Das britische Nachrichtenmagazin hatte letzte Woche seine Titelseite einem Phänomen gewidmet welches er als Gendercide bezeichnet. Der Artikel ist frei zugänglich. Ich wollte mir die Zahlen dazu anschauen und habe mehr Fragen als Antworten gefunden.
Neugierig wurde ich weil in der Economist ein Tabelle in den Artikel gesetzt hat, die die Länder auflistet mit den verzerrtesten Verhältnissen zwischen Mädchen und Knaben. Der Artikel handelt vor allem von Indien und China. Mir fiel auf, dass die drei Länder des Südkaukasus ebenfalls weit oben vertreten sind.
Wie regelmässige Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen, kenne ich Armenien, Aserbaidschan und Georgien von persönlichen Besuchen. Eine Präferenz für männliche Nachfolger in der Familie klingt in meinen Ohren nicht unplausibel. Nur bin ich ratlos was die drei Länder gemeinsam haben, was in anderen Ländern fehlt. Drei verschiedene Religionen und Sprachen trennen die Länder ausserdem spielt Religion eine unterschiedliche Rolle in Politik und Gesellschaft in allen drei Ländern. Gemeinsam ist ihnen, dass sie zur Sowjetunion gehört haben (aber da gibt es noch andere für die das auch zutrifft). Kulturell gibt es durchaus mehr Gemeinsamkeiten als das viele in der Region oft wahrnehmen wollen. Ich frage mich nun ob eine solche Gemeinsamkeit auch die Wurzel des Phänomens ist.
Ich habe mir die Zahlen herausgesucht (übernommen von Wikipedia, welches wiederum das CIA Factbook als Quelle angibt). Wer damit rumspielen möchte kann
herunterladen). Beim Sortieren der Zahlen fielen mir mehrere Dinge auf und ich habe nicht für alle in meinen Augen wirklich befriedigende Antworten gefunden. Vielleicht weiss hier jemand mehr.
Das normale Geburtenverhältnis müsste irgendwo zwischen 103 und 107 liegen (leichte Überproduktion von Männern ist tatsächlich die Norm, ich nehme mal an das liegt an unserer Anfälligkeit auf Defekte, Y sei Dank). Vor allem zwei Dinge sind mir aufgefallen:
Erstens die Gründe für die Verzerrung im Südkaukasus sind mir wie schon erwähnt rätselhaft. Bei Geburt liegt das Verhältnis bei 1.14 in Azerbaidschan und 1.13 für Georgien und Armenien. Dazu kommt, dass das Phänomen ins Gegenteil ändert wenn man die 15-30 Jährigen (0.88, 0.96, 0.93) oder die über 65 Jährigen (0.64, 0.58, 0.67) betrachtet. Ich nehme an, dies hat auch etwas mit Sowietstatistik zu tun (wird auf Wikipedia auch angedeutet). Es scheint auch als ob das Verhältnis auch mit dem Wohlstand (und wohl dem Gesundheitssystem) zusammenhängt. Ich frage mich ob diese zwei Effekte den Unterschied wirklich erklären oder ob nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Praxisänderung stattfand.
Zweitens erstellt man eine Topliste für das Total, sind in der obersten Liga vor allem arabische Staaten zu finden. Eine Theorie ist anscheinend, dass dies mit den Gastarbeitern zusammenhängt, die kein Recht auf Familiennachzug haben. Werte von über 2 im Verhältnis (2.19 für die Vereinigten Arabischen Emirate) scheinen mir trotzdem extrem. Das hiesse ja, dass pro VAE Mann mehr als ein Gastarbeiter kommt (was möglich ist ich habe keine Zahlen dazu). Vielleicht spielt auch noch ein statistisches Artefakt mit rein, dass Frauen in diesen Ländern weniger erfasst werden.
Weitere Auffäligkeiten oder Antworten auf die Gründe für das Missverhältnis im Südkaukasus würden mich interessieren.
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