Gestern hat das Freiburger Kantonsparlament eine Frau die unter dem Namen “Catillon” bekannt war und 1731 als Hexe verbrannt wurde, rehabilitiert. Oder fast.
Man kann sich darüber streiten ob solche ‘Rehabilitationen’ Sinn machen, sind sie doch hauptsächlich von symbolischer Natur (und ist dies nicht der Fall fürchtet man Geldforderungen). Die juristische Neubeurteilung solcher Fälle hat ein zweifelsohne ein sehr anachronistisches Element aber ich verstehen, wie man auf die Symbolik diese Aktes bestehen kann.
Trotzdem muss ich über die Kompromisslösung im Schweizer Kanton Freiburg nun etwas schmunzeln. Eine Motion verlangte die ‘Rehabilitierung’ einer Frau mit dem Namen Catherine Repond besser bekannt als Catillon, die 1731 hingerichtet wurde, nachdem sie unter Folter gestand, eine Hexe zu sein. Bis zur Rehabilitation wollte aber das Freiburger Kantonsparlament doch nicht gehen. Man begnügte sich nun mit einer generellen Erklärung für alle Opfer der Justiz des Ancien Régimes (‘altes Regierungssystems’), von dessen Rechtsnachfolge man sich gleichzeitig explizit distanzierte.
Ich finde zwei Aspekt von Bedeutung in diesem Schnipsel aus der Zeitung. Zuerst wäre da einmal der generische Begriff des Ancien Régimes. Üblicherweise wird der aus dem französischen Kontext stammenden Begriff in Europa angewendet in Referenz zur französischen Revolution und steht für das System, das vorher bestand, das absolutistische, monarchische System. Man sieht sozusagen einen Bruch mit der Modernität. In der Schweiz ist der Begriff in seinem Sinn noch viel mehr beladen, wird doch die für den Schweizer Nationalstaat so zentrale Rolle von Napoleon und die Besetzung der Schweiz durch französische Truppen relativ aktive ausgeblendet (ich habe mich in meiner doch relativ langen Schulkarriere nie auch nur Ansatzweise mit dieser Epoche beschäftigen müssen).1 Diese folgte auf das Ancien Régime und bildet eine schwammige Zwischenzone bis zur Gründung des Nationalstaates 1848. Die Erklärung klingt in meinen Schweizer Ohren nun fast ein wenig nach: “Wir bedauern, was die anderen gemacht haben”, eher seltsam für Gerichtsfälle die 200 Jahre zurückliegen, wie ich finde.
Der zweite interessante Aspekt ist, dass man an der Geschichte der Hexenverfolgung in der Schweiz einiges ablesen kann und deren Ausmass häufig unterschätzt wird. Der Grund hierfür ortet das historische Lexikon der Schweiz unter anderem in der Lage der heutigen Eidgenossenschaft:
Die Schweiz liegt im Zentrum einer Zone zwischen Oberdeutschland und Südostfrankreich, in der die frühneuzeitl. Hexenprozesse von Anfang an in grösserem Ausmass einsetzten, das kumulative Hexenkonzept massgeblich formuliert wurde und die Hexenverfolgung am intensivsten war. Gemäss einer groben Schätzung fanden in Westeuropa rund 110’000 Hexenprozesse statt, etwa 10’000 davon im Raum der heutigen Schweiz.
Eine Konsequenz davon ist, dass uns der zweifelhafte Ruhm zukommt, 1782 mit Anna Göldi, die letzte vermeintliche ‘Hexe’ in ganz Europa verurteilt und hingerichtet zu haben. Die Ausrede aber das taten alle, gilt nur beschränkt. Die juristischen Standards waren selbst für damalige Verhältnisse schwach. Dazu wieder das Historische Lexikon der Schweiz:
Spezifisch für die schweiz. Hexenprozesse ist die geringe Beachtung der Vorschriften der Reichsordnung für die Strafgerichtsbarkeit von 1532 (Carolina). Eine glaubhafte Zeugenaussage zu einem Schadenzauber reichte zur Konstituierung eines Corpus delicti während langer Zeit aus. Die zur Anordnung der Folter vorgeschriebene vorgängige Aktenversendung an eine jurist. Fakultät oder eine vorgesetzte Behörde war in der Schweiz nicht üblich. Auch sah die Carolina nur den Schadenzauber als justiziabel an [im Gegensatz zur ‘Teilnahme am Hexensabbat’]
Die Historiker orten mehrere Gründe für die Hexenverfolgung in der Schweiz. Mir sprangen vor allem drei Aspekte ins Auge: Erstens wäre da die starke Dezentralisierung. Sie hatte anscheinend einen negativen Einfluss auf die Chancen, nicht verurteilt zu werden. Zweitens schienen politische Konflikte gegen Innen und Aussen die Hexenjagd abzudämpfen. Drittens ging das religiöse Konzept der Häresie eine ‘unheillige’ Allianz mit dem Hexenglauben ein.
Vielleicht hätte man sich doch etwas mehr Mut vom Freiburger Kantonsparlament erhofft. Die Hexenverfolgung scheint durchaus ein Teil der Schweizer Geschichte zu sein. Sonst scheut man sich auch nicht, sich auf (mythische) Ereignisse als historische Fakten zu berufen, die noch viel weiter zurückliegen als das 18. Jahrhundert.
1 Interessanterweise eigentlich eine Post-Revolutionäre Phase in Bezug auf Frankreich.
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