Eine parlamentarische Kommission in Frankreich hat einen Vorschlag verabschiedet, der künftig die vollständige Verschleierung von Musliminnen in gewissen Bereichen verbieten will. Wieder einmal sehe ich mich genötigt, trotz meines Atheismus für die Rechte von (in diesem Fall sogar orthodoxen) Gläubigen zu argumentieren. Eine verkehrte Welt ist das.
Zuerst etwas Hintergrund für alle die die Diskussionen nicht mitverfolgt haben. Gemäss dem französischen Innenministerium gibt es nur etwa 1’900 Frauen in Frankreich viele unter ihnen Französinnen, die sich ‘ganz verschleiern’ (voilée intégralement wird das im Bericht genannt). Obwohl häufig von einem Burkaverbot die Rede ist, handelt es sich eher um den Hidschab genannten Schleier. Die Burka ist die afghanische Variante und der Hidschab ist die von der saudischen Orthodoxie bevorzugte Verhüllungstechnik (ich halte übrigens beide für lächerlich und den Unterschied für minim).
In Frankreich müssen diese knapp 2’000 Frauen heute schon gewisse und in meinen Augen durchaus nachvollziehbare Kompromisse eingehen, zum Beispiel im Umgang mit Behörden. Nun schlägt eine Kommission der Nationalversammlung vor, dass so verkleidete Frauen der Zugang zu öffentlichen Gebäuden in Zukunft gesetzlich verwehrt werden soll. Der Bericht erklärt, warum der Vollschleier gegen Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit verstösst (tut der Bericht tatsächlich, das ist hier nicht nur methaphorisch gemeint).
Es gehe darum ein Zeichen zu setzen, meint die Kommission. Das Problem mit Zeichen ist aber, dass man die Interpretationshoheit nicht zwangsläufig behält. Darum (und aus den gleichen Gründen warum ich mich gegen das Minarettverbot in der Schweiz gewehrt habe) halte ich den Vorschlag der Kommission für äusserst problematisch.
- Wie Frei ist unsere Gesellschaft noch, wenn Kleidervorschriften von der Staatsgewalt durchgesetzt werden sollen? Die Kleiderpolizei waren doch bis jetzt Spezialität der Saudischen und Iranischen Polizei. Wir verzichten auf die beanspruchte moralische Überlegenheit aber die Fundamentalisten freut es bestimmt.
- Wie überzeugend ist es, wenn ein Parlament mit 18.2% Frauenanteil sich plötzlich der Gleichberechtigung verschreibt?
- Ist es ein Zeichen von echter Besorgnis um die Rechte dieser Frauen, wenn man ihnen vorschreibt, wie sie sich zu kleiden haben und wenn man um ihre Ausgrenzung zu mildern sie gesetzlich noch weiter ausgrenzt? Ist es hilfreich wenn Männer Frauen vorschreiben, wie sie sich zu kleiden haben, weil diese Männer davon ausgehen, dass andere Männer ebendiesen Frauen vorgeschrieben haben sich so zu kleiden?
- Kann man es einem so oft beschworenen laizistischen Staat abnehmen, wenn er plötzlich einer religiösen Minderheit erklärt, wie sie ihre Religion zu leben und ihre heilige Schrift auszulegen hat (dies gilt natürlich nur solange andere Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht betroffen sind)? Im Bericht steht zum Vollschleier wörtlich: “Ein Praxis, die aus einer Minderheiten-Interpretation entstammt und sich auf keinerlei explizite und zweifelsfreie Text-Basis stützen kann” (Une pratique née d’une interprétation très minoritaire ne reposant sur aucun fondement textuel explicite et incontestable). Koranexegese durch die Nationalversammlung?
- Das Kopftuch (und der Schleier) wurde vor allem durch die Fundamentalisten zum politischen Symbol erhoben. Einschränkungen und Verbote unterstützen diese und geben den Islamisten recht.
- Wer vorgibt Integration erreichen zu wollen, sollte nicht die Bewegungsfreiheit der Menschen im öffentlichen Raum zusätzlich einschränken, die man besser zu integrieren wünscht.
- Spätestens wenn man jemandem von einer Minderheit Busfahren nur unter gewissen Bedingungen erlauben möchte, sollte man merken, dass man ein heftiges PR Problem hat. Wie war das nochmals mit Rosa Parks?
Es geht vor allem um eine populistische Massnahme. Keine der vorgebrachten Gründe wirkt sehr überzeugend. Wie beim Schweizer Minarettverbot eignet sich das Thema ausgezeichnet zur Stimmungsmache mit kaum Konsequenzen für die Initianten. Einmal mehr wird aus billigem Populismus im Namen der Freiheit und ‘westlichen Werten’ ein Verrat an genau diesen begangen.
Bildquelle: Frau mit Hijab in Yemen von Steve Evans, Wikimedia Commons
Kommentare (94)