Gestern hat ein Ausschuss des US Repräsentantenhauses mit einer Stimme Mehrheit eine Resolution verabschiedet, die den Völkermord an den Armeniern während des ersten Weltkrieges als solchen anerkennt. Die Vorlage wurde mit allen Mitteln von der Aussenministerin (Secretary of State) Hillary Clinton bekämpft. Die Türkei hat auch prompt reagiert und ihren Botschafter aus Washington DC abgezogen.
Das Thema kommt immer wieder auf den Tisch. Ähnliche Resolutionen wurden schon von nationalen Parlamenten (z.B. Frankreich) oder regionalen (zum Beispiel Kanton Waadt in der Schweiz) verabschiedet. Jedes Mal beinhaltet das Ritual dann eine mehr oder weniger heftige Reaktion der Türkei.
Für die Politik ist dies eine billige Art sich zu profilieren. Die armenische Diaspora ist politisch sehr gut organisiert (dies gilt speziell auch für die USA) und weiss ihre Interessen zu vertreten. Das ist ihr gutes Recht und die Politikerinnen und Politiker tun auch nur das, von dem sie sich entsprechend Stimmen erhoffen. Wer einen Genozid verurteilt ist automatische auf der Seite der “Guten”. Man kann doch nichts dagegen haben, dass ein Völkermord verurteilt wird.
Vielleicht aus Gründen der Staatsräson? Die Beziehungen zwischen der Türkei und den USA ist für beide Seiten viel zu wichtig als dass sie wegen einer solchen Episode wirklich gefährdet wäre. Die USA benötigen die Türkei als militärischen Partner und die Türkei braucht die Unterstützung der USA. Zudem versucht die Türkei ihre regionale Rolle zu festigen, unter anderem durch eine Annäherung an Armenien. Sie wird sich kaum davon abbringen lassen von einer solchen Resolution. Man rechnet also kaum mit substantiellen Reaktionen von Seiten der Türkei (es ist auch nicht das erste Mal, dass sie aus Protest den Botschafter abziehen). So meinte der Vorsitzende des Ausschusses in seiner Eröffnungsrede:
And I believe the Turks, however deep their dismay today, fundamentally agree that the U.S.-Turkish alliance is simply too important to get sidetracked by a non-binding resolution passed by the House of Representatives.
Alles nur Polit-Schall und Rauch also? Nicht ganz finde ich. Mich stört etwas grundsätzliches an dem Vorstoss. Dies betrifft vor allem zwei Aspekte. Ich möchte vorweg schicken, dass ich keinerlei Zweifel habe, dass damals ein Völkermord an den Armeniern stattgefunden hat und dies entspricht auch der Meinung einer überwältigenden Mehrheit der Expertinnen und Experten. Darum geht es auch nicht. Das Problem ist prinzipieller Natur.
Mein erstes Problem mit solchen Resolutionen ist, Parlamente sollten nicht über wissenschaftliche Schlussfolgerungen abstimmen. Man kann Tatsachen nicht per fiat schaffen. Egal ob es um den Status von Pluto geht, die Wirklichkeit des Klimawandels oder um Evolution, Wahrheiten können nicht per parlamentarischen Mehrheitsentscheid geschaffen werden.
Zweitens ist Genozid ein im Völkerrecht juristisch relativ klar definierter Begriff und stellt einen Spezialfall von Kriegsverbrechen dar (ich habe schon darüber gebloggt). Er wird viel zu oft als politisches Argument benutzt. Dies macht ihn aber beliebig und das schreckliche Verbrechen wird in gewissen Sinne verharmlost. Im spezifischen Fall könnte wohl sogar juristisch das Verbrechen “Genozid” belegt werden. Die Kategorie wurde aber erst nach dem zweiten Weltkrieg geschaffen. Man muss sich also fragen warum ein politisches Organ ein juristisches Konzept rückwirkend anwendet.
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