Die folgende Buchbesprechung ist ein Gastbeitrag von Niko Alm (bei ihm im Blog zuerst veröffentlicht). Es geht um ein Buch eines italienischen Journalisten über die Geschäftspraktiken des Vatikans. Ich selber habe das Buch nicht gelesen, aber stimmen die Vorwürfe des italienischen Autors, würde mich das kaum überraschen. Nicht weil im Vatikan die schlechteren Menschen sind. Im Gegenteil, weil trotz gegenteiliger Beteuerungen der katholischen Kirche auch dort keine besseren sind. Menschen, die ebenso sehr oder wenig anfällig auf die Verlockung von Geld und Macht sind wie alle anderen auch.
Passend
zu den aktuellen Missbrauchsaffären erscheint jetzt mit „Vatikan AG” (2009 im
italienischen Original „Vaticano S.p.A.”) das nächste Dokument katholischer Diskrepanz
zwischen Theorie und Praxis. Der italienische Journalist Gianluigi Nuzzi bringt
darin u. a. die Machenschaften der Vatikanbank von Geldwäsche bis Mafia ans
Licht. Aber die darin beschriebenen Skandale betreffen weit mehr als das
“verkrampfte Verhältnis der Kirche zum Geld”. Sie sind Beleg für die
fortgesetzte Heuchelei der katholischen Kirche.
4.000 Dokumente hinterließ Renato Dardozzi, einer
der wichtigsten Mitarbeiter der Vatikanbank, nach seinem Tod dem italienischen
Journalisten Gianluigi Nuzzi, der diese in monatelanger Arbeit auswertete und
zu einer Faktensammlung in Buchform verdichtete. Die Publikation beinhaltet
schwerwiegende Anschuldigungen gegen das IOR (Istituto
per le Opere di Religione) vulgo Vatikanbank im Besonderen und gegen die
katholische Kirche generell.
Die auf vielen Seiten ausgebreiteten, langwierigen
Erklärungen der Geldflüsse und Verstrickungen von allen möglichen Kardinälen,
Prälaten und Monsignori lesen sich natürlich nicht wie der in Rezensionen oft
gebrachte Vergleich eines Krimis, aber das darf von einem derartigen Buch auch
nicht erwartet werden. Die Vatikan AG ist ein Sachbuch, das in zweierlei
Hinsicht aufklärend wirkt:
Da ist zunächst der offensichtliche Skandal, der den Vatikan in eine Reihe mit dubiosen
Inselstaaten rückt, deren Bankinstitute für alle möglichen Wasch- und
Betrugsvorgänge herangezogen werden, die mit der Legislative moderner,
demokratischer Staaten nicht vereinbar sind.
Kurz zusammengefasst betreibt der Vatikan mit dem IOR eine Bank, die sich
üblichen Kontrollen entzieht und deren Handlungsbevollmächtigte als geistliche
Würdenträger (was für ein Wort…) durch die Lateranverträge
vor strafrechtlicher Verfolgung bewahrt. Diese Narrenfreiheit wurde ?
nunmehr nachgewiesen ? jahrelang weidlich genützt. So wurden u. a. im
Rahmen der Enimont-Affäre Schmiergelder in Höhe von 88,9 Milliarden Lire über
das IOR geschleust, es gab personelle Verstrickungen von Ministerpräsident
Andreotti bis hin zur Mafia selbst usw. usf. Bei all dem ist anzunehmen, dass
Nuzzi in seinem Buch nur Dinge verwertet hat, die absolut wasserdicht sind.
Anders ist wohl auch nicht zu erklären, dass er weder geklagt noch sonst
irgendwie öffentlich attackiert wurde.
War das alles?
Sind wir damit schon am Ende des Skandals angelangt?
Hunderte Milliarden Lire sind ein schönes Stück Asche. Geldwäsche, Mafia,
Rücktritte, etc. sprechen eine deutliche Sprache. Die Schweigetaktik des
Heiligen Stuhls scheint angesichts der jüngsten Konsequenzen auch nur bedingt
funktioniert zu haben. Der Vatikan unterzeichnet im November 2009 ein
Währungsabkommen mit der EU. Das zentrale Amt des Prälaten im IOR wurde im
Jänner 2010 abgeschafft. Doch die eigentlichen Verfehlungen werden weder von
Nuzzi, noch von Medien explizit verarbeitet: Die katholische Kirche ist mit einem
überbordenden Glaubwürdigkeitsproblem konfrontiert, das mittlerweile so
offensichtlich ist, dass darüber gar nicht mehr gesprochen wird.
Für Nicht-Gläubige, die das auf unbewiesenen und
unbeweisbaren Behauptungen gebaute System Kirche, das Milliarden Menschen zur
Leichtgläubigkeit verführt nicht nachvollziehen können, sind derartige Skandale
wenig überraschend.
„De Bonis’ Offshore-System speiste sich also auch aus Geldern, die Gläubige zum Gedenken an Verstorbene einbezahlt hatten.”
Vatikan AG, S. 94
Aber gläubigen Katholiken muss es bei genauerer
Betrachtung der Abläufe im IOR den Magen umdrehen. Hier wurden karitative
Einrichtungen und „fiktive Stiftungen” dazu benützt, Geld einzusammeln und im
Kreis zu schicken. Nuzzi ergänzt, was offensichtlich ist: „Allerdings waren nur
die allerwenigsten Gelder dieses Kontos für wohltätige Zwecke bestimmt.”
Unter dem Deckmantel der Mildtätigkeit wurden „… als
karitative Werke getarnte Geschäfte …” abgewickelt. Eine Vorgangsweise, die in
der katholischen Kirche vermutlich schon lange Praxis ist. An dieser Stelle sei
auch auf die kritische Würdigung einer anderen Paradeheiligen verwiesen, die
wohl ausreichend Material für ein Buch mit dem Titel „Mutter Teresa AG”
bereithielte. In einem Text auf mutter-teresa.info
heißt es: „Interessanterweise legt der Orden seine Finanzen nicht offen, obwohl
dies nach indischem Recht für Hilfsorganisationen vorgeschrieben ist. … Das
meiste Geld des Ordens landet in Rom, auf einem Konto bei der Vatikanbank. Was
auch immer dort damit geschieht ? den Armen der Welt kommt es nicht
zugute.”
Die in ihrem Kern sicher aufrichtigen Bemühungen
karitativer Institutionen sind trotz allem nichts weiter als die größten
Marketing-Aufwendungen der katholischen Kirche. Aufwendungen, die oft nicht
einmal von der Institution selbst getragen werden. Zum Beispiel sind weniger
als 10% des Budgets der Caritas in Österreich über Spenden (inkl. Erbschaften)
finanziert, die Kirche selbst leistet einen ebenso geringen Anteil, d. h. weit
über 80% der Finanzierung werden durch das säkulare Österreich getragen. Ohne
die Leistung derartiger Organisationen schmälern zu wollen, muss an dieser
Stelle gefragt werden, ob die Kirche hier nicht über mehr (moralisch) zweckgebundene
Mittel verfügt, als sie zugibt. Die Konten des IOR legen das Nahe: „Aber man
irrt sich gewaltig , wenn man glaubt, diese Schwestern wären arm wie
Kirchenmäuse gewesen. Das Guthaben der Ancelle betrug 55,4 Milliarden Lire,
umgerechnet 43,5 Millionen Euro.” Die humanitäre Vorbereitung auf das Jenseits
ist laut Nuzzi ein gutes Geschäft: „Psychiatrische Kliniken und Altenheime
waren immer schon hochprofitabel”. Und dennoch investiert die Republik Italien
jährlich ca. 9 Milliarden Euro direkt oder indirekt in den Vatikan.
Wusste der Papst davon?
Der Papst wusste von den Vorkommnissen, was
selbstverständlich durch Dardozzis Dokumente belegbar ist. Ebenso
selbstverständlich schwieg er dazu, wie er es auch bei anderen Anlässen zum
Teil in Form von Hirtenbriefen gerne tut (siehe aktuelle Missbrauchsfälle
Irland).
Das achte Gebot „Du sollst nicht lügen” gilt für den Vatikan nicht.
Täuschungsmanöver und Vertuschung sind ständige Begleiterscheinungen seiner
Geldgeschäfte. „Der Vatikan möchte nicht preisgeben, woher seine Gelder stammen
und wohin sie gehen.” Während auf der einen Seite „akribisch genau die Kosten
für das Papier der Sonderbriefmarken beziffert werden”, fehlen andererseits
einfach Teile der Bilanzen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Einkünfte landet
überhaupt gleich direkt in der Privatschatulle des Papstes. So konnte Papst
Johannes Paul II im Jahr 1994 über 166,9 Milliarden Lire frei disponieren. Auch
der Peterspfennig (jährliche Kollekte vom 29. Juni) scheint in keinen Bilanzen
auf und steht dem Papst persönlich zur Verfügung. Im Jahr 2006 konnte sich
Joseph Ratzinger über satte 101,9 Millionen US-Dollar aus dem globalen
Klingelbeutel freuen.
Ratzinger wird im Buch übrigens kaum mit einem Wort
erwähnt und es ist sehr stark anzunehmen, dass Nuzzi sich hier nicht den Mund
verbrennen will, zumal er sicher genug Material hatte ohne auf Verwicklungen
des amtierenden Papstes zurückgreifen zu müssen. Und wie der Autor selbst sagt:
„Das Buch ist explizit nicht antiklerikal. Ich hätte kein Exemplar von Vatikan
AG verkauft, wenn ich dem Vatikan unterstellt hätte, kriminell zu sein.”
Täuschung als Geschäftsgrundlage?
Auch wenn die Machenschaften des IOR vordergründig
skandalös erscheinen, wird das eigentliche Problem des Vatikans in Nebensätzen
und Fußnoten evident. Hier ist eine Organisation am Werk, die aus der
Verkündung absoluter Wahrheiten Lebensvorschriften ableitet, an die sie sich
selbst nicht hält. Nichts legt den Schluss nahe, dass das unlautere
Geschäftsgebaren der katholischen Kirche sich auf den IOR beschränkt. Die Frage
ist vielmehr, ob Lüge und Vertuschung in dieser Organisation nicht
systemimmanent sind.
Gianluigi Nuzzi: „Oft zeugten schon die
Kontozuschreibungen selbst von Heuchelei und Zynismus. Das Konto
‘001-3?15924-C’ benannte der Prälat des IOR um in ‘Fondazione mamma de
Bonis, lotta alla leucemia [Stiftung Mama de Bonis, Kampf gegen die Leukämie]”
Niko
Alm
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