Wie die Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen, steht dieses Wochenende die Abstimmung zur Komplementärmedizin in der Schweiz an. Mit grosser Sicherheit wird diese mit überwältigendem Mehr in die Verfassung festgeschrieben werden. Ich habe schon mehrmals meinem Frust Ausdruck verliehen, den ich bei diesen Diskussionen mit meinen Landsleuten regelmässig aufbaue. Es ist nicht das erste Mal, dass man sich einen besseren Informationsstand der Stimmenden wünschen würde und ich möchte hier kurz auf dieses Problem mit zwei Beispielen hinweisen.
Zuerst eine kleine Anzeige, die ich vor zwei Tagen gefunden habe und die sich auf eine lokale Abstimmung in Genf bezieht. Ich kenne die Details der Frage nicht aber es geht soweit ich es verstanden habe grob darum, dass man eine Anpassung an das eidgenössische Strafrecht in der kantonalen Verfassung machen muss und eine Konsequenz davon ist, dass die Geschworenengerichte abgeschafft würden (das zumindest ist der Stein des Anstosses). Die Frage ist also ob man diese Verfassungsänderung gutheissen möchte oder nicht. Nun bin ich auf folgende Annonce gestossen:
Da wird also gesagt, dass die Fragestellung ‘zweideutig’ sei (La question […] est ambiguë !) und fett festgehalten “Falls Sie für die Jury sind, müssen Sie NEIN stimmen” (Si vous êtes pour le jury, il faut voter NON). Tja, man schmunzelt. Wenn das einer nicht kapiert hat beim Lesen der Abstimmungsinformationen, ob der auch wirkliche in Kenntnis aller wichtigen Elemente einen Entscheid fällen kann? Ob diese Person denn auch wirklich einen informierten Entscheid über das Steuerrecht und das Schulsystem, worüber in Genf am Wochenende auch abgestimmt wird, fällen können? Gibt man hier vielleicht ehrlich zu, dass die Leute weniger über Detailfragen abstimmen als über Schlagworte?
Dieses Inserat erinnerte mich an eine Abstimmung, die wir im November 2005 durchführten. Es war die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft», die ein Moratorium für solche Produkte in der Schweizer Landwirtschaft durchsetzen wollte und tat (hier der Wortlaut). Die Initiative wurde mit 55.7% angenommen. Die Analyse des Resultats stellte den Schweizer Stimmenden ein desaströses Zeugnis aus, was spezifisches Wissen betraf. 68% wussten nicht, dass das Verbot nur für die heimische Erzeugnisse galt und nicht ganz ein Drittel waren sich dessen bewusst (das Resultat hätte es wohl kaum geändert). Der Bericht fährt fort:
Für drei von vier Ja-Stimmenden war die Ablehnung der Gentechnologie der Hauptgrund für ihren Entscheid. Nicht alle davon lehnen die Gentechnologie aber grundsätzlich ab; viele möchten mit der praktischen Umsetzung ihrer Ergebnisse noch zuwarten, bis alle möglichen Auswirkungen geklärt sind und die Forschung weiter fortgeschritten ist. Für ein Drittel der Ja-Stimmenden standen Nützlichkeitserwägungen im Vordergrund. Für sie macht es keinen Sinn, die Gentechnologie in der Landwirtschaft einzusetzen, da die herkömmlich gezüchteten Sorten ihres Erachtens geschmacklich besser und gesünder sind.
Man kann sich vorstellen, was bei diesem Informationsstand bedeuten muss “bis alle möglichen Auswirkungen geklärt sind”. Heisst wohl nie. Auch das “geschmacklich besser” ist ein seltsames Argument in einer solchen Frage. Dachten die Antwortenden tatsächlich, sie schmecken ob eine Pflanze gentechnisch verändert wurde oder nicht? Ich befürchte, die haben über Hors-Sol Tomaten abgestimmt.
Das Beste aber habe ich mir zum Schluss aufgespart: 13% der Nein-Stimmenden, stimmten so, weil Sie gegen die Gentechnik eingestellt sind. Sie haben also Nein gestimmt, hätten aber eigentlich Ja sagen müssen. 13% scheint mir viel. Handelt es sich hier vielleicht einfach nur um Personen mit einem sehr niedrigen Bildungsstand? Nochmals der Bericht:
Dieser Fehlschluss war zwar bei Personen mit niedriger formaler Bildung überdurchschnittlich verbreitet, kam jedoch durchaus auch bei Hochschulabsolventen vor.
Wiederum hat dies das Resultat nicht verändert (die Initiative wäre sonst höchsten noch deutlicher angenommen worden). Es gibt aber einem schon zu denken, wenn so viele Bürgerinnen und Bürger mit simplen Ja-Nein Fragen überfordert sind. Ich stehe hinter dem System der direkten Demokratie (wohl auch weil ich damit aufgewachsen bin) und es hat viele Vorzüge. Die Grenzen des Systems werden mir aber immer mehr bewusst und ich habe keine Lösung für dieses Problem. Meistens bewerten meine Miteidgenossen in der grossen Mehrheit Dinge einfach politisch anders. Manchmal verstehen sie es aber schlicht nicht. Diese Wochenende werde ich bestimmt wieder meine Zweifel an den Vorteilen der direkten Demokratie kriegen.
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