Auf der amerikanischen Schwestersite von Scienceblogs.de kann ein neues Blog willkommen geheissen werden: Evolution for Everyone. Der Autor führte vorher ein Blog bei der Huffington Post und zieht nun zu Scienceblogs.com um. Sein erstes Blogposting startet gleich mit einer (sicherlich bewussten) Provokation des neuen Umfelds.
David Sloan Wilson postuliert darin die These, dass Wissenschaft “eine Religion ist, die die Wahrheit als ihren Gott anbetet”. Klar brach da gleich ein Gewitter los und viele meldeten sich zu Wort, unter anderen Pharyngula, Island of Doubt, Primate Diaries oder Henri Gee).
Eigentlich mochte ich Wilsons Eintrag und ich finde es stehen einige guten Gedanken drin. Zum Beispiel der Unterschied was im öffentlich Diskurs als ‘korrekt’ gilt und was die Standards für die Wissenschaft sind. Leider und damit liege ich auf der ähnlichen Linie wie die eben verlinkten Posts, ist die Metapher die Wilson benutzt eher verfehlt. Eine Metapher dient dazu etwas zu veranschaulichen oder zu verdeutlichen. Sie ist immer nur so gut wie sie wirklich vergleichbares benutzt wird. Bei Wilsons Metapher jedoch ist die Aussage entweder falsch oder man akzeptiert so generelle Definition der Begriffe, dass die Analogie zwar stimmt, aber nichts mehr bedeutet.
Wahrheit kann nicht mit einer personalisierten oder antropomorphen Gottheit gleichgesetzt werden, da es sich um ein äusserst abstraktes Konzept handelt. Viele Definitionen die religiöse Menschen ihrem Gott respektive ihren Göttern geben sind aber genau dies. Oder aber wir sind wieder zurück bei einer fast bedeutungslosen Aussage wie “Gott ist Liebe” oder “Gott ist Wahrheit”. Das kann alles und nichts bedeuten.
Der Begriff Wahrheit an und für sich scheint mir nicht sehr nützlich. Wir können nie wirklich sicher sein was ‘wahr’ ist, auch nicht mit den besten wissenschaftlichen Methoden. Wissenschaftlich gesehen, muss Wahrheit immer eine Annäherung bleiben. Henry Gee hat das im oben schon verlinkten Post viel eloquenter ausgedrückt als ich es je könnte: Wissenschaft ist gemäss ihm die “Quantifizierung des Zweifels”. Dies zeigt meines Erachtens den Gegensatz zu Religion. Zweifel ist dort häufig etwas negatives und ist er es nicht, geht es um dessen Überwindung oder den Umgang damit. “Quantifizierung” hingegen impliziert wie “Wissenschaft” eine Methode ist und kein Weltbild.
Auch die Verwendung des Begriffs Anbetung (im Original worship) ist irreführend. Im engeren Sinne wird die Wahrheit offensichtlich nicht ‘angebetet’. Akzeptiert man eine weitere Definition im Sinne von “Verehren” oder “Hochhalten” verliert der Begriff seine Bedeutung. Vom Fussballprofi bis zur italienischen Küche kann dann alles angebetet werden. Ausserdem wären nicht die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die eigentlichen Akteure und nicht abstrakt die Wissenschaft?
Die Metapher ist also inkorrekt oder inhaltslos. “Sport ist eine Religion in der der Sieg als Gott angebetet wird” oder “Briefmarkensammeln ist eine Religion in der Seltenheit als Gott angebetet wird” wären dann ebenso korrekt. So hilft uns die Analogie nicht weiter etwas besser zu verstehen.
Warum also die ganze Aufregung wenn es sich bestenfalls um warme Luft handelt? Ich halte Wilsons Bild für einen taktischen Fehler was Wissenschaftskommunikation anbelangt. Zu oft musste man in den endlosen Diskussionen um Astrologie, Homöopathie und was sonst noch alles auf dem “Alternativmarkt” (meist ist alternativ zur Wissenschaft gemeint) angeboten wird auf diesen Seiten das immer gleiche Argument anhören: Wissenschaft sei auch nur ein Glaubenssystem, eine Religion und wir seien seine Fundamentalisten und Hohepriester. Akzeptieren wir Wilsons Analogie fühlen sich genau diese Leute in ihren Argumenten bestärkt. Diese leiten jedoch aus dem Zweifel, die Korrektheit ihrer Lieblingsthese ab, statt diesen zu quantifizieren. Eben.
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