In fast allen Einführungsvorlesungen der Internationalen Beziehungen, wird den Studierenden beigebracht, dass sich das Fach um eine Frage entwickelt hat: Warum gibt es Krieg? Bald wurde auch die Gegenfrage gestellt, die nach wie vor ebenfalls ein wichtiges Thema darstellt in meinem Fach: Warum gibt es Kooperation, wenn ein Krieg aller gegen alle der ‘natürliche Zustand’ der Menschen ist (Hobbes)? In einem jetzt erschienen Artikel im Science geht Samuel Bowles auf diese Frage ein. Seine These: Krieg ermöglicht genetisch determinierten Altruismus (Bowles, S. 2009, Did Warfare Among Ancestral Hunter-Gatherers Affect the Evolution of Human Social Behaviors? Science, 324 5932).
In der Biologie wurde die Frage ob es Gruppenselektion geben kann, lange und heftig debattiert. Gruppenselektion will heissen, dass ganze Gruppen sich einen genetischen Vorteil gegenüber anderen Gruppen verschaffen können und in Konkurrenz zu diesen, so einen Überlebensvorteil haben. So könnte zum Beispiel Altruismus sich entwickeln, weil kooperierende Individuen in einer Gruppe zum besseren Überleben der ganzen Gruppe beisteuern. Individuen opfern also etwas für das Gemeinwohl der Gruppe. Die Gegner dieser These führen mathematische Unwahrscheinlickeit ins Feld und sehen die Selektionsebene nur bei Genen plausibel (dazu gehört zum Beispiel Richard Dawkins, der genau so argumentierte im Bestseller The selfish Gene). Würde ein solcher Genpool entstehen, so zumindest argumentieren die Skeptiker, dann würde sich ein ‘egoistisches Gen’ darin schneller vermehren, da es selbst die Kosten nicht eingehen würde, die die anderen tragen und von den anderen Gruppenmitglieder, die es tun, profitieren.
Bowles vertritt nun die These, dass Krieg teilweise das Entstehen von Altruismus auf der Basis einer Form von Gruppenselektion erklären könnte. Er argumentiert, dass für erfolgreiche Kriegsführung Kooperation respektive ein gewisser Grad an Selbstlosigkeit nötig ist. Ausserdem ist Krieg für die Gene vieler seiner Teilnehmer eine Sackgasse (wer tot ist, kann sich nicht vermehren). Um seine These zu bestätigen, suchte Bowles in den Daten von Archäologen und Ethnologen und suchte Zahlen zur Kriegsführung von Jäger und Sammler Kulturen. 23 gefundene Studien, die er als zuverlässig genug einstufte, fütterte er anschliessend in ein mathematisches Modell.
Wenn in diesem Zusammenhang von Krieg die Rede ist, ist eher etwas gemeint, dass man in meinem Fach wohl als Low Intensity Conflict, ein Konflikt niedriger Intensität also, bezeichnen würde (Überfälle, Plünderungen, etc.). Die Studien schätzen (und Bowles weist im Artikel daraufhin, dass diese Schätzungen wegen der dünnen Indizienlage mit Vorsicht zu verwenden sind) die Mortalität durch solche Konflikte auf ungefähr 12-16%. Eine hohe Zahl, die vermutlich über der der beiden Weltkriege im letzten Jahrhundert liegen dürfte.
Das Modell bestätigt unter den von Bowles gemachten Annahmen, dass Krieg unter diesen Umständen den Selektionsdruck so verändert, dass sich ein Gen für Selbstaufopferung in einer Gruppe durchaus durchsetzen kann. Er rechnet vor, dass ein solches altruistisches Gen, mit Reproduktionskosten-Kosten von nur 3% in nur 150 Generationen von einer 90% Verbreitung auf 10% absacken würde ohne kriegerische Handlungen. Krieg scheint eine treibende Kraft zu sein. Dies zeigt (immer noch innerhalb von Bowles Annahmen), dass die Durchsetzung ein solches Gen in einer Gruppe gar nicht so unwahrscheinlich ist unter den gegebenen Bedingungen. Natürlich könnte man nun auch darüber philosophieren, ob das überhaupt Gruppenselektion darstellt, da das Argument eigentlich auf der Basis von ‘egoistischen Genen’ gemacht wird, aber darum geht es hier nicht und das ist auch nicht Bowles Interesse. Das überlasse ich den mitlesenden Biologen.
Das Hauptproblem ist wohl die Reduktion und die vielen Vereinfachungen in der Studie. Die Datenlage ist relativ dünn und es besteht ein Verdacht auf Verzerrungen (was findet man überhaupt noch, über welche Funde wird berichtet, etc.). Bowles geht in seinem Modell auch von nur einem Allel aus, welches den Unterschied macht für ein wohl, wie ich vermute, eher komplexes Verhalten. Ich hatte den Eindruck, dass es eine gewisse Unschärfe existiert, zwischen Altruismus, Selbstaufopferung und Kooperation im Allgemeinen. Man kann relativ leicht argumentieren, wie Kooperation durchaus egoistisch motiviert sein kann. Diese Unschärfe macht Bowles Argument zwar abstrakter, aber nicht weniger interessant.
Was heisst das nun für die Internationalen Beziehungen? Für die Internationalen Beziehungen ist es interessant, dass die beiden ‘grossen Themen’, Krieg und Kooperation zusammengebracht werden und nicht ein Gegensatzpaar bilden. Wir erfahren zwar nicht, warum es Krieg gibt, aber dass Kooperation nicht in Opposition dazu steht, sondern Hand in Hand damit geht. Natürlich stellt man sich auch die Frage, da bei einer tieferen Mortalität der Überlebensvorteil von einem solchen altruistischen Gen rapide sinkt (Bowles schreibt wie oben erwähnt in einem Beispiel von den 150 Generationen) ob wir dann eigentlich nicht in einer viel weniger kooperativen Gesellschaft leben müssten, als wir es tun. Man muss aber fairerweise Bowles zustehen, dass er gar nicht so ambitiös ist. Er wollte zeigen, dass unsere Vorfahren unter genug Gewalt litten, dass diese die evolutionäre Entwicklung von sozialem Verhalten beeinflussen konnte. Vielleicht kann man das Modell auf weniger drastische Beispiele als Krieg auszuweiten versuchen.
Bowles, S. (2009). Did Warfare Among Ancestral Hunter-Gatherers Affect the Evolution of Human Social Behaviors? Science, 324 (5932), 1293-1298 DOI: 10.1126/science.1168112
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