststaaten. Verhältnismässig zu den sogenannten üblichen Verdächtigen ist es dort eher ruhig. Eine Meldung ist es nicht wert. Dass dort allerdings Aktivitäten geschehen, die man als gefährlich oder terroristisch einstufen kann, dürfte dem Interessierten trotzallem bekannt sein, denn es gibt eine Fülle von Bücher und Artikel über terroristische Aktivitäten in denen der Jemen regelmässig auftaucht.

  8. #8 Karl Mistelberger
    April 14, 2009

    Auffällig: Die Verteilung der Angriffe auf Schiffe im Golf von Aden. Eine Vielzahl erfolgte dicht vor der Küste des Yemen: h ttp://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7991512.stm, apropos Piraterie “Taking a wasps’ nest… is more effective than catching the wasps one by one,” he [Lord Palmerston] remarked.

    Und aus der selben Quelle ein Bildungshappen:

    Denman, a hero of the anti-slave trade campaign, was eventually vindicated and the Royal Navy carried on with its anti-slavery operations. James Walvin notes in his book Black Ivory: “Between 1820 and 1870 the Royal Navy seized almost 1,600 ships and freed 150,000 slaves.”

    Um die Bekämpfung der Piraterie machen die Reedereien natürlich einen Bogen, die Staaten bisher ebenfalls, aber:

    “And worse than this ongoing demonstration of cowardice is the financing of terrorists that results from the huge ransom payments these pirates are allowed to collect.” aus
    https://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2009/04/12/AR2009041202262.html