Die Neue Zürcher Zeitung berichtet über ein Missverständnis im Zusammenhang mit einem Vorstoss eines Schweizer Parlamentariers. Es mag einerseits durchaus zum Schmunzeln bewegen, aber vielleicht wäre Gänsehaut eine treffendere Reaktion.

Ein Nationalrat (Mitglied der grossen Kammer des Schweizer Parlaments) der Schweizerischen Volkspartei Dominique Baettig hat eine Anfrage an den Bundesrat (in der Schweiz die Exekutive) gerichtet mit dem harmlos erscheinenden Titel: Folgekosten des Eindringens gebietsfremder Arten (im französischen Original: Coûts engendrés par les espèces invasives). Darin bezieht er sich auf eine wissenschaftliche Studie, die eben genau dies zu Quantifizieren versuchte (Montserrat Vilà et al., How well do we understand the impacts of alien species on ecosystem services? A pan-European, cross-taxa assessment, 2009). Hier die einleitenden Passagen der Anfrage:

Ein von Montserrat Vilà geleitetes wissenschaftliches Team hat zum ersten Mal in Europa versucht, die von den wichtigsten gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten verursachten Kosten einzeln aufzulisten, dies natürlich ohne das Grippevirus H1N1. Von insgesamt 10 000 bekannten neu eingedrungenen Arten werden mindestens 1 347 wirtschaftliche Folgen haben. Der Bericht der Europäischen Kommission vom Dezember 2008 erwartet Kosten von zwischen 9,6 und 12,7 Milliarden Euro; für die Behebung der Schäden, die von bestimmten Insekten verursacht werden, für die Ausmerzung eingeschleppter Pflanzen, sowie für die Bewältigung der wirtschaftlichen Auswirkungen importierter Schalentiere, nicht-einheimischer Fische oder eindringender Säugetiere.

Soweit so gut. Nun zur eigentlichen Frage:

Eine Studie der ökologischen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen der Migrationsbewegungen wurde meines Wissens in der Schweiz noch nie durchgeführt.

Könnte der Bundesrat, ähnlich wie für die Tier- und Pflanzenarten, eine Einschätzung der ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Migrationsbewegungen in den letzten zehn Jahren durchführen? Wie hoch schätzt er die Kosten für die nächsten fünf Jahre?

Zur Vorbereitung des Geschäftes wurde diese Anfrage gemäss NZZ an das zuständige Umweltamt weitergeleitet und die Beamtinnen und Beamten taten ihre Pflicht. Als das Geschäft zu Konsulationszwecken weiterverbreitet wurde, hat es jemandem gedämmert: Der Herr Baettig scheint trotz seines früheren Engagements für Biodiversität was Kartoffeln anbelangt, dieses Mal Menschen gemeint zu haben!1 Auch in der verlinkten Geschäftsdatenbank des Schweizer Parlament scheint es niemand gemerkt zu haben (Tags: Tierwelt, Pflanzenwelt, ökologisches Gleichgewicht, Schaden, wirtschaftliche Auswirkung, Kostenrechnung, biologische Vielfalt)

Es ist mir durchaus bewusst, dass wir zu den Säugern gehören. Wer aber im Kontext von Migrationspolitik von “Insekten” spricht und von “Ausmerzung eingeschleppter Pflanzen” betreibt eine gefährliche Dehumanisierung. Die Gleichsetzung von nationalen Grenzen und natürlichem Lebensraum respektive Nationalität und Art verrät auch einiges über das Denken dieses Herren. Herr Baettig ist entweder ein völliger Ignorant oder sympathisiert mit dem Weltbild totalitärer Ideologien.

Nun möchte er sich das ganze am liebsten wissenschaftlich absegnen lassen (auch das kommt einem bekannt vor). Die Fragestellung setzt natürlich schon voraus, dass nur die Kostenseite betrachtet werden soll. Das ist für diese Leute Wissenschaft: Ein Mittel zum politischen Zweck.

1Ob bei Baettigs Einsatz für Kartoffeln und seltene Arten damals eventuell eigentlich die Bauern gemeint waren, ist nun natürlich eine offene Frage.

Kommentare (7)

  1. #1 Marcus Anhäuser
    Oktober 18, 2009

    Ist ja ekelhaft, auf was für Ideen so Leute kommen.

  2. #2 C.P.
    Oktober 18, 2009

    Es handelt sich dabei ja nicht um irgendwelche Leute. Zum Glück. Bättig ist Psychiater und SVP-Nationalrat. Das bedeutet, man kann mildernde Umstände geltend machen. Bättig hat sich (typisch Psychiater) dahingehend geäussert, dass die Hälte seiner Aussagen ernst gemeint seien. (Schizophrenie) Die andere Hälfte kann man als typisch SVP werten. Ergo: Nicht ernst zu nehmen. Sollte trotzdem jemand eine Hälfte finden, die ernst zu nehmen ist, würde Bättig auf seine parlamentarische Immunität verweisen. (Karadzic, ebenfalls Psychiater, tut das im Moment ja auch)

  3. #3 Lupe, der Satire-Blog
    Oktober 19, 2009

    “dass die Hälte seiner Aussagen ernst gemeint seien. (Schizophrenie)”
    formulierung gefällt mir.

    bättig ist das typische, dümmliche nationalratsmitglied der svp. zuerst ernsthaft eine saudumme anfrage an den bundesrat starten und danach, wenn man merkt, die medien, die bevölkerung findet es gar nicht toll, sagen, es sei ja gar nicht ernst gemeint gewesen.
    genauso, wie alle die svp-exektuivpolitiker in den kantonen, die sich auf anfrage dahingehend äussern, dass sie selbstverständlich diese kampagne nicht gut heissen. sie bleiben aber schön brav svp-mitglied und unternehmen nichts gegen all die ausländer-hetze ihrer partei.

  4. #4 Paul Buchegger
    Oktober 20, 2009

    Die SVP zerstört den Ruf der Schweiz

    Seit die Parteiideologen der SVP, Blocher/Mörgeli, beschlossen, sich die Freiheits-/Autopartei und die SD einzuverleiben, ist die einst bürgeliche Partei nicht mehr wiederzuerkennen. Einst verglich Goebbels gewisse Menschen mit Ungeziefer und anderem Getier. Nun tut es die SVP immer wieder (Stichworte: Galgenvögel, schwarze Schafe, rote Ratten, Wildsau und nun Insekten). Und all das nennt sie noch stolz “SVP – Schweizer Qualität”. Welch tiefe Kluft zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung! – Die SVP zerstört in aller Welt den einst guten Ruf unseres Landes. Man schämt sich, wenn man an ausländischen Flughäfen und in eben solchen Hotels den Schweiz Pass vorweisen muss…

  5. #5 tom-ate
    Februar 20, 2010

    Das Problem ist nicht Herr Bättig mit seinem bizarren Migrationsvergleich. Das Problem sehe ich vielmehr darin, solch dumme Analogien zum Vorwand zu nehmen, um sogleich jegliche artvergleichende Verhaltenswissenschaft als biologistisch, rassistisch und natürlich auch nationalsozialistisch abzutun. Damit entledigt sich die Soziologie jeglicher Analyse kulturell-ethnischer Unterschiede, die es aber nun mal gibt unter Menschen. Probleme, die Migranten aus Machokulturen hierzulande real existierend ausleben, werden “wissenschaftlich” wegerklärt, bis der braune Mob bzw. heute die etwas eleganter auftretende neue Rechte, sich der Thematik annimmt – mit den bekannten Folgen. Aber Hauptsache wir sind “soziologistisch” unantastbar, moralisch sauber, oder was?

  6. #6 ali
    Februar 20, 2010

    @to-mate

    um sogleich jegliche artvergleichende Verhaltenswissenschaft als biologistisch, rassistisch und natürlich auch nationalsozialistisch abzutun.

    Erstens glaube ich du baust hier einen Strohmann auf. Zweitens scheinen in deinem Kopf die Unterschiede respektive Zusammenhänge zwischen Biologie und Kultur nicht sehr klar zu sein. Drittens habe ich den Verdacht, dass du nicht an Wissenschaft interessiert bist sondern nur an einer Legitimierung deiner Vorurteile. Du weisst ja Z.B. schon, dass es ‘Machokulturen’ sind (zuerst einmal eine Wertung und kaum eine brauchbare Arbeitshypothese). Ein untrügbares Zeichen hierfür ist auch, dass du behauptest dass Dinge “‘wissenschaftlich’ wegerklärt” würden. Die Anführungs- und Schlusszeichen fallen wohl nur weg wenn das Resultat genehm ist. Oder hast du selber etwas vorzulegen, dass solche allgemein akzeptierte Ergebnisse in Frage stellen? Viertens maskiert du das ganze als ‘Unterdrückung der Wahrheit’ aus politischer Korrektheit, was in meinen Augen ebenfalls nicht korrekt ist. Statt Betroffenheitstrolling und heftigen Pauschalvorwürfen an eine grosse Zahl von Forschungsfeldern gleichzeitig, empfehle ich dir einmal zu schauen was tatsächlich zum Thema existiert und dann konkret und mit sozialwissenschaftlichen Argumenten zu erklären, womit du ein Problem hast.

  7. #7 tom-ate
    Februar 21, 2010

    @ali: Das Problem bei euch Sozialwissenschaftlern ist eben, dass ihr gar nicht in der Lage seid, ‘Machokultur’ zu operationalisieren, damit dieses Konzept ‘wissenschftlich’ beforscht werden könnte. Es existiert nicht einmal in euren Köpfen,

    weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

    Eure Arbeitshypothesen sind: Wir erklären ‘scheinbare’ kulturelle Unterschiede mit sozioökonomischen Unterschieden weg. Das kann man statistisch zurechtbiegen. Dann ist eure Welt politisch korrekt und sauber. Und die andern sind Rassisten. Die Folgen könnten gravierend sein. Überlegt man sich aber mal ohne Scheuklappen, was eine enttabuisierte wissenschaftliche Herangehensweise an offensichtliche und problematische kulturelle Unterschiede (aus mitteleuropäischer Sicht: Ehrenmorde, Zwangsheirat, etc.) für eine realistische Integrations- bzw. Migrationspolitik bringen könnte, so kann man nur bedauern, dass dies vorerst eben nicht einmal denkbar ist.