Es war auch auf diesen Seiten kaum zu verpassen: Das Schweizer Stimmvolk hat gesprochen und kam zum Schluss, dass die Komplementärmedizin in der Bundesverfassung verankert werden soll. Was passiert nun?
Obwohl ich eigentlich lieber eine Pause einlegen möchte, was diversen Hokuspokus anbelangt, muss ich hier bei zoon politikon doch noch einmal darauf zurückkommen und möchte mir ein paar Gedanken zum Resultat machen und darüber spekulieren, was nun als nächstes politisch passieren wird.
Eigentlich könnte man, trotz aller Frustration, dieses Ändern der Naturgesetze per Volksentscheid (ähnliche Siege der mutmasslichen populären Un-Informiertheit kennt man auch aus Abstimmungen in den USA) als Experiment betrachten. Nun werden die vielen Behauptungen plötzlich Ernst genommen und es wird schwieriger sich als unterdrückte Minderheit darzustellen. Ein Argument tauchte bei den Befürwortern der Alternativ-‘medizin’ immer wieder auf, welches auch in Religion und Wissenschaftsdiskussionen immer wieder anzutreffen ist und im Begriff ‘Komplementär’ schon enthalten ist: Man wolle im Abstrakten die Stellung der evidenzbasierten Medizin gar nicht in Frage stellen (man tut es dann in der Regel konkret trotzdem) sondern plädiere eigentlich für eine friedliche Koexistenz. Durch den Verfassungsartikel werden nun aber noch mehr Überlappungen stattfinden und aus dem Nebeneinander wird vermehrt ein entweder oder. Die Komplementären werden sich vermutlich versuchen auf Kosten der Medizin breit zu machen. Da vor dem Recht aber alle gleich sind (zumindest sein sollen) wird man auch die gleichen gesetzlichen Anforderungen an die ‘Alternativen’ stellen. Ich hoffe, dass dies den Beweisnotstand in diesem Gebiet deutlicher machen wird.
Die Abstimmungsanalyse wird noch einige Zeit auf sich warten lassen und ich kann hier nur als bestenfalls informierter Beobachter spekulieren aber keine Analyse bieten. Neben dem überwältigenden Ja Anteil von 67% fiel mir vor allem eines auf und dies überraschte mich: In der französischsprachigen Westschweiz wurde die Vorlage deutlicher angenommen als in der Deutschschweiz. Dies überraschte mich insofern, dass mein Eindruck bisher war, dass man in der Romandie viel mehr auf die evidenzbasierte Medizin vertraut. Vielleicht hat es damit zu tun, dass man auch ein anderes Staatsverständnis pflegt und weniger Hemmungen hat, dem Staat Verantwortung zu übertragen. Dies würde aber die ‘Vernunft’ hinter den höheren Nein Stimmen in einigen Deutschschweizer Kantonen weiter relativieren, da es weniger ein Entscheid für gleichlange Spiesse war, sondern mehr ein prinzipieller Reflex gegen eine Verschiebung von individueller Verantwortung zur staatlichen. Inhalttlich vermute ich, waren die Stimmenden kaum informiert. Zu dieser Interpretation des Resultats passt auch, dass kaum eine Debatte stattgefunden hat. Eine Kampagne haben nur jene geführt, die finanzielle Interessen in der Sache hatten.
Es sieht im Moment nicht so aus, als ob ab sofort Weihwasser von der Krankenkasse gedeckt werden muss. Der zuständige Bundeserat (Minister) Couchepin zeigte sich für Schweizer Verhältnisse untypische Art widerspenstig und meinte, dass gemäss Gesetz nach wie vor die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit gelten würden. Das heisst wohl, dass es im Moment für die Phytotherapie besser aussieht als für die Verdünner vom Dienst der Homöopathie. Aber wer weiss, vielleicht kommen ganzheitliche Zahnmediziner wieder mit Quantenmechanik in der ‘Beweisführung’ zur Hilfe.
Ohne herkömmlichen Nachweis von Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit braucht es eine Gesetzesgrundlage. Für ein Mitglied des Parlamentes ist jedoch wohl einfacher, einen abstrakten Verfassungszusatz gutzuheissen, statt im Parlament dafür zu votieren, dass der Leistungskatalog erweitert werden soll. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der finanziellen Belastung, die die Krankenkassenprämien für die Schweizer Bevölkerung zur Zeit darstellen. Auch die von Albonico geforderten (“höchtens”!) 10 Lehrstühlen für Komplementärmedizin scheinen eher illusorisch. Hoffentlich.
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