Vor einer Weile machte eine Publikation unter dem Titel Why Liberals and Atheists are more intelligent von Satoshi Kanazawa von der London School of Economics die Runde, welches in Social Psychology Quarterly veröffentlicht wurde.
Die Studie wurde unter anderm auch via Twitter und in der Skeptiker-Ecke der Blogosphäre rumgereicht und wurde dort auch ziemlich schnell kritisiert. Es ist ein gutes Beispiel was echte Skeptiker von jenen unterscheidet, die fälschlicherweise dieses Etikett für sich beanspruchen, sei es um Verschwörungstheorien zu kolportieren oder sich wissenschaftliche Fakten zu verweigern. Nur weil die Aussage gefällt oder das eigene Weltbild bestätigt, ist sie nicht auch kritiklos hinzunehmen.
Ein weiteres Problem ist, dass Kanazawas Aussagen zu Sex, Intelligenz und politischer Meinung sich medial ausgezeichnet verarbeiten lassen in Artikeln im Stile von “Wissenschaftler haben herausgefunden…”. Dies kann man dann in eine leserschaftsgerechte Schlagzeile packen. So fand man zur hier besprochenen Studie zum Beispiel bei BILD “Fremdgeher haben einen niedrigeren IQ!” und Spiegel Online meinte “Konservative haben geringeren IQ“.
Das ist alles gut und recht. Das Problem ist nur: Kanazawas Artikel ist eine Peinlichkeit. Daraus wissenschaftliche Wahrheiten zu machen zeugt vor allem davon, dass die willigen Verbreiter entweder die Studie nicht gelesen haben, oder völlig unkritisch die Schlussfolgerungen übernommen haben. Nur weil Kanazawa Professor ist, heisst das nicht, dass seine Forschung etwas taugt. Viele seiner Aussagen sollten auch entsprechende Alarmglocken klingeln lassen.
Satoshi Kanazawas These
Das zugrundeliegende Argument ist simpel, zu simpel. Kanazawa definiert allgemeine Intelligenz als “die Fähigkeit induktiv oder deduktiv Dinge abzuleiten, abstrakt zu denken, Analogien zu benutzen, Informationen zu synthetisieren und auf neue Bereiche anzuwenden.” (Kanazawa 2010:2). Diese dem Menschen eigene Fähigkeit sei eine evolutionäre Anpassung, die die Überlebenschancen erhöhte, weil wir Menschen auch mit neuartigen Problem umgehen konnten. Zu meinem Amüsement bringt er als Beispiel den Einschlag eines Blitzes. Dies sei per Definition etwas, dass sich nicht wiederhole. Er begründet dies mit dem Mythos und englischen Sprichwort, dass ein Blitz niemals zweimal am selben Ort einschlagen würde Kanazawa 2010:3). Herr Kanazawa bastelt sich seine Hypothesen alos auf der Basis von populären Mythen.
Dann unterscheidet Kanazawa zwischen “evolutionär bekannten” (evolutionary familiar) und “evolutionär neuen” (evolutionary novel) Problemen. Die Hypothese ist also, dass je intelligenter jemand ist, desto einfacher kann er sich einem “evolutionär neuen” Problem stellen. Mit “evolutionär bekannten” Problemen hingegen sollten alle Menschen gleichgut umgehen können weil wir uns an diese biologisch angepasst haben.
Als “evolutionär neu” bezeichnet er das amerikanische Konzept von liberalism (was auf Deutsch ‘politisch Links’ wohl am nächsten kommt), Atheismus und Monogamie. Alle drei “Werte” würden unserer evolutionären Programmierung eigentlich zuwiderlaufen und seien darum “evolutionär neu”. Mit zwei verschiedenen Datensätze sucht er nun nach Korrelationen zwischen den Resultaten von IQ Tests und diesen drei Variablen und kommt zum Ergebnis, dass alle drei mit einem höheren IQ korrelieren. Das aber Monogamie und IQ nur bei Männern zusammenhängen, da für Frauen dies kein ‘evolutionär neues’ Konzept sei.
Kanazawa arbeitet methodisch unsauber und zwar auf einer Ebene, die nicht fachspezifisch ist. Trotzdem möchte ich hier erwähnen, dass ich natürlich kaum die Literatur dazu kenne und vielleicht etwas offensichtliches übersehe. Man möge mich in diesem Fall gerne darauf hinweisen. Hier also meine Kritik.
Definitionen
Für seine präzisen Behauptungen die er aufstellt ist Kanazawa äusserst ungenau der Definition seiner Begriffe. Zum Beispiel sein Konzept von ‘evolutionär neu’. So wie er es verwendet kann das alles und nichts sein. Seine Konzept von “evolutionär neu” ist völlig beliebig. So wie er es benutzt, kann es für alles verwendet werden, von A wie Autofahren bis Z wie Zoologische Gärten besuchen. So wird z.B. Monogamie zur evolutionären Neuheit nur für Männer. Je nachdem was man sich aussucht, werden die Korrelationen natürlich ganz anders aussehen und man könnte sicher viele Beispiele finden, die so Kanazawas These widersprechen. Dies schlicht weil die Korrelation nicht eine mit Intelligenz ist, sondern der gemessene IQ für anderes steht.
Aber auch die spezifischen Definitionen sind hanebüchen. So definiert er zum Beispiel liberalism folgendermassen
In this paper I will adopt the contemporary American definition of liberalism. I provi- sionally define liberalism (as opposed to conservatism) as the genuine concern for the welfare of genetically unrelated others and the willingness to contribute larger proportions of private resources for the welfare of such others. In the modern political and economic context, this willingness usually translates into paying higher proportions of individual incomes in taxes toward the government and its social welfare programs.
Er mischt hier so viele Dinge zusammen, die nicht einmal in einem Zweiparteien-System wie den USA so einfach zusammengepackt werden können, dass ich nicht weiss, wo überhaupt ansetzen. Sich um das Wohl anderer zu sorgen ist etwas anderes als grösserer Teile seines Einkommens für diese zu spenden (ich zweifle übrigens, dass dies auf die Linke wirklich zutrifft). Noch einmal eine ganz andere Geschichte ist, wie das Geld umverteilt werden soll (und da liegt vermutlich ein wichtiger Unterschied zwischen den beiden Gruppen). Mit solchen Definition fügt er eine gigantische Zahl von zusätzlichen Faktoren in die Gleichung. Ähnliches gilt übrigens für sein Umgang mit den Konzepten Atheismus und Religion. Das alles spielt aber eigentlich gar keine Rolle, weil er die Definitionen gar nicht wirklich verwendet wie ich im nächsten Unterkapitel ausführen werden.
Manchmal definiert er auch Konzepte nur um sie dann auszuweiten. Aus der Fähigkeit mit ‘evolutionär neuen’ Problemen umzugehen, wird das Konzept der ‘Offenheit gegenüber Erfahrungen’ und plötzlich wird daraus das aktive Suchen von solchen Erfahrungen. Mal abgesehen davon, dass seine Definitionen wenig taugen, sind diese natürlich sowieso nutzlos, wenn man sich anschliessend nicht auch daran hält.
Ausführung und Resultate
Hier kommen wir zum zentralen Punkt der Unbrauchbarkeit von Kanazawas Ergebnissen. Dies sind ein paar Einwände, die Liste ist trotz ihrer Länge leider nicht abschliessend.
Zuerst wäre da die grundsätzliche Frage zum Wert von IQ Tests und was diese tatsächlich messen, wieviel von den Resultaten durch andere Faktoren bestimmt sind, was Intelligenz überhaupt ist usw. Kanazawa behauptet ja dass diese Unterschiede erblich bedingt sind und sich evolutionär entwickelten. Die Unschärfe was die IQ Tests bedeuten, würde sicherlich schon reichen um dem kleinen Unterschied, den er findet, als irrelevant abzutun. Aber selbst wenn dem nicht so wäre macht es uns Kanazawa leicht. Er benutzt nämlich nicht einmal die IQ Tests sondern Werte eines Tests zum Vokabular. Er rechtfertigt dies damit, weil die beiden Tests deren Zahlen er benutzt zu 83% respektive zu 71% mit allgemeinen IQ Testresultaten korrelieren. Dies rechnet er dann auf eine IQ Testskala hoch. Er ersetzt also eine sehr beschränkt Aussagekräftige Messgrösse durch eine, die eine grobe Annäherung an diese darstellt.
Doch auch für die Aspekte die er erklären möchte sind schlecht abgedeckt. Die Variablen, die er benutzt, entsprechen nicht den Definitionen, die er Eingangs benutzt. Es handelt sich zum Beispiel durchwegs um Selbsteinschätzungen. Ob dies überhaupt noch irgendetwas mit seinen Definitionen der Konzepte zu tun hat (zum Beispiel für liberalism) möchte ich bezweifeln. Die schlechten Definitionen bilden also nicht einmal die Grundlage für die Daten die er dann analysiert. Auch hier verschiebt er wieder was er anfänglich festzulegen vorgab. So wird Beispielsweise aus der Variable Monogamie im zweiten Datensatz Selbsteinschätzungen zu Werten wie “Familie” und “Treue”. Was man von einer Selbstdeklaration zu Treue überhaupt ablesen kann wäre nochmals eine ganz andere lange Diskussion.
Kanazawa benutzt verschiedene Kontrollvariablen (Geschlecht, Ausbildung, Alter, Einkommen usw). Dass für die ganzen Aspekte die er untersuchen möchte vor allem auch die Sozialisierung im Elternhaus, direkte Umwelt usw. in Frage kommen könnte ignoriert er (was bei Fragen wie Religion und politischer Meinung nicht unbedeutend ist). Durch seine Kontrollen ist dies kaum bis gar nicht abgedeckt.
Kanazawa geht also von Hypothesen aus, die auf untauglichen Definitionen basieren. Dann verwendet er Variablen, die bestenfalls mittelmässige Platzhalter für die von ihm in den Hypothesen verwendeten Konzepte sind. Dies stellt er in ein Verhältnis zu einem Annäherungswert an eine wenig aussagekräftige Messgrösse (IQ). Die so entstandenen Resultate zeigen einen Unterschied von ein paar wenigen IQ Punkten. Daraus machen BILD und Spiegel Online und Co.: “Wissenschaftler habe herausgefunden”. Es ist wie mit Würsten: Man will nicht wissen was reingeht, hauptsache das Resultat gefällt.
Schlussgedanken
Zur statistischen Methode möchte und kann ich mich nicht äussern. Die hohen Signifikanzwerte die Kanazawa durchs Band findet wirken suspekt auf mich aber es fehlt mir das Wissen und Zeit da tiefer zu graben. Fest steht auf jeden Fall, dass er von berufenerer Seite deswegen schon für andere Artikel mit ähnlichen Behauptungen kritisiert wurde.
Vielleicht müssen wir Kanazawa zumindest für die Unterhaltung danken, die einem zum Beispiel durch solche Denkblüten gewährt wird:
less intelligent individuals have more children than more intelligent individuals, even though they do not want to do so. This may possibly be because they have greater difficulty effectively employing evolutionarily novel means of modern contraception
Wie auch immer. Was Kanazawa betreibt ist keine seriöse Forschung, das ist bestenfalls freies Assozieren und einem Wissenschaftsjournalisten sollte dies auffallen, auch wenn es dafür keine sexy Schlagzeile gibt. Kanazawa mag seine Resultate medientauglich verkaufen und er weiss die Öffentlichkeit zu nutzen, für die Sozialwissenschaft ist er aber kein gutes Aushängeschild.
Kanazawa, S. (2010). Why Liberals and Atheists Are More Intelligent Social Psychology Quarterly DOI: 10.1177/0190272510361602
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