Auf dem Blog des International Relations and Security Networks (ISN) der ETH Zürich findet sich heute eine Sammlung von Links zum Thema Schweizer Identität. Ich hatte noch keine Zeit mich hindurchzuklicken, es wirkt aber vielversprechend. Unter anderem ein Podcast Interview mit Hanspeter Kriesi oder eine Zusammenfassung von Forschung zum Thema im Rahmen eines Nationalfondsprojektes sind im Angebot.

Es ist eine äusserst interessante Frage, was eigentlich Schweizer Identität ausmacht. Die Schweiz ist stark dezentralisiert und sehr viel der Identitätsbildung findet auf lokaler (Kantons-)ebene statt. Gegründet nach einem Bürgerkrieg, der seien Wurzeln in einem religiösen Schisma hatte, mit vier Sprachen und einem nicht zu unterschätzenden Stadt-Land Gegensatz, kann man sich berechtigterweise Fragen, was macht eigentlich “den Schweizer” aus.

Wegen der kulturellen Vielfalt, scheint es mir als ob die Schweiz vor allem relativ abstrakte Identitätsstifter “benutzt”. Ich möchte hier meine sicherlich nicht abschliessende Liste von Dingen geben, die mir spontan einfallen. Vielleicht möchte der eine oder andere seine eigenen Ergänzungen anbringen oder eine meiner Ideen in Frage stellen. Dies stellt der Anfang einer Diskussion dar, nicht die Schlussfolgerungen. Die zugrundeliegende Frage die ich mir stelle ist: Wie definiert sich der Schweizer ausserhalb der Landesgrenze, was schafft eine Zusammengehörigkeitsgefühl?

  • Direkte Demokratie: Das Ritual vier mal im Jahr an der Urne seine Meinung kund zu tun von komplexen Europaverträgen und dem UNO Beitritt bis zur Verlegung der lokalen Wasserleitung und der höhe der Hundesteuer prägt auch nur mässig politisierte Schweizerinnen und Schweizer. Es signalisiert auch wir stecken da gemeinsam drin, dass ist unsere Art Probleme zu lösen. Ebenso wichtig wie das Einwerfen des Stimmzettels ist die Kultur des Akzeptierens des Resultats. Jede Abstimmung produziert viele Verlierer und sicher auch oft Frustration. Man lernt dass dies zum ‘Spiel’ dazugehört.
  • Viersprachigkeit: Mir ist aufgefallen, dass Schweizerinnen und Schweizer im Ausland nach Swissness gefragt oft die Viersprachigkeit betonen. Dies ist erwähnenswert, da es im Alltag eines grossen Teils der Bevölkerung keine Rolle spielt, die zweite Landessprache ein verhasstes Schulfach war und im allgemeinen Diskurs oft wenig Sensibilität für die Mehrsprachigkeit durchschimmert. Das friedliche Nebeneinander scheint zu reichen um eine Zusammengehörigkeitsgefühl zu kreieren.
  • Konkordanzsystem: Nicht zuletzt wegen der starken Dezentralisierung und der relativ grossen kulturellen Diversität ist das ganze politische System der Schweiz auf Ausgleich bedacht. Für Gesetzesvorlagen werden breitgefächerte Konsultationen durchgeführt (Vernehmlassungsverfahren), unsere Regierung ist eine über Jahrzehnte stabile Koalition wo jede kleine Änderung einem politischen Erdbeben gleichkommt und politische Kompromisse sind das A und O im Gesetzgebungsprozess. Dies ist ein Teil einer gemeinsamen Kultur deren man sich auch sehr bewusst ist.
  • Sonderfall: Der Sonderfall Schweiz ist nicht nur eine Floskel, sondern etwas womit sich die Schweizerinnen und Schweizer identifizieren. Egal ob dieser wirklich existiert oder nicht, kann er galvanisieren. Schliesslich geht es um uns im Gegensatz zu den anderen. Perfekt um sich abzugrenzen. Im Grunde ist es aber nur eine Variation auf Sonderstellungsideen, die auch andere Länder pflegen, wie zum Beispiel der American Exceptionalism.
  • Neutralität: In der Schweizer Aussenpolitik war die Neutralität (übrigens ein völkerrechtliches Konstrukt, welches am Anfang der Schweiz von den grossen Mächten auferlegt wurde) immer ein sehr genehmes Instrument. Man konnte sie mit vielen Inhalten füllen und hat sich erwiesenermassen im Laufe der Zeit immer wieder geändert. Was jedoch konstant blieb ist der starke Mythos einer monolithischen Neutralität, die so als Projektionsfläche dient.
  • Schweizerische Bundesbahnen: Zugegeben, dieser Punkt fällt im Vergleich zu den vorher erwähnten Konzepten etwas aus dem Rahmen. Trotzdem denke ist die SBB ein identitätsstiftendes Element. Sie repräsentiert wie wir uns gerne sehen und gesehen werden möchten: Pünktlich, fleissig, gut organisiert, sauber, gut vernetzt und technisch vorne mit dabei. Darum kommen Verspätungsmeldungen auf dem Schienennetz auch am öffentlich rechtlichen Radio mit den Verkehrsnachrichten und darum können Probleme mit Bahnmanagern zu riesigen politischen Problemen werden für die zuständige Ministerin respektive den zuständigen Minister (und wir haben doch nur sieben davon).

Gezögert habe ich ob ich die Milizarmee auflisten soll oder nicht. Ich glaube sie war ein wichtiges identitätsstiftendes Element während und nach dem zweiten Weltkrieg, hat aber stark an Bedeutung in diesem Kontext verloren und sie hat es darum am Ende nicht auf meine Liste geschafft. Die Zeiten wo sie ein Muss war für berufliches Fortkommen, wo jeder Schweizer Dienst leistete und wo Männerbünde fürs Leben geschlossen wurden sind glaube ich vorbei.

Ich bin gespannt auf weiter Ideen.

Kommentare (16)

  1. #1 Wb
    Mai 19, 2010

    Das dezentralistische Kantonssystem fällt noch spontan ein, die Konkordanz leitet sich daraus ab (da ansonsten der Laden sehr schnell hopp gehen würde).
    Das bekannteste Persönlichkeitsmerkmal ist die Langsamkeit, dann folgt die Vorsicht.
    Wer mit einem langweiligen und langsamen Menschen in Deutsch parliert, der ganz gelegentlich interessante Einsichten offenbart, hat fast immer mit einem Schweizer zu tun.

  2. #2 Stefan
    Mai 19, 2010

    Die Schweizer haben die schönsten Banknoten der Welt. Im Vergleich dazu sieht der Euro aus wie hingerotzt.

    Von wegen Bundesbahn: Ich finde es toll, wie es die Schaffner fertig bringen beim überschreiten der Sprachgrenze in der jeweils anderen Sprache nach der Fahrkarte zu verlangen.

    Was ich doof find: Lebensmittel, Restaurant und Kneipen sind vieeeeel zu teuer. Dann lieber nach Österreich.

    Ach hier ging es ja um die Indetität: Als Südbadner mag ich natürlich Schwyzerdütsch. Ich finde es toll, wie die Schweizer “super” und “gut” aussprechen (und vor allem wie oft sie das tun!) Ich bin mir aber unsicher, ob es die Deutschschweizer mögen, wenn man sie als Alamannen bezeichnet. Daher lasse ich das lieber bleiben 😉

  3. #3 olchemist
    Mai 19, 2010

    Ich finde die Schweizer Identität verwirrend. Erst ist es total wichtig ob man romande, dütsch oder ticinese ist, wodurch man sich ja wohl in irgendeiner Form in “Franzosen”, “Deutsche” und “Italiener” unterteilt. Aber wehe man nennt dies beim Namen. Dann sind alle auf einmal wieder Schweizer.

    Mit der Mehrsprachigkeit ist es ja selbst in Fribourg nicht weit her, obwohl das direkt am Röstigraben liegt. Die Uni ist offiziell zweisprachig, aber regelmäßig zum Vorlesungsstart gibt es Grabenkämpfe was denn im Kurs nun gesprochen werden soll. Dreisprachig habe ich lediglich Tessiner erlebt und die sind quasi zum Sprachen lernen gezwungen weil sie keine eigene Uni haben.

    Warum die Banknoten so schön sein sollen verstehe ich nicht. Teurer als in München ist das Bier hier allerdings auch nicht… leider nicht so gut…

  4. #4 Stefan
    Mai 19, 2010

    @olchemist: “Warum die Banknoten so schön sein sollen verstehe ich nicht.”
    Naja, das ist vielleicht Geschmackssache. Ich finde sie halt schön bunt.

    “Teurer als in München ist das Bier hier allerdings auch nicht… ”
    Okay, als in München glaube ich Dir sofort.

    “Aber wehe man nennt dies beim Namen. Dann sind alle auf einmal wieder Schweizer.”
    Ja, das ist gut gesagt. Die Erfahrung habe ich auch gemacht.

  5. #5 Redfox
    Mai 19, 2010

    Was ist dem mit dem ‘Rütlischwur’?

    Und dem Kräuterzucker? 😉

  6. #6 ali
    Mai 19, 2010

    @Wb
    Nein, die Konkordanzdemokratie ‘leitet’ sich nicht aus dem ‘dezentralen Kantonssystem’ ab. Von nationalen ‘Persönlichkeitsmerkmalen’ habe ich gar nichts geschrieben. Wäre mir auch zu blöd als Thema. Aber was solls…

    @Stefan

    Das habe ich vergessen zu erwähnen bei meiner SBB Lobhudelei: Vielsprachig ist sie natürlich auch.

    In Sachen Banknoten: Meinst du die mit dem Schädel, die mit dem Embryo oder doch den AIDS Virus?

    Ich kann dir übrigens garantieren, dass sich die französischsprechenden alles andere als mit dem allemanischen Dialekt identifizieren.

    @Olchemist

    Das mit dem ‘verwirrend’ ist irgendwie mein Punkt in Sachen Landessprachen: Viele haben wenig Berührungspunkte und scheren sich keinen Deut um die anderen Sprachen sofern sie sich diesen im Alltag überhaupt bewusst sind (z.B. Frühenglisch Debatten) gleichzeitig ist das immer das erste was im Ausland über die Schweiz erzählt wird: “Hey, wir haben vier Sprachen und funktionieren trotzdem, sind wir nicht toll!”

    @Redfox

    Der Rütlischwur ist bei einigen ein starker Mythos, für viele ist es aber eben nur das: Mythologie. Ich glaube das zieht in konservativen und nationalistischen Kreisen, hat aber nicht genug Breitenwirkung.

    Was den Kräuterzucker anbelangt, bin ich mir nicht sicher wer ihn erfunden hat…

  7. #7 Ulrich
    Mai 20, 2010

    “In Italy for 30 years under the Borgias, they had warfare, terror, murder and bloodshed. But they produced Michelangelo, Leonardo da Vinci and the Renaissance. In Switzerland, they had brotherly love. They had 500 years of democracy and peace. And what did that produce? The cuckoo clock!”

  8. #8 michael
    Mai 20, 2010

    @UIrich
    > “The cuckoo clock!”

    Die Schweizer ?? Ist nicht wahr, oder hat der Schwarzwald früher zur Schweiz gehört?

  9. #9 Wb
    Mai 20, 2010

    Wb jetzt auch baff, die Wikipedia weiß aber zu berichten:
    “Im Ausland gilt die Kuckucksuhr als Symbol für Deutschland, allerdings irrigerweise auch für die Schweiz und Österreich.”

    Logisch, dass die flexiblen Schweizer -bspw. für japanische und amerikanische Touristen- dann auch auf einmal “Swatch”-Kuckucksuhren bauen. Ob das wirklich so ist, müsste dann aber noch von einem Schweizer bestätigt werden. 🙂

  10. #10 Ulrich
    Mai 20, 2010

    Mah, ihr Spielverderber.
    Das ist ein Zitat aus dem Film “Der dritte Mann” und sollte als unumstößliches, nicht widerlegbares und letztlich endgültiges Totschlagargument gegenüber der Schweiz dienen. :-))

  11. #11 Tim
    Mai 20, 2010

    @ Redfox

    Das Rütli ist so ziemlich das unspektakulärste Nationalheiligtum, das es auf Erden gibt. Schätze also, daß der Rütli-Schwur den Schweizern nicht (mehr?) viel bedeutet … 🙂

  12. #12 Stefan
    Mai 20, 2010

    @Redfox: Naja, unser Nationalheiligtum besteht auch nur aus zwickender Wade und gerissenen Bändern und wird dann auch noch einfach durch Schweini ersetzt 😉

  13. #13 soph
    Mai 20, 2010

    Laut Asterix ist das identitätsstiftende Merkmal die Sauberkeit 🙂

    Und ganz abwegig ist das (wie immer bei Asterix) nicht.

  14. #14 Thomas J
    Mai 20, 2010

    @soph

    Die Pünktlichkeit und das grässliche Gejodel nicht vergessen, wenn du schon Asterix herannimmst 😉

  15. #15 Stefan
    Mai 20, 2010

    @soph: und die Tresore und der Käse. Ich glaube, dann sind wir mit Asterix durch 😉

  16. #16 soph
    Mai 21, 2010

    Eieiei, bin halt doch nicht ganz word perfect in Asterix 🙂