In der Schweiz rauscht es gerade im Blätterwald, weil eine Gruppe Jugendlicher auf einer Weiterbildungsreise in München zufällig auf Passanten einprügelten und eines ihrer Opfer fast zu Tode kam. So schrecklich diese Ereignisse sind, deren mediale Verarbeitung lässt ebenfalls zu wünschen übrig.
Fotographie des Schlägers G. K.: Im Alkoholrausch auf Prügeltour
Die Geschichte passt gut in ein die-Jugend-von-Heute Schema (ich habe hier auch schon über den Mythos der verlorenen Unschuld geschrieben). Es wurde auch vom Staatsanwalt gleich entsprechend eingeordnet als er sagte, man könne sich das als “eine Art Amoklauf vorstellen, zum Glück nicht mit Waffen”. Dies wurde auch gleich als Schlagzeile übernommen, zum Beispiel von NZZ online, Schweizer Radio DRS1 oder Welt online. Haben es alle verstanden? Das ist Columbine, Erfurt und Winnende! So schlimm und unverständlich die Tat auch ist, sehe ich wenig Gemeinsamkeiten mit einem Amoklauf und diese Aussage dienen vor allem der Schubladisierung der Tat als einer wirklichen Analyse. Um so unverständlicher ist es, warum dies von vielen Medien einfach übernommen wird.
Noch etwas ist übrigens anders als bei den Amok-Taten die in den letzten Jahren in den Medien hochgeschaukelt wurden: Die Politik nahm sich normalerweise diesen Ereignissen immer gleich an und fand eine passende monokausale Erklärung für das ausserordentliche Ereignis (in der Regel Computerspiele). Da die Täter vorher Alkohol und Canabis konsumiert zu haben scheinen, warte ich jetzt natürlich auf die Debatte, ob vielleicht Alkohol auch verboten werden sollte. Sowas darf doch nie wieder passieren, oder?
Der Vorfall ist kaum wie suggeriert ein weiteres Zeichen der Verrohung der Sitten. Die Sitten waren schon immer roh. Ich bin überzeugt, dass ein solches Gewaltpotential schon immer bei (vor allem männlichen) Jugendlichen existierte. Liest man zum Beispiel den Don Quijote staunt man mit welcher Selbstverständlichkeit und Brutalität junge Männer oft auf den armen Junker einprügeln, oft nur zum Spass und bis zur Erschöpfung. Aber das ist Fiktion mag man einwenden, und reflektiert nicht die Realität zur Zeit. Doch es gibt auch andere spätere Beispiele, zum Beispiel der erste Staatsschreiber des Kantons Zürich, vielen Lesenden wohl mehr für sein literarisches Werk als Gottfried Keller bekannt:
Bei dieser Gelegenheit muss ich Ihnen noch nachträglich gestehen, dass jenes blaue Auge, mit welchem ich einst bei Ihnen erschien, obgleich ich es abgeleugnet, dennoch von Prügeln herrührte. Ich hatte nämlich nicht nur den Schlivian geprügelt, sondern in der folgenden Nacht wieder einen, wegen dessen ich verklagt und von der Polizei um fünf Taler gebüsst wurde. In der dritten Nacht zog ich wieder aus, fand aber endlich meinen Meister in einem Hausknecht, der mich mit dem Hausschlüssel bedienten, worauf ich endlich in mich ging. Es war ein Donnerstags-, Freitags- und Sonnabendsnacht, wo ich so mit gebrochenem Herzen mich umtrieb und anderen Leuten mir zu Erleichterung an den Köpfen kratzte.
Solche Gewalt wurde früher einfach nicht als ausserordentliches Ereignis wahrgenommen. Es ist wohl mehr die Perzeption, die sich geändert hat, nicht zuletzt wegen der boulevardiesierung der Medien, die sich auf solche Geschichten stürzen.
Natürlich wird in der Berichterstattung in den Schweizer Medien wie immer in solchen Fällen auch gleich noch eine Migrationsdebatte angetönt (man lese zum Beispiel einige der Kommentare im oben verlinkten NZZ Artikel). Es wird immer brav berichtet, was für Pässe die Tatverdächtigen hatten (ja, es handelt sich um Verdächtige bis zur Verurteilung, auch wenn Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils in den Medien nur wichtig zu sein scheint, wenn man andere Länder darüber lektoriert, wie ein Rechtsstaat zu funktionieren hat). Interessanterweise waren drei von fünf Schweizer. Von den drei Hauptverdächtigen, die festgehalten wurden, hat nur einer keinen Schweizer Pass. Dann müssen wohl andere Erklärungen her. Man weist brav auf den ‘Migrationshintergrund’ einer der Verdächtigen hin. Jubelt, wir haben nun eine Zweidrittelsmehrheit der Nicht-wirklich-Schweizer. Ich frage mich immer, ob ein solcher bei mir auch erwähnt werden würde (und als Erklärung dienen), sollte ich in die Negativschlagzeilen geraten.1 Es ist als ob es echte und falsche Schweizer geben würde und man nun mal genetisch vorbelastet ist, wenn man sich nicht zu den Auserwählten zählen darf.
Neben dem Alkoholverbot sollte man vielleicht auch die Möglichkeit Schweizern das Reisen ins Ausland zu verbieten und auch die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Schweizer in Betracht ziehen. Es wäre nicht mehr als konsequent. Ihr in Deutschland müsst natürlich in Anbetracht dieses lockeren Umgangs in der Schweiz mit Delinquenz und Gewaltkultur etwas gegen diese Ausländerkriminalität unternehmen: Schränkt die Reisefreiheit der Schweizer ein und kontrolliert sie besser. Wir fordern regelmässig das selbe von anderen.
Aber ich nehme an man sollte nicht verallgemeinern. Ausser es geht um Jugendgewalt.
1 Für die weniger regelmässigen Leser: Ich besitzt zwar eine zweite Staatsbürgerschaft, lebte aber mein ganzes Leben in der Schweiz und Allemanisch ist die einzige Sprache die ich wirklich beherrsche. Irgendwas auf meinen Migrationshintergrund zurückzuführen (den ich definitionsgemäss wohl habe) ist ein Witz.
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