Der zweite Teil in meiner Mini-Serie zu den Argumenten, die eigentliche keine sind. Heute: Der Elfenbeinturm.
Mehr als einmal wurde hier oder anderswo in den Kommentarspalten eines Blogs einem wissenschaftlichen Argument entgegengengesetzt, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Elfenbeinturm leben würden und darum dies oder jenes nicht verstehen würden.
Ich habe ein wenig recherchiert von wo der Ausdruck stammt. Gemäss Wikipedia ist die ursprüngliche Bedeutung eine biblische („Dein Hals ist wie ein Elffenbeinen thurm” Das Hohe Lied 7.4). Zum ersten mal im heutigen Sinn verwendet wurde der Ausdruck auf französisch (La tour d’ivoire) durch Charles-Augustin Sainte-Beuve (siehe Bild). Er benutzt den Ausdruck offensichtlich in einem positiven Sinne um den poetischen Stil des Dichters Alfred de Vigny mit der politischen Engagiertheit von Victor Hugo zu kontrastieren (Long-temps il s’est donc tenu à part sur sa colline, et, comme je le lui disais un jour, il est rentré avant midi dans sa tour d’ivoire., gefunden hier).
Im Zusammenhang in dem mit dem Elfenbeinturm argumentiert wird und den ich hier diskutieren möchte, ist der Begriff eindeutig negativ gemeint. Der angegriffene Person wird aufgrund ihrer akademischen Tätigkeit oder schon nur wegen einer Referenz zu akademischer Forschung, eine Entrücktheit von der Realität unterstellt. Dies vernebelt in der Regel den eigentlichen Diskussionsgegenstand.
Zum einen enthält der Vorwurf ad hominem (ein Angriff auf die Person). Bedeutet es doch häufig, dass man wegen der akademischen Ausbildung der angegriffenen Person sich inhaltlich nicht mit ihren Thesen auseinanderzusetzen braucht. Man spricht der Person aufgrund ihrer Arbeit die Kompetenz ab etwas zu beurteilen. Ironischerweise kann das Thema im Kernkompetenzbereich dieser Person liegen und man unterstellt ihr sozusagen eine ‘Überbschäftigung’ damit.
Ausserdem wird eine Zweiteilung herbei geredet, die so gar nicht existiert. Als ob man vom Elfenbeinturm aus eine andere Realität betrachten würde. Selbst wenn dem so wäre, heisst dies schliesslich nicht, dass eine dieser ‘Realitäten’ den anderen überlegen ist. Dies ist jedoch implizit in diesem Totschlagargument enthalten. Man könnte sogar feststellen, dass eine gewisse Entrücktheit einem unbefangener macht, eine grössere Distanz zum Thema schafft. Ich finde es nunmal auch einfacher trocken eine Wahl in einem indischen Teilstaat zu analysieren anstelle von heiss diskutierten Schweizer Referenden.
Der Benutzer des Elfenbeinturm-Pseudoargumentes versucht sich so einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu entziehen. Wenn ein Argument die Realität nicht korrekt beschreibt, sollte dies doch widerlegt werden können. Die vermeintliche Entrücktheit des Bewohners des Elfenbeinturms ist schliesslich nur die Schlussfolgerung aus dem Gegenargument. Warum das nächste mal nicht das Gegenargument bringen statt den andere mit wenig durchdachten Vorwürfen zu verunglimpfen?
Bild: Charles-Augustin Sainte-Beuve Quelle: Wikimedia Commons
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