Einer der grossen Namen in meinem Fach, Professor Joseph Nye von der Harvard Kennedy School hat in einem Gastbeitrag in der Washington Post die fehlende Praxisnähe der Internationalen Beziehungen bemängelt und gemeint, früher sei alles besser gewesen. Er verlangt den Auszug aus dem Elfenbeinturm. Diese Gelegenheit für ein paar Gedanken möchte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Viele mögen Nye nicht beim Namen kennen, aber die meisten haben wahrscheinlich von seiner ‘grossen Idee’ gehört, da die inzwischen auch bei der Auslandberichtserstattung zum Standardrepertoire im Korrespondentenjargon gehört. Soft Power ist was ihm die seltene Ehre zuteil werden liess, als Professor für Internationale Beziehungen eines seiner Konzepte popularisiert zu sehen. Die Idee, dass nicht nur Bomben und Panzer einem Land erlauben Macht auszuüben, sondern auch ‘weichere’ Mittel, wie Kulturexporte, Vorbildfunktion etc. (was diese Soft Power denn genau ist, ist mir nach wie vor nicht ganz klar, aber dass ist ein Thema für ein anderes Mal).

Nyes Kritik ist vermutlich eine sehr USA fokussierte. Er bemängelt, dass wenige Experten für Internationale Beziehungen im Weissen Haus ein- und ausgehen. Bei Ökonomen und Juristen spricht man häufig von der ‘Drehtür’ in Washington, die zwischen Politik und der Privatwirtschaft dreht und häufig sich auch in Richtung Universitäten öffnet und schliesst (siehe zum Beispiel der aktuelle US Finanzminister) . Nye zitiert Kissinger und Brzezinski als Beispiele, die diesen Weg nur als Einbahnstrasse begangen hätten. Er glaubt auch, dass zu wenig öffentlich diskutiert wird, ob nun diese oder jene Politik die richtige sei. Beiträge die er eigentlich als eine zentrale Aufgabe von Akademikerinnen und Akademikern sieht.

Die Ursache in dieser Untervertretung glaubt er in der einseitigen Ausrichtung auf den Elfenbeinturm zu finden. Wer Politik-Relevant forscht oder publiziert würde sich die akademischen Karriereaussichten verbauen. Man verbarrikadiere sich hinter Modellen und Theorien. Er räumt zwar ein, dass dies eine Konsequenz von fortschreitender Spezialisierung sein könnte, sieht aber das Risiko, dass ‘immer mehr zu immer weniger’ gesagt und politikrelevantes an die Think Tanks ausgelagert werde.

Abgesehen von der starken US Orientierung, habe ich aber auch Zweifel an Professor Nyes Grundannahmen. Mein Eindruck ist eher, dass wenn man Geld möchte für ein Projekt, muss man dafür sorgen, dass es policy relevant daherkommt. Oft habe ich nach akademischen Präsentationen schon die Frage gehört: “Und was ist die praktische Bedeutung Ihrer Arbeit”? Die Massen an Publikationen zu Terrorismus in den letzten Jahren scheint mir ein Indikator in diese Richtung (obwohl natürlich das Interesse auch dem politischen Diskurs folgt).

Vielleicht ist die Nennung von Kissinger und Brzezinski ein Hinweis auf ein anderes Problem mit Nyes Argumenten. Die beiden sind Repräsentanten einer Zeit, wo eine Gruppe von Leuten dachte, man könnte Weltpolitik wie auf einem Schachbrett ‘spielen’. Da hat sich wohl spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges etwas Ernüchterung breit gemacht. Hinzu kommt wohl auch, dass solches ‘realistisches’ Denken (oder wie Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen, Ork-Logik) von einem häufig viel probabilistischeren Denken abgelöst wurde. Es ist schwieriger so allgemeingültige Konzepte für die Praxis abzuleiten und man konsultiert eher Länderspezialisten und zwar von Fall zu Fall.

Die Frage ist aber interessant und bestimmt auch relevant für andere Sozialwissenschaften. Das Problem stellt sich auf dieser Seite des Atlantiks vielleicht etwas weniger. Es gibt sie kaum, diese Austauschkultur zwischen Politik und den Universitäten. Politik und Akademia sind zwei verschiedene Karrieren. Dies hat den Vorteil einer gewissen Unabhängigkeit. Man wünschte sich hingegen trotzdem, dass Politik sich auch auf die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften stützt und sich diese zu Nutzen macht. Auch ‘grosse Weltpolitik’ machen ist für viele Länder diesseitig des grossen Teichs etwas schwieriger, meist schon nur wegen der eigenen Grösse (sagt der Schweizer).

Aber einmal abgesehen von all dem: Manchmal finde ich Erkenntnisgewinn um der Erkenntnis Willen auch ganz gut. Dies gibt einem die notwendige Unabhängigkeit, die es braucht um frei zu forschen. Aus den Resultaten wächst dann meist für die Praxis verwertbares. Schliesslich sind auch Forschende in den Sozialwissenschaften an genau dieser Realität interessiert für welche man politikrelevantes will.

Habe ich übrigens schon erwähnt, wie Bloggen einen Beitrag zu diesem öffentlichen Diskurs leisten kann?

Kommentare (3)

  1. #1 HdS
    April 19, 2009

    Ich komme jetzt aus einem etwas anderen Bereich (empirische Sozialforschung) und würde Nye eher recht geben, eine großartige Rezeption unserer Ergebnisse ist doch eigentlich nicht festzustellen.
    Nur mal als Beispiele in den Raum geworfen:
    A) “Killerspiel”-Debatte
    B) “Migrantenkinder sind schlechte Schüler/Arbeiter Vorurteile”
    Bei beiden bereichen gibt es eine relativ breite Veröffentlichungsbasis, aber trotzdem wird zumindest bei A nur die Pfeife wahrgenommen, andere eigentlich garnicht.

    Eine Frage die ichb hier aber mal aufwerfen möchte: Könnte es auch an der mangelnden Größe der Sozialwissenschaften liegen? Ich entwerfe oft relativ komplexe Modelle wie ich die Realität einigermaßen angemessen erfassen kann und dann macht sich ernüchterung breit: Ich selbst kann diese Daten unmöglich als Einzelstudent erfassen oder auswerten – die Realität muss dann so zusammengedampft werden, dass wesentliche Aspekte aus dem Blickfeld geraten. Ich habe den Eindruck das Problem ist da einfach, dass wir Sozialwissenschaftler eher Einzelkämpfer-Arbeit lernen und weniger Teamarbeit. Bei den Physikern ist z.B. eine BA-MA Arbeit im Team nicht ungewöhnlich, bei uns im FB dagegen ein Exotikum.

  2. #2 ali
    April 19, 2009

    @HdS
    Grundsätzlich bin gehe ich mit dir einer Meinung, dass man sich hier relativ wenig um die Resultate aus der Forschung kümmert. Ich glaube aber Nye geht es weniger um die Rezeption von Resultaten, als um einen aktiven personellen Austausch zwischen Politik und Akademia (und das denke ich, ist auch eine sehr US amerikanische Sache). Er schreibt auch, dass die Forschung (bei ihm spezifisch in den Internationalen Beziehungen) zu Theorielastig sei, deine zwei Beispiele würden das eigentlich widerlegen. Wir sind uns also vermutlich einig, sind dies aber nicht im Einklang mit Nye wenn ich deinen Kommentar richtig interpretiere.

    Bei uns sind Wissenschaft und Politik normalerweise eher getrennte Karrierepfade.

    Ich glaube weniger, dass es an mangelnder Grösse liegt (aber ich gebe zu, ich habe nur beschränkt über den Tellerrand meines Faches blicken können). Die Ökonomen schaffen es gut, von der Politik angehört zu werden, auch mit Modellen, die mit sehr vielen Ungewissheiten behaftet sind. Ein Teil ist wohl schlicht auch der Ruf oder die Akzeptanz eines Faches (ich würde mal vermuten, die Ökonomie gilt als ‘härter’).

  3. #3 Robert
    April 20, 2009

    Ich (Lehramtsstudent Englisch und Politikwissenschaft) kann Nye auch nicht so ganz folgen – unsereins stöhnt immer, wenn die Leute annehmen, Politikwissenschaft sei eine Ausbildung um in die Politik zu gehen, ich wär froh, wenn sich das Bewusstsein verbreiten würde, das Politikwissenschaft first and foremost eine WISSENSCHAFT ist – heißt, wir versuchen abseits von oft kleinkarrierten tagespolitischen Debatten wissenschaftlich an gesellschaftliche / politische Fragestellungen heranzugehen. Die Arbeit an Modellen, Methoden und Theorien ist und sollte des Wissenschaftlers täglich Brot sein. Daraus ergeben sich nicht immer sofort praxisrelevante Empfehlungen, aber das ist notwendige Grundlagenarbeit.
    Ich sehe das Problem ganz anders. Erstens, um mal direkt auf obigen Blogeintrag einzugehen:
    “Man wünschte sich hingegen trotzdem, dass Politik sich auch auf die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften stützt und sich diese zu Nutzen macht.”
    Dem stimme ich grundsätzlich zu, allerdings gibt’s in den Sozialwissenschaften ja kaum eine Frage, in der unter den Forschern Einigkeit herrscht, es gibt zu allem und jedem unterschiedliche theoretische, methodisch-empirische und normative Zugänge, die Frage wäre also, auf welche Erkenntnisse genau sich die Politik jeweils stützen soll.
    Zweitens, und da sehe ich die schwerwiegendere Krux: Ich habe nicht den Eindruck, dass sich Politiker für die wissenschaftliche Fundierung von Politik interessieren. Wenn ein Wissenschaftler etwas publiziert, das eine bestimmte in der Politik vertretene Auffassung stützt oder zu stützen scheint, wird das gerne als Feigenblatt herangezogen, aber letztlich sind ideologische und politisch-taktische Motive treibend.
    (Zur Absicherung: IB sind nicht mein stärkstes Gebiet, läuft bei uns an der Uni so provisorisch nebenbei mit, was ich dargelegt habe, war mein allgemeiner Blick auf Sozialwissenschaften und Politik, der sich im Laufe meines Studiums ergeben hat)