Der Eintrag zum abgefangenen Schiff hat eine Diskussion ausgelöst, deren Verlauf mehr oder weniger in altbekannten Bahnen zu verlaufen scheint. Ich habe mich bis jetzt kaum eingemischt da mir im Moment die Zeit fehlt zum Bloggen und kommentieren. In diesem Post möchte einen zentralen Punkt der Diskussion aufnehmen: Auf welcher Grundlage findet die Meinungsbildung statt?
Dies wird keine vertiefte Analyse von rechtlichen Aspekten sein, dafür fehlt mir die Zeit. Es ist ein Eintrag, den ich anstelle einer langen Antwort im betreffenden Diskussionsthread geschrieben habe. Primär geht es mir um Meinungsbildung und den Umgang mit Quellen aber auch die Art der Argumentation.
Zuerst also zur Frage der Meinungsbildung. In einem so über Jahrzehnte polarisierenden Konflikt sind die Fronten oft stark verhärtet. Dies birgt eine grosse Gefahr, eine die wir auf diesen Seiten aus anderen nicht-politischen Diskussionen sehr gut kennen. Dort ist es oft offensichtlicher, da es tatsächlich ein ziemlich eindeutiges Richtig und ein Falsch gibt. Von solcher Klarheit sind wir natürlich im politischen Bereich weit entfernt. Trotzdem sollte man sich als skeptischer Mensch immer Fragen, wo man seine Informationen bezieht und wie man sie einordnet respektive selektiert.
In der konkreten Diskussion in meinem Post ist des Pudels Kern eine Meinungsverschiedenheit über die Effektivität der Blockade im Gaza. Deren Effektivität wird wohl gemessen an einer eventuelle Erhöhung der Sicherheit Israels einerseits und der Schwächung der Hamas anderseits. Dies muss ins Verhältnis gesetzt werden mit anderen Auswirkungen dieser Blockade auf die Zivilbevölkerung. Es stellt sich dann die Frage nach der Verhältnismässigkeit und auch ob das gleiche Ziel mit weniger kollateral Schäden erreicht werden könnte. Offensichtlich kommen nicht alle zu den gleichen Schlüssen diesbezüglich, also stellt sich die Frage worauf die Einschätzung basiert.
Wem vertrauen?
Ich habe nicht im Gaza geforscht, habe ihn nicht besucht und gehe davon aus, dass es der grossen Mehrheit der kommentierenden auch so geht. Es handelt sich nicht um ein Thema wo man nicht einfach auf eine grosse Anzahl transparent verfasste Studien zurückgreifen kann. Darum muss man sich Wohl oder Übel auf die interne Logik der Quellen und die Reputation deren Urheber stützen.
Worauf stütze ich also meine Aussagen, dass die Blockade die Zivilbevölkerung stark in Mitleidenschaft zieht und ineffektiv ist? Es sind Berichte von Zeitungen und Zeitschriften von relativ hoher Reputation: Der Economist sieht es wie die NZZ. Selbst Israels engster Allierter, die USA kritisieren die Blockade. Auch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes welches seine Neutralität sehr ernst nimmt, weist auf die Probleme des Embargos hin. Renommierte Internationale Nicht-Regierungsorganisationen schätzen die Lage ebenso ein: Human Rights Watch ebenso wie Amnesty International oder die International Crisis Group deren Pressecommuniqué Ausgangspunkt des letzten Postings war. Man kann dies auch nicht einfach damit abtun, dass alle diese Institutionen anti-israelischer Propaganda aufgesessen sind. Man findet ähnliche Argumente durchaus auch in israelischen Presseerzeugnissen wie zum Beispiel der Haaretz oder israelische Menschrechtsgruppen wie B’Tselem (ebenfalls keine Randgruppierung sondern eine respektierte NGO die übrigens regelmässig beide Seiten kritisiert).
Was steht dem bisher gegenüber? Vor allem israelische Regierungsquellen, Lobbygruppierungen, ein paar Fotos und die-Website-die-ich-beim-Argumente-Googeln-Gefunden-habe.
Informations-Rosinenpicken
Ein Resultat von genau diesem Phänomen sind die Helsinki Principles on the Law of Maritime Neutrality die plötzlich überall im Netz die Runde machen und belegen sollen, dass Israel rechtmässig gehandelt hat. Typischerweise werden einfach die Artikel gepostet (so zum Beispiel hier bei der Achse des Guten oder auch in den Kommentaren zu meinem Post) als ob es sich um etwas wie Grundgesetzparagraphen handeln würde, ohne Kontext ohne Quellenangabe und vermutlich häufig ohne zu verstehen wie Völkerrecht funktioniert.
Ich kannte dieses Dokument vorher nicht und ich bin aber auch kein Experte für Seerecht und habe mich darum kurz auf die Suche nach diesem ‘Prinzipien’ gemacht. Es handelt sich tatsächlich nicht um einen Internationalen Vertrag der relativ eindeutig Recht schaffen würde. Es ist ein Dokument welches von einer Kommission International Law Association verfasst wurde (es gibt dort auch Kommissionen zu Feminismus und Völkerrecht oder Scharia Rechtsgebung und das Völkerrecht). Es handelt sich also nicht um ein offizielles Dokument, schon gar nicht eines welches von irgendeinem Staat gutgeheissen worden wäre. Es kann durchaus sein, dass dieses Dokumente oder Teile davon den aktuellen Stand der Dinge reflektieren, als nicht Spezialist wäre ich vorsichtig mit der Interpretation eines Dokuments einer privaten Organisation, die ich nicht kenne, eine Vorsicht, die den meisten, die diese Prinzipien überall im Netz als ‘Beweis’ für die Rechtmässigkeit von Israels Aktionen ins Feld führen, abzugehen scheint. Der Verdacht liegt nahe, dass das Dokument nicht wegen seiner Qualität zitiert wird (welche ich ihm nicht absprechen möchte, das kann ich nicht beurteilen) sondern weil es einem gut in die Argumentation passt. Genau vor solche Mechanismen sollten sind Skeptiker auf der Hut.
Krieg oder nicht Krieg und die Konsistenz der Argumente
Selbst wenn man die Helsinki Prinzipien als geltende Regeln akzeptiert bleibt ein Problem der Konsistenz bestehen, eines welches sich auch auf andere Rechtfertigungen anwenden lässt. Israel spricht nicht von besetzten Gebieten und nicht von einem Kriegszustand. In einem solchen gelten nämlich spezielle Regeln unter anderem was Kriegsgefangene betrifft oder das Besetzen von Territorium. Nun kann man nicht die Situation nach Belieben definieren so dass die Sonderregelungen für eigene Aktionen gelten wenn es nützt aber nicht den speziellen Schutz für andere gewährt. Es ist genau dieser Widerspruch den Israel immer wieder schafft und womit es leider oft seine Glaubwürdigkeit untergräbt.
Ganz allgemein stelle ich eine Tendenz fest, dass bei Diskussionen um die Situation um Israel und die besetzten Gebiete bewusst oder unbewusst ähnliche Taktiken angewendet werden, wie in Diskussionen um diverse Arten von Hokuspokus auf den Scienceblogs (ich ziehe hier nur eine Parallele zur Methode und es ist mir bewusst, dass die Faktenlage an und für sich sicher schwieriger zu beurteilen ist in diesem Fall). Informationen werden gefiltert nicht auf der Basis ihrer Glaubwürdigkeit sondern auf Grund ihres Inhaltes (z.B. die nicht doppelt verblindete Studie mit 17 Probanden). Man stellt die Gegenseite in eine (Anti-Israel/Pro-Hamas Ecke) ohne sich mit den Argumenten direkt auseinander zu setzen (z.B. ihr seid alle Teil von Big Pharma) und man argumentiert mit den Untaten der anderen statt sich mit den zur Diskussion gestellten auseinanderzusetzen (z.B. Nebenwirkungen von Medikamenten). Es kann sich jeder selbst überlegen ob er oder sie sich diesen ‘Sünden’ schuldig macht oder nicht.
Update: Ich möchte hier noch Glen Greenwald zum Thema empfehlen (ihm geht es jedoch hauptsächlich um die US Medienberichterstattung): How Israeli propaganda shaped U.S. media coverage of the flotilla attack
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