Gerrymander.png

Wie soll ein optimaler Wahlbezirk aussehen? Die Antwort hängt stark davon ab, für wen dieser ‘ideal’ sein soll. Die Interessen einzelner Parteien und des Wählenden sind da nicht unbedingt deckungsgleich. Solche Bezirke können die bizzarsten Formen annehmen.

In den USA heisst diese Strategie ‘Gerrymandering’. Der Ausdruck geht auf den Gouverneur Elbridge Gerry zurück, der sich 1812 einen Wahlkreis masschneiderte, der einem zeitgenössischen Karrikaturisten als Salamander erschien und unter dem Titel Der Gerry-Mander erschien. Daraus entstand dann Gerrymandering (mit einem weichen G gesprochen).

Wie funktioniert ein solches Anpassen? Die Grenzen der Bezirke werden in regelmässigen Abständen neu gezogen. Wenn man Daten über typisches Wahlverhalten besitzt (und moderne Technologie erleichtert dies zusätzlich) kann man sich einen fast ‘sicheren’ Sitz zusammenschustern. Dies hat einen bedeutenden Einfluss auf das Ergebnis. Ein Zahlenbeispiel illustriert das:

California_District_38_2004.png

Kaliforniens 38. Wahlkreis

Man stelle sich drei Bezirke vor mit im ganzen neun Wählenden. Vier sind Anhänger der Ping-Pong Partei und fünf der Pogo-Partei. Diese Wahlkreise können frei bestimmt werden, die einzige Bedingung ist, dass man in jedem Bezirk drei Wählende hat und drei Sitze vergeben werden. Kann die Ping-Pong Partei frei bestimmen, wird sie die Wahlkreisgrenzen so ziehen, dass ihre vier Anhänger gleichmässig auf zwei Bezirke verteilt werden. Das Resultat ist, dass sie zweimal mit 2-1 einen Sitz gewinnen wird und einen mit 0-3 Stimmen verlieren. Trotz einer Mehrheit von fünf zu vier für die Pogo Partei wird die Pogo-Partei im Parlament mit zwei zu einem Sitz in der Minderheit sein. Entscheidet jedoch die Pogo Partei, wird sie die Grenzen so bestimmen, dass die Ping-Pong Wählerinnen und Wähler so verteilt sind, dass sie selbst mit zwei Sitzen ins Parlament einzieht und die Ping-Pong Partei das einsehen hat.

CA_11thCD_clip.png

Kaliforniens 11. Wahlkreis

Man kann also in einem homöopathischen Ansatz die Stimmen des Gegners ‘verdünnen’ in dem man sie verteilt (wie im obigen Beispiel). Oder um das Glas als halb leer zu betrachten, möglichst viele Stimmen des Gegners in einem Wahlkreis ‘wegwerfen’ und diesen einen Sitz aufgeben und somit die Wirkung der Stimmen dort verpuffen lassen. Man kann verschiedene Abgeordnete der Gegner aufeinander hetzen, wenn sie den Wohnsitz im eigenen Wahlkreis haben müssen (nur ein Umzug kann dann noch den Bruderkrieg vermeiden).

Es gibt auch die kooperative Variante dazu, wenn man sich so abspricht, dass jedem sein Sitz zugestanden wird und beschliesst, sich nicht gegenseitig auf die Füsse zu treten (in einer gemischten Kommission haben alle ein Interesse an einem solchen Vorgehen). Die verschiedenen Strategien kann man auf Englisch zusammenfassen unter ‘Packing and Cracking’ (zusammenpacken und auseinanderbrechen). Wie man sich vorstellen kann, ist Gerrymandering vor allem in einem Zwei-Parteien-System eine grosse Versuchung, insbesondere wenn es nur eine Person pro Wahlkreis mit einfachem Mehr zu wählen gibt (First past the post).

Illinois_District_4_2004.png

Illinois 4. Wahlkreis (auch ‘Ohrenwärmer’ genannt)

Das Problem mit diesen gratis Sitzen liegt darin, dass es keinen Wettbewerb mehr gibt um diese. Ein Phänomen, das man auch von Staaten kennt wo eine Partei so dominant ist, dass der Wahlkampf vielerorts eigentlich in der parteiinternen Vorausscheidung stattfindet (man denke an die PRI in Mexiko oder wenn mir diese Bemerkung erlaubt sein soll, die CSU in Bayern).

Ca23_109.gif

Kaliforniens 23. Wahlkreis (Vorteil: Alle Wählenden können anlässlich einer Fahrt am Strand besucht werden)

Was kann man dagegen unternehmen? Man kann objektive Kriterien für Wahlkreise festlegen. Man kann mehrere Personen in einem Bezikr zur Wahl stellen und einen Wahlproporz einrichten. Die Wahlkreisbestimmung kann an eine neutrale Organisation ausgelagert werden. Man kann einfach damit aufhören, die Grenzen regelmässig neu zu bestimmen. Es mangelt nicht an Möglichkeiten. Das Hauptproblem ist, dass diejenigen, die diese Reformen einleiten sollten, meist auch jene sind, die vom status quo profitieren.

Wenn sich nun jemand gefragt hat, wie ich überhaupt dazu komme, plötzlich über Gerrymandering zu schreiben: Ohio hat einen Wettbewerb ausgeschrieben um die Wahlkreis neu zu definieren (via Monkey Cage). Wie einer der Kommenatoren auf The Monkey Cage treffen bemerkt: Es juckt direkt in den Fingern, Wahlkreisgrenzen zu ziehen, die das schrägste Resultat produzieren.

Quelle: Alle Bilder von Wikimedia Commons

Edit: Ich habe ‘Distrikt’ mit ‘Wahlkreis’ und ‘Bezirk’ ersetzt. Man versucht schliesslich Deutsch zu schreiben.

Kommentare (6)

  1. #1 David
    April 9, 2009

    Haben die noch nie etwas von Puckelsheim und Konsorten gehört?

  2. #2 ali
    April 9, 2009

    Da fällt mir nach einmal darüber schlafen auf: Dies Dinger werden in anständigem Deutsch Wahlbezirk oder Wahlkreis genannt. Man möchte mir mein Denglish verzeihen.

    Edit: Es war mir nun doch zu holprig und ich habe ‘Distrikt’ jeweils ersetzt.

  3. #3 Jane
    April 9, 2009

    @David: Puckelsheim ist doch ein Verfahren bei Proporzwahl? Hier gehts um Majorzwahl. Bin aber nicht so firm im schweizer Wahlsystem 😉

  4. #4 David
    April 9, 2009

    @Jane: Ach so, du hast recht. Das Hauptproblem ist hier wohl, dass das Repräsentantenhaus nach Majorzwahlsystem bestellt wird. Alles klar…

  5. #5 Uwe-Jürgen Ness
    Mai 24, 2010

    Die manipulative Änderung der Wahlkreise (Gerrymandering) findet ihre Grenzen nur dort, wo das Gebiet nicht mehr zusammenhängen bzw. über das Gebiet des jeweiligen Bundesstaates hinaus reichen würde. Zwar führt dieses System auf der Ebene der Bundesstaaten zu erheblichen Divergenzen, was die Repräsentanz der verschiedenen Bevölkerungsteile anbelangt, USA-weit jedoch gleicht sich dies weitestgehend aus: So erzielten die Demokraten im November 2008 bei den Wahlen zum zur Zeit amtierenden 111. Repräsentantenhaus insgesamt 65.241.408 Stimmen (53,6 Prozent) bzw. die Republikaner 52.184.380 (46,4 Prozent) und errangen damit 58,1 bzw. 40,9 Prozent der Mandate, die sechs nicht abstimmungsberechtigen Abgeordneten nicht mitgerechnet. Das relative Mehrheitswahlrecht begünstigt beim Vorhandensein zweier Blöcke die jeweils dominierende Partei in einem erträglichen Maße. Anders verhält es sich bei einem relativen Mehrheitswahlrecht bei drei oder mehr ähnlich großen Parteien mit nur einem Wahlgang, wie es etwa in Großbritannien existiert und das bei den Unterhauswahlen zu interessanten Ergebnissen bzw. Verzerrungen geführt hat.

  6. #6 Uwe-Jürgen Ness
    Mai 24, 2010

    Derzeit sind nach dem Wahlsieg Obamas 2008, in dessen Fahrwasser viele Demokraten in einigen zuvor republikanischen Wahlkreisen ihre 2006 während der Bush-Ära erworbenen Mandate behaupten konnten, die Mehrheitsverhältnisse wie folgt:

    * demokratischer Caucus: 253 Mitglieder (2006: 233; 2004: 202)
    * republikanischer Caucus: 178 Mitglieder (2006: 202; 2004: 232)

    Die Mehrheit liegt bei 435 Abgeordneten also bei 218 Stimmen. Hinzu kommen noch sechs Abgeordneten aus Puerto Rico, Washington D.C., Guam, Northern Mariana Islands und Virgin Islands, die allerdings nur beratende Stimme haben und allesamt den Demokraten angehören.

    Die Seite electoral-vote.com richtet bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus 2010 ihren Focus derzeit auf 45 Wahlkreise, also auf ungefähr ein Zehntel aller Sitze. Man kann den demokratischen und den republikanischen Caucus im Repräsentantenhaus nur bedingt mit den Fraktionen gemäß der Parteienzugehörigkeit im deutschen Bundestag vergleichen. Bei Abstimmungen kann angesichts der zahlreichen Cleavages („Konfliktlinien“), wie etwa Religionszugehörigkeit, ethnische Identität, soziale Herkunft, arm-reich, Nord-Süd-Midwest-Divergenz etc., die insgesamt mindestens genauso gewichtig sind wie die Parteienzugehörigkeit, niemals von monolithischen Blöcken ausgegamgen werden, die nach der Pfeife des Mehrheits- oder Minderheitsführers agieren würden. Ein in der deutschen Öffentlichkeit bekannt gewordenes Beispiel ist das zweifelhafte Vorgehen der Gruppe von demokratischen Abgeordneten um Bart Stupak aus Michigan bei der Gesundheitsreform, der – wie er inzwischen erklärte – zwar nicht mehr zur Wiederwahl antritt, gleichwohl mit Verweis auf seine Wählerschaft Änderungen im Gesetzesentwurf erzwang, nach denen keine Bundesgelder für Abtreibungen zur Verfügung gestellt werden sollen. Weitaus schwieriger als für die jeweilige Minderheit, ihre Nein-Stimmen zu organisieren, ist es für die dominierende Mehrheit, alle Mitglieder auch tatsächlich für ein bestimmtes, besonders umstrittenes Gesetz zu mobilisieren – zumal die Akteure in diesem System des relativen Mehrheitswahlrechts auf lokaler Ebene rekrutiert werden und die Auswahl sich daher dem Zugriff einer Parteiführung, welche USA-weit oder auf Ebene der Bundesstaaten agiert, entzieht.
    Es ist einigermaßen klar, dass die Demokraten einige Wahlkreise – vermutlich 10 bis 25 Mandate – verlieren werden – zumal der letzte Urnengang einen historisch singulären Wahlsieg darstellte. Dass die Demokraten jedoch ihre derzeitige komfortable Mehrheit von 253 versus 178 gänzlich verlieren könnten, ist ziemlich unwahrscheinlich. Denn das hieße, dass die Republikaner 38 Mandate erringen und damit über vier Fünftel der Hot-House-Races für sich entscheiden müssten.