Zum Abschluss des Semesters bei uns am Institut hielt Stephen Walt einen Vortrag zur Frage, warum aus seiner Perspektive unser Fach immer weniger Relevanz für die Politik habe und was dagegen zu tun sei. Ein Bericht über einen überraschend interessanten Vortrag.
Walt gehört zu den wenigen Namen in meinem Fach, den auch interessierte Laien manchmal kennen. Das alleine ist schon eine Leistung. Diese Bekanntheit verdankt er vor allem der Kontroverse um das Buch The Israel Lobby and US Foreign Policy, welches er zusammen mit John Mearsheimer verfasst hat.
Zuerst stellte ich mal fest, dass ein ‘grosser Name’ eine äusserst relative Angelegenheit ist. Was drinnen ‘gross’ ist, ist ausserhalb der Tür einer spezialisierten Institution schnell gar nichts mehr. Eigentlich immer wieder schön festzustellen, somit bleibt man mit den Füssen auf dem Boden. Der Vortrag war nur fakultätsintern von unserem sowieso schon sehr kleinen Departement. Er fand in einem der Seminarräume statt, in denen man im Sommer gekocht und im Winter tiefgefroren wird (es handelt sich um provisorisch erstellte und unwirtliche Flüchtlingsbaracken aus der Zeit des zweiten Weltkrieges).
Die Grundthese von Walt (hier ist der Artikel als .pdf) ähnelte sehr derer von Joseph Nye in seinem Washington Post Editorial, welches hier im Blog vor nicht langem Thema war. Stimmen aus der Forschung werden kaum gehört, wenn es um politische Entscheidungen in der Aussenpolitik geht. Dies ist natürlich aus der Sicht des Fachs bedauernswert.
Im Prinzip könnte gemäss Walt Theorienbildung (wie er sie versteht) durchaus nützlich sein in diesem Kontext. Die Punkte die er aufzählte, gelten durchaus auch für die erweiterten Sozialwissenschaften. Er sieht Theorie als ein Diagnose-Instrument, als Werkzeug um aus der Geschichte zu lernen, um Zukünftige Ereignisse zu antizipieren, um Konsequenzen von spezifischen Handlungen vorauszusagen, die Effektivität von gewissen Massnahmen zu messen, Stereoptypen zu hinterfragen und zu dekonstruieren (meine Wortwahl) und last but not least sei sie ein gutes Training in strukturiertem, kritischen, analytischen Denken und Argumentieren.
Warum hören die Politik also nicht hin? Walt meint, dass viele Themen schlicht nicht interessieren und viel zu abstrakt sind, dass sie relevant wären für die Politik. Dass was sich ein Forscher vom Beantworten einer Frage verspricht, nicht das ist, was eine Politkerin, ein Politiker wissen möchte. Er glaubt, dass die beiden Gruppen mit grundsätzlich unterschiedlichen Zeithorizonten operieren (‘in den nächsten 12 Stunden’ versus ‘in den nächsten Monaten’). Ausserdem interessiere sich die Politik für praktische Lösungen konkreter und spezifischer Probleme, die Forschung hätte eher eine Tendenz zu ‘grossen Ideen’.
Walt skizzierte auch wo er die Ursache des Problems wähnt und was er denkt, was man dagegen unternehmen kann. Dies ist wo er sich mit Nyes Editorial wieder trifft. Er meint man müsse Inhalte mehr und besser kommunizieren. Das Hauptproblem sieht er in den akademischen Strukturen, wo konkretes, weniger theoretisches oder gar Kommunikation an ein Laienpublikum verpönt sei. Insofern und das hat er in der Diskussion auch eingeräumt, war der Titel schlecht gewählt, da nicht ‘die Theorie’ an und für sich das Problem sei, sondern die Lehre (‘Scholarship’).
Solche Kommunikation kann zum Beispiel via Blog geschehen. Walt schreibt seit ein paar Monaten einen solchen für Foreign Policy (ich habe hier auch schon einer seiner Posts aufgenommen und er ist mit anderen Foreign Policy Blogs in meiner Blogroll). Walt nahm explizit Bezug auf sein Blog und erwähnte es wiederholt. Das Medium erlaube es auch weniger ausgegorenes (und das gelte auch für seine Beiträge) in einem höheren Tempo in die öffentliche Diskussion zu bringen und die Stimme unseres Fachs einem grösseren Publikum zugänglich zu machen. Ein solches Unterfangen solle eigentlich akademisch belohnt werden (da stimme ich natürlich voll und ganz zu) und nicht den Todeskuss (‘Kiss of Death‘) bedeuten (wohl von ihm etwas drastisch formuliert, hoffe ich zumindest).
Ich habe nicht viel vom Vortrag erwartet. Normalerweise sind die ‘Big Shots’ eher langweilig und leiern etwas vom Stapel. Ausserdem ist Walt ein Ork was die Denkschule betrifft, was für mich persönlich nicht wirklich das Interesse erhöhte. Er wirkte aber sympathisch, witzig und selbstironisch (Für die Geeks: ‘I had a Morgenthauian Epiphany – Although some people claim, I converted a long time ago already’) und an einem Austausch von Ideen und einer europäischen Perspektive interessiert. Nur ob er das Bloggen ganz verstanden hat, war ich mir nicht ganz sicher. Er meinte im Verlauf des Vortrags einmal, er hätte sogar ‘einige male ein paar Kommentare gelesen’ und sei erstaunt gewesen, wie heftig die Kommentare gewesen seien und wie schnell sie kamen. Kommunikation scheint er vor allem in eine Richtung zu definieren.
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