Die Ankündigung der neuen Nuklearstrategie der USA war vorgestern schon Thema hier. Da sich heute Medvedev und Obama in Prag treffen um deinen nuklearen Abrüstungsvertrag zu unterschreiben (auch darüber wurde berichtet) möchte ich noch ein paar weitere Gedanken zu nuklearer Abschreckung posten.
Der Text der Nuclear Posture Review ist nun inzwischen erhältlich. Ich möchte hier aber vor allem auf ein paar Fragen eingehen, die Stephen Walt in seinem Blog auf Foreign Policy aufgeworfen hat. Vor allem zwei Aspekte finde ich interessant. Erstens die Frage was die Proklamation einer Doktrin überhaupt bewirkt und zweitens was diese Änderung in der US Nukleardoktrin für Auswirkungen auf die Fälle im Scheinwerferlicht haben (vor allem Nordkorea und Iran, aber auch Pakistan und Indien).
Taten statt Worte
Walt vertritt den Standpunkt, dass eine Nuklearstrategie kaum das Papier wert ist auf der sie geschrieben ist. Das erstaunt auch wenig, zählt er sich selber doch zur Denkschule der ‘Realisten’ (oder Orks wie die Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen). In dieser Perspektive dreht sich alles um Macht, Feuerkraft und militärische Kapazitäten und die Hauptsorge gilt der eigenen Sicherheit. Darum argumentiert Walt, dass es schön und gut ist wenn Staaten ankündigen wann sie Nuklearwaffen anwenden möchten und wann nicht. Ihre Meinung können sie aber jederzeit ändern und darum stellt ein solches Papier für die andere Seite kaum einen Aspekt dar, den man in seine Kalkulationen miteinbezieht. Schliesslich fühlt man sich primär durch die Existenz der Waffen bedroht und nur indirekt durch das Auf-die-Brust-Trommeln der Person mit dem roten Knopf.
Das hat natürlich seine Plausibilität. Theoretisch mag etwas Sinn machen, dass im Krisenfall dann plötzlich ganz anders aussieht. Nicht zuletzt deshalb wollte zum Beispiel Frankreich immer seine eigenen Atomwaffen. Man traute den Versprechen der USA nicht und war überzeugt, würde es wirklich zur Konfrontation mit der Sowjetunion in Europa kommen, dann würden sich die USA sich die Sache mit dem nuklearen Schutzschirm doch nochmals überlegen. Nicht sehr abschreckend diese Abschreckung.
Abschreckung und Sicherheitsdilemmas
Wie ich im Eintrag von vorgestern schrieb, bin ich der Meinung, dass Worte durchaus etwas zählen. Ich habe die Einsatzdoktrin als ein Kommunikationsfenster bezeichnet. Einerseits gilt das für die Abschreckung. Wenn es gesagt wurde, würde ein Rückzieher die Glaubwürdigkeit noch mehr in Frage stellen, als wenn man es bei Zweideutigkeiten belassen hätte. Man stelle sich zum Beispiel vor Israel würde angegriffen. Da es offiziell den Besitz von Atomwaffen nicht deklariert, ist es schwieriger bei einer konventionellen Antwort Schlussfolgerungen über die Glaubwürdigkeit der Abschreckung zu ziehen.
Anderseits glaube ich aber auch, dass dies ebenfalls für Signale der Entspannung gilt. Es gibt das Problem, das man oft als Sicherheitsdilemma bezeichnet. Stellen wir uns zwei Staaten vor, Ahland und Beland mit einer guten Portion Misstrauen und einer Geschichte von ungelösten Konflikten. Ahland sorgt sich um seine Sicherheit und rüstet auf (kauft zum Beispiel neue Flugzeuge). Beland glaubt natürlich den Beteuerungen nicht, dass es sich um eine defensive Massnahme handelt (wie kann man auch sicher sein?) und geht ebenfalls zum Waffenhändler. Dies wiederum sieht für Ahland verdächtig nach Angriffsvobereitungen aus und sieht sich in den Absichten des Flugzeugkaufs bestätigt und beschliesst noch ein paar Panzer mehr anzuschaffen. Schon befinden wir uns in einer Rüstungsspirale. Jede defensive Massnahme schafft auch Angriffskapazitäten, die wiederum die Unsicherheit des anderen vergrössern.
Das ändern einer Nuklear- oder Militärdoktrin kann helfen eine solches Sicherheitsdilemma zu durchbrechen. Es ist dann eine vertrauensbildende Massnahme. Sie wird nicht alles verändern, aber weitere Schritte (z.B. militärischer Informationsaustausch, Inspektionen, etc.) vereinfachen.
Nordkorea, Iran, Pakistan und Indien
Da die US Nukleardoktrin sich nur auf Unterzeichner des Abkommens zur Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen (Non-Proliferation Treaty, NPT) bezieht, wurde argumentiert, dass es darum geht einen weiteren Anreiz für gewisse Staaten zu schaffen, ihre eigenen nuklearen Ambitionen zurückzuschrauben. Da bin ich mit Walt hingegen einverstanden, dass die neue Strategie in Bezug auf diese Staaten kaum etwas ändern wird.
Erstens halte ich Walts Argument für plausibel, dass Iran (ein Unterzeichner des NPT) zu einem allfälligen Ziel für Nuklearwaffen erklärt da es der Verletzung des NPT beschuldigt wird. Dies erhöht tendenziell den Anreiz für den Iran sich tatsächlich solche Waffen zu beschaffen.
Zweitens glaube ich, dass im Falle von Iran, Indien und Pakistan zudem eine starke regionale Komponente mitspielt und die USA nicht die Hauptsorge sind. Iran fühlt sich nuklear primär wohl eher von Israel bedroht und nur in zweiter Linie von den USA. Ausserdem hat die schiitische (und nicht-arabische) Theokratie nur beschränkt Freunde in der Region. Indien und Pakistan sind als US Allierte beide auch mehr mit sich selber beschäftigt (und die USA wohl ein wichtiger Akteur zum Verhindern eines Nuklearkrieges).
Drittens kümmert Nordkorea die Ankündigung wohl wenig. Einerseits benutzt dieses die Nuklearrüstung wohl vor allem als Verhandlungschip, anderseits habe ich den Verdacht, dass die Führung eine knallharte ‘realistische’ (im Sinne der Orks) Weltsicht hat und dementsprechend Aussenpolitik betreibt. Darum wird die Führung Nordkoreas wirklich keinem Papier glauben.
Warum soll sich also etwas ändern?
Ein Grund für die Änderung sehe ich darin, dass sich in den letzten Jahren sich ein Widerspruch herausgeschält hat. Man will verhindern, dass Nuklearwaffen in die Hände von Terroristen fallen. Da diese meistens bestenfalls mit einem Staat verbunden sind, aber per Definition nie Staaten selber sind, hat man zwei Probleme. Erstens je mehr solcher Waffen draussen zu finden sind, desto einfacher könnten sich diese Gruppen welche beschaffen. Um die Zahl dieser Waffen zu reduzieren muss man jedoch auch das eigene Arsenal verkleinern. Zweitens taugt die Abschreckungstheorie wenig bis gar nichts gegen Fanatiker (im Gegenteil, vielleicht habe diese sogar ein Interesse ein nukleares Desaster zu provozieren).
Dies Änderung könnte nun zukünftige Abrüstungsschritte vereinfachen. Auch werden die USA glaubwürdiger auftreten können wenn es zum Beispiel gegen ähnliche Pläne Irans geht. Zudem haben Länder wie Iran gezeigt, dass der NPT nur noch bedingt funktioniert. Für eine Revision (auch zur Anpassung an neue strategische Ziele wie zum Beispiel Nichtweiterverbreitung an Terroristen) muss man aber Vertrauen schaffen vor allem auch bei der Mehrheit der Nicht-Nuklearwaffen-Staaten.
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