Bei Scienceblogs.de gibt es die offiziellen Themenwochen. Diese Tage schreiben wir zum Beispiel mehr oder weniger koordiniert zur Mondlandung. Dann gibt es so eine Art inoffizielle Thementage, wo ein Post den nächsten auslöst und wir Scienceblogglinge unkoordiniert uns einer speziellen Frage annehmen. So geschehen mit dem Thema Gott und die Welt, losgetreten durch einen harmlosen Artikel von Florian. Mein Beitrag zu dieser inoffiziellen Serie fehlt noch. Wie kann ich da widerstehen.
Auf Florians Posting fand sich dann eine Antwort bei Georg und ebenfalls in dieser Serie wurde das Thema auch noch bei Arte-Fakten aufgegriffen. Ich will hier gar nicht die endlosen Kommentarschlachten weiterführen (natürlich dürft ihr wenn ihr wollt). Mir geht es um einen spezifischen Aspekt der bei Primaklima in der Diskussion immer wieder auftauchte.
Wann ist Religionskritik Intolerant und inwiefern muss man den Glauben anderer Menschen respektieren? Die meisten Agnostiker/Atheisten würden wohl sagen, dass solange Religion Privatsache bleibe auch kein Problem besteht. Dass Religion neuerdings etwas in die Defensive gerät hat in meinen Augen weniger mit einer neuen Agressivität im Diskurs der sogenannt ‘neuen Atheisten’ zu tun, sondern damit, dass Religion (die meistens eine überwältigende Bevölkerungsmehrheit hinter sich weiss) bisher Toleranz in Anspruch nahm ohne wirklich Privatsache zu sein.1 Ein Blick in die Zeitungen sollte eigentlich aufzeigen, was ich damit meine.
Religion ist nicht Privatsache wenn…
… zukünftiges Leiden in Kauf genommen wird in dem Forschung limitiert wird, weil ein alter Text auf Probleme angewandt wird, von den die Menschen damals nicht den Schimmer einer Ahnung hatten.
… wenn Paare die sich lieben, diskriminiert werden und dies mit Religion begründet wird.
… auf der Basis von anachronistischen Auslegungen von uralten Texte eine willkürliche Grenze gezogen wird, welche das Selbstbestimmungsrecht der Frauen einschränkt. Handelt es sich dann um das Leben einer vom Stiefvater vergewaltigen Neunjährigen, welches vermutlich ruiniert wird, während ihr Stiefvater mit Reue davonkommen kann, sieht man wie “privat” ein absoluter Moralanspruch sein kann.
… Menschen in die Luft gesprengt werden in der Hoffnung in einem zweiten Leben 72 Jungfrauen anzutreffen.
… Menschen in ihrem Leben alles hinnehmen sollen und auf das nächste vertröstet werden.
… wenn Frauen weniger wert sein sollen, weil man sich auf eine alte patriarchische Tradition beruft.
… der Staat, der auch meiner sein soll, für Kirchen (und dieser entscheidet wer eine ist und wer nicht) Geld eintreibt oder diese keines Zahlen müssen.
… ein Glaube den anderen bevorzugt wird und Kinder damit indoktriniert werden sollen (das ist das Schulgesetz des Kantons wo ich zur Schule ging, Paragraph 2, 1. Abschnitt beachten).
… ich die Verfassung aufschlage, die auch meine sein soll und gleich zum Anfang Mächte angerufen werden, für deren Existenz es absolut keine Belege gibt (Im Namen Gottes des Allmächtigen).
… ohne wirkliche Anhaltspunkte davon ausgegangen wird, dass eine übergeordnete Macht eine Latex-Allergie hat und darum Menschen sterben müssen.
… sich die Menschen die Köpfe einschlagen und Krieg führen weil einer ihrer Lieblingspropheten (oder -spinner) in grauer Vorzeit dort rumgewandert ist.
… Kindern mit ewiger Folter und Qualen Angst gemacht wird.
… heranwachsende indoktriniert werden um wenn sie erwachsen sind, diese Liste noch länger werden zu lassen.
… Organisationen Privilegien geniessen nur wegen dem was sie sind und darum die Rechtsgleichheit verletzt wird.
… das höhere Wesen für die Rechfertigung von so ziemlich allem herangezogen werden kann und darum bestenfalls Selbstgerechtigkeit und nicht Moral fördert.
… Tragödien in ihr Gegenteil verkehrt werden mit einer widersinnigen Logik und niemand sagt was.
… Volksverdummung betrieben wird weil etwas ohne (oder gar entgegen) jeglicher Vernunft zu glauben als positiv gesehen wird.
… auf der Basis von Religion Feindbilder geschaffen werden (die eigene Sekte ist immer die Verfolgten, die andere die Verfolgende).
… eine Minderheit nicht glauben darf was und wie sie will, weil die Mehrheit was anderes glaubt (ein unlösbarer Gegensatz, da beide Seiten keine Beweise haben können, sonst müssten sie nicht glauben).
… explizit mehr Religion in der Politik gefordert wird und dies aber unter dem Deckmantel der ‘Kultur’ verkauft wird.
… es Personen gibt, die der Meinung sind, sie können den Willen ihrer Gottheit in irdische Justiz umsetzen.
Die Liste könnte wohl endlos weitergeführt werden.
Der mit Religion sympathisierende Lesende wird nun einwenden wollen, dass dies nicht sein Glaube (oder der der meisten Gläubigen sei). Das stimmt vermutlich sogar. Ebenso stimmt es aber, dass täglich Probleme wie die oben aufgelisteten in der Zeitung zu finden sind und immer dient Religion als Begründung für die Untaten. Dies funktioniert, weil man eben nichts beweisen muss, da es eben um Glauben geht.
Nun versucht euch in die Situation einer Person zu versetzen, die wie ich davon ausgeht, dass es wahrscheinlich keine höhere Macht gibt, keinen Gott, keine Welt ausser dieser. Diese Person stösst sich an den obigen Beispielen (genau so wie ihr vermutlich) und hat nun zwei Möglichkeiten: Sich in einen 1000-Fronten-Krieg zu verzetteln oder aber die Prämisse in Frage zu stellen die allen Beispielen zu Grunde liegt: Das es mindestens eine höhere Macht gibt, der die Menscheheit verpflichtet ist, für deren Existenz es keine Belege gibt, deren Willen und Absichten unklar und umstritten sind, aber nach welchen uns richten sollten da wir für unsere Handlungen von dieser Macht (irgendwann) belohnt oder bestraft werden. Die Strategie sich dagegen zu wenden drängt sich gerade zu auf.
Es ist mir bewusst, dass würde Religion morgen verschwinden, ich weiterhin mit sehr vielen dieser Probleme trotzdem leben müsste. Vermutlich würde eine Verlagerung stattfinden. Ich bin aber überzeugt, dass es davon weniger geben wird. Ein vermeintlich gutes und universell anwendbares Argument wäre nämlich ebenfalls verschwunden.
Solange mit Religion versucht wird mein Leben und das anderer Menschen zu beeinflussen, solange fühle ich mich ebenfalls nicht verpflichtet, den zugrundeliegenden Ideen entgegenzutreten.
1Persönlich glaube ich auch, dass dies in den meisten Spielarten von Religion inhärent ist, aber darum soll dieser Eintrag hier nicht gehen.
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