Es ist nun doch schon ein paar Wochen her, als ich es schaffte Neal Stephensons Science Fiction Wälzer “Anathem” fertig zu lesen. Da mir im Moment die Zeit zum tiefschürfenderen Bloggen fehlt, möchte ich hier meine Eindrücke von dieser Lektüre mit Wissenschaftsbezug geben.
Ich werde in diesem Post nicht detailliert auf die Geschichte eingehen. Das Buch wurde schon an verschieden Orten besprochen, zum Beispiel dreimal von Scienceblogglingen (Pharyngula, Aardvarchaeology und Hinterm Mond gleich links) oder dem Wall Street Journal. Ausserdem werde ich so sicher nichts von der Geschichte verraten, sollte jemand das Buch lesen wollen.
Eigentlich wäre es am einfachsten, könnte ich eine flammendes Plädoyer für das Buch halten oder eine vernichtende Kritik schreiben. Irgendwie hat “Anathem” bei mir nicht genug Emotionen ausgelöst um das eine oder andere mit ruhigem Gewissen zu tun. Genau dies ist auch mein Hauptproblem mit dem Buch.
“Anathem” hätte das Potential gehabt, eines dieser Science Fiction Bücher zu werden, die man verschlingt, die einem eine Reise in eine andere Welt ermöglichen und die man bei jedem Gespräch, in dem der Gesprächspartner ein wenig Geekness zu erkennen gibt, sofort wärmstens das Buch zur Lektüre empfiehlt. Hätte gehabt.
Der Stephenson schafft es eine konsistente und plausible alternative Welt zu schaffen. Er benutzt gerade genug Vertrautes und webt es in eine Beschreibung eines Planeten, deren Einwohner fast wie wir sind, aber eine alternative Geschichte durchlebt haben. Reizvoll ist das Spielen mit der Idee von Wissenschaftlern, die durch Mauern von der Aussenwelt getrennt in einer Art Klostergemeinschaft leben. Religion gehört in diesem Fall zur Welt ausserhalb der Klostermauer. Der Respekt vor dem Wissen spürt man gut heraus. Stephenson spickt diese Welt mit Referenzen und Anspielungen an wissenschaftstheoretische Debatten und Strömungen, neuste Forschung und alte Konzepte. Das ganze ist in eine Geschichte verpackt, die sehr viel Spannung aufbaut.
An dieser Stelle muss ich nun über meine Enttäuschung mit dem Buch schreiben. Die Geschichte hätte auch auf 500 Seiten erzählt werden können (statt über 900). Dies hätte dem Leser wohl einige Längen erspart und das Buch zum veritablen Page Turner gemacht. Stattdessen wird der Lesende mit einer Vielzahl neuer (selbsterfundener) Begriffe bombardiert, die Anfangs durchaus als witzige etymologische Spielereien erscheinen doch je länger je mehr nur noch die Lektüre verkomplizieren (das Buch hat zum Glück ein Glossar). Auch hier wäre weniger mehr gewesen. Auch den Sinn der eingeflochtenen Liebesgeschichte sehe ich nicht ein. Sie mag der Hollywood-tauglichkeit dienen, für diese Geschichte ist sie jedoch in meinen Augen nur überflüssiger Ballast.
Trotzdem ist das Buch spannend genug, dass man es zu Ende liest (so ging es mir zumindest). Leider kam für mich gleich zum Ende nochmals eine Enttäuschung (ich versuche diese hier so allgemein wie möglich zu beschreiben um niemanden die Lektüre zu verderben). Wenn man über 800 Seiten einen Spannungsbogen aufbaut und diesen dem Ende zuführt, kann man diesen nicht dadurch auflösen, in dem man das ganze Weltgefüge per deus ex machina aushebelt und völlig willkürlich jegliche Erwartungshaltung beim Leser einfach ignoriert. Man stelle sich vor Harry Potter wäre im letzten Band plötzlich bei seinen Eltern aufgewacht und hätte festgestellt, dass er nur einen intensiven Traum gehabt hätte (nein, das passiert nicht in “Anathem”, aber in meinen Augen etwas für die Geschichte ähnlich desaströses). Die Schlusszene des Buches, die mich in ihrer Idylle ein wenig an die Illustrationen der Prospekte der Zeugen Jehovas erinnerten, rettet die Geschichte so auch nicht mehr. Da hilft es auch nicht, dass der Autor diese wohl durchaus augenzwinkernd gemeint hat, bezieht sich doch ein Charakter explizit auf deren Kitsch.
Für Unterhaltung ist gesorgt. Stephenson hat eine faszinierende Welt erfunden und viele gute Einfälle in das Buch gepackt. Trotzdem kann ich es nicht mit Begeisterung zur Lektüre empfehlen. Vielleicht sind andere Bücher von ihm besser. Ich muss nun wohl doch einmal “Snow Crash” lesen. Vielleicht gefällt mir das.
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