Vor ein paar Tagen habe ich einen kurzen Videoclip gepostet in dem der Autor Philip Pullman während einer Buchtour einem Zuhörer erklärt, was Redefreiheit bedeutet. Ich habe inzwischen das Buch gelesen und möchte es hier besprechen.

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Das Buch (im Original The Good Man Jesus and the Scoundrel Christ, Canongate 2010) ist frisch von der Presse und ist inzwischen auch in Deutschland erhältlich (aber nur auf Englisch).

Das Buch ist Teil einer Serie, in der bekannte Autoren, alte Mythen und Geschichten neu erzählen. Wie ein Warnhinweis auf einer Zigarettenpackung und trotzdem mit einer subtilen Zweideutigkeit prangt von der Buchrückseite gross der Satz:

“This is a story”

Wie ich schon im letzten Eintrag geschrieben habe, mochte ich Pullmans His Dark Materials sehr. Nicht nur weil die Trilogie vollgepackt ist mit literarischen und Wissenschaftsreferenzen sondern vor allem auch weil Pullman ein ausgezeichneter Geschichtenerzähler ist. Darum war ich auch gespannt auf sein neustes Buch und wurde nicht enttäuscht. Nun aber schön der Reihe nach.

Pullman erzählt basierend auf den Evangelien die Lebensgeschichte von Jesus von Nazaret, jedoch mit einer kleinen Änderung: Maria hat Zwillinge. Einen Sohn mit Namen Jesus, den anderen nennt sie Christus (dass es sich hierbei eigentlich um einen Titel handelt und nicht einen Personennamen ist eine typische Pullmansche Mehrdeutigkeit). Während der charismatische Jesus vom kommenden Reich Gottes predigt und von seinem Glauben, dass dies bald komme, folgt sein Bruder Christus ihm und führt Protokoll. Er hat grösseres vor (oder genauer er wird dazu angestiftet grösseres zu planen). Am Ende bringt er seinen Bruder ans Kreuz und erscheint dessen Anhängern.

Pullmans Version ist ein interessantes Spiel um die biblische Überlieferung, deren Authentizität, die Intention deren Autoren und die historische Figur Jesus (sollte er überhaupt einmal existiert haben). Das erklärte Ziel von Christus ist es auch “Wahrheit, die von der Geschichte ausstrahlt” nieder zu schreiben, nicht eine genaue historische Aufzeichnung zu machen. Sein geheimnisvoller Beschützer formuliert es im Buch einmal so: “Er [Jesus] ist Geschichte, du [Christus] bist die Wahrheit”.

Der Autor geht so die Frage an über welche schon soviel Tinte und Blut vergossen wurde: Ist Jesus Mensch oder Gott? Das Buch ist primär weniger eine Religionskritik als viel mehr eine Kritik an der Kirche, der institutionalisierten Religion, die die Wahrheit in Beschlag nimmt und häufig ein Monopol auf Interpretationen beansprucht. Es geht ihm um die Menschen, die meinen die “Wahrheit aus der Geschichte hervortreten lassen” zu müssen und die gläubigen Massen dorthin manipulieren, wo sie sie gerne hätten.

Pullmans Jesus will keine Wunder vollbringen (er spricht abschätzig von “Zaubertricks”), Christus hingegen denkt sie seien eine Notwendigkeit um die Leute zu überzeugen. Doch auch ohne Christus werden Jesus schnell Wunder nachgesagt. Die Menschen, die ihm zuhören, wollen Wunder erleben und sie wollen Heilungen sehen. Pullman erlaubt auch nie ein eindeutiges Wunder in seiner Geschichte. Immer scheint es auch ganz plausible weltliche Erklärungen zu geben für die angeblichen Wunder (ein Beispiel ist, wenn Maria den heiligen Geist ’empfängt’, das Kapitel wurde im Vorabdruck im Guardian veröffentlicht). Mich erinnerte das Buch daher auch an die Jefferson Bibel. Das Leben Jesu befreit von Widersprüchen und Übernatürlichem.

Mir hat das schnell gelesene Buch Vergnügen bereitet. Es ist gut geschrieben und in kleine Kapitel-Häppchen verpackt. Pullman hat zum Original nur das notwendige Minimum hinzugefügt um die Geschichte erzählen zu können, die er erzählen wollte. Herausgekommen ist ein sicher auch für Christen unterhaltsames Buch, welches zum Nachdenken anregen kann, über institutionalisierte Religion, über Historizität, Glauben und die Absichten der Autoren der Evangelien. Wer sich hingegen durch diese Buch in seinen religiösen Gefühlen verletzt sieht, ist wahrscheinlich schlicht nicht bereit, sich überhaupt mit solchen Fragen auseinanderzusetzen. Die Warnung war deutlich und sollte viel häufiger zu Herzen genommen werden:

This is a story

Noch mehr Buchrezensionen auf ScienceBlogs:
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Kommentare (7)

  1. #1 KommentarAbo
    Mai 4, 2010

  2. #2 Arnd
    Mai 4, 2010

    Soweit ich weiß wurden die Evangelien lange nach Jesus’ Tod geschrieben. Insofern ist es auch nicht ungewöhnlich, dass sie sich an vielen Stellen gegenseitig widersprechen. Im Grunde genommen spricht nichts dagegen auch heute noch ein neues Evangelium zu schreiben, das Evangelium “Pullmann” :o).

  3. #3 Carl
    Mai 4, 2010

    “This is a story”, ein Hinweis, der auf die Rückseite jeder Bibel gehört.

  4. #4 jitpleecheep
    Mai 4, 2010

    Hey, danke für die Rezension, das klingt tatsächlich nicht schlecht. Wird mal bestellt.

    Falls noch nicht bekannt: Christopher Moore, “Die Bibel nach Biff: Die wilden Jugendjahre von Jesus, erzählt von seinem besten Freund”, zielt in eine ganz ähnliche Bresche, wenn auch wohl mit erheblich höherem Comedy-Anteil. Sehr zu empfehlen. Besonders, wenn man sich in der Bibel halbwegs auskennt.

  5. #5 Gwendolan
    Mai 4, 2010

    Das Buch hat mir auch sehr gefallen. Eine gewisse Bibelkenntnis ist allerdings bei der Lektüre von Vorteil, weil einem sonst das eine oder andere Augenzwinkern Pullmanns entgeht.

    Mir persönlich hätte die Geschichte noch besser ohne die Einführung eines (realen) “geheimnisvollen Fremden” gefallen – sie wäre ganz gut ohne das “Dan-Brown-Element” ausgekommen. Aber das ist eher ein Detail.

  6. #6 jitpleecheep
    Mai 4, 2010

    @Gwendolan: “Einführung eines (realen) “geheimnisvollen Fremden””

    Ich musste dabei sofort an “His Dark Materials” denken. Dort ist es ja auch so, dass unserer Wahrnehmung von Menschen als abgeschlossene Entität die Menschen der Parallelwelt entgegengestellt werden, die nur als Mensch plus Daemon existieren können.

    Scheint ein Thema bei ihm zu sein. 🙂

  7. #7 Gwendolan
    Mai 8, 2010

    @jitpleecheep: Ich hatte mir bis zum letzten Kapitel den gespaltene-Persönlichkeits-Ausweg offen gehalten, dort wird der aber nach meinem Verständnis verbaut…