Ich bin heute über einen einen Monat alten Artikel in der Webausgabe der israelischen Zeitung Haaretz gestolpert der einen interessanten Statistik betreffend der israelischen Streitkräfte aufgreift. Angeblich hat dort ein schleichend die Religiosität stark zugenommen. Dies könnte dramatische Auswirkungen auf deren Effektivität für spezifische Aufgaben haben.
Der Haaretz Artikel behauptet, dass für die Infanterie (“die Speerspitze der Kampftruppen”) 1990 2% angegeben haben, religiös zu sein. 2007 waren es schon 30%. Heute geben “sechs von sieben” Oberstleutnants der Golani-Brigade an religiös zu sein. Drei von vier tun das für die Kfir-Brigade, drei von sieben in der Givati Brigade. In einigen hätten der Anteil religiöser im Kader über 50% erreicht, das dreifache des Bevölkerungsdurchschnittes.
Das Blatt sieht einen Hauptgrund in dieser Entwickulung, weil viele säkulare Linke der Kaderausbildung in der IDF nach dem ersten Libanon-Krieg und der ersten Intifada den Rücken zugekehrt haben (übrigens wie das Blatt meint zu Unrecht). Gemäss dem Artikel würden viele dieser Leute auch nicht den oben erwähnten Brigaden zugeteilt. Haaretz sieht ein grosses Problem am Horizont sollte es politisch nötig werden, Siedlungen und umstrittene Siedler Aussenposten zu räumen. Die Zeitung vermutet einen potentiellen Loyalitätskonflikt dieser Soldaten, sollten sie einen entsprechenden Befehl erhalten. Sollte Haaretz mit dieser Analyse recht haben, dekonstruiert dies auch in gewissen Belangen das Bild, dass Israel alleine gegen die öffentliche Meinung der Rest der Welt anzukämpfen hätte. Der Graben zieht sich offensichtlich ebenso durch die eigene Bevölkerung. Wenn eine Milizarmee die ständig mit kriegerischen Auseinandersetzungen von höchster politischer Brisanz konfrontiert sein könnte, nur noch ein Bevölkerungssegement repräsentiert, schafft dies natürlich offensichtliche Probleme.
Grundsätzlich finde ich eine solche Religiosifizierung der Streitkräfte besorgniserregend. Einerseits aus säkularen Prinzipien anderseits weil es sich um Streitkräfte in einer Region handelt, die seit einem halben Jahrhundert von Spannungen geplagt ist, die immer mehr auch entlang religiöser Linien verlaufen (das war nämlich nicht immer so). Der Wahlsieg der Hamas ist nur ein Symptom dieser Dynamik. Es besteht das Risiko einer weiteren Verschärfung und Verhärtung der Fronten. Wer meint die Wahrheit zu besitzen und diese aus einem vermeintlich heiligen Text ableitet, sollte meines Erachtens zum Wohle der Menschheit nicht den Finger am Abzug oder auf dem roten Knopf haben.
Leider bleiben nach der Lektüre des Artikels einige Fragen zur Interpretation dieser Zahlen offen. In den Politikwissenschaften wird ‘Religiosität’ typischerweise daran gemessen, ob und wie die Religion praktiziert wird (Beten, Gotteshausbesuche, etc.). Was genau in der IDF gefragt wird ist nicht klar. Es könnte sich genau so gut um eine Veränderung in der Selbstwahrnehmung handeln oder im generellen Empfinden was “religiös sein” bedeutet. Auch macht die Rechnung, dass über “über 50% Religiöse” mehr als “das Dreifache des nationalen Durchschnitts” sei mich etwas skeptisch. Vorausgesetzt die Zahl ist korrekt, bedeutet “religiös sein” entweder, eine ziemlich strenge Religiosität (was um so beängstigender wäre) oder es werden zwei unterschiedliche Konzepte verglichen. Ich frage mich auch wie direkt man die Verbindung zwischen Religiosität und Sympathien für die Siedlerbewegung herstellen kann. Die Siedlerbewegung ist zwar häufig religiös motiviert aber es gibt auch religiöse Gruppierungen (zum Beispiel die Shas Partei) die sich wenig für die Siedlungsfrage interessieren oder ihr gar kritisch gegenüberstehen.
Gefunden habe ich den Artikel via Blogpost wo auf eine Sonderausgabe einer Zeitschrift Les Champs de Mars des Institut de recherche stratégique de l’école militaire (IRSEM) des französischen Verteidigungsministeriums hingewiesen wird (in Frankreich scheint niemand und nichts vor Poesie sicher zu sein, was für ein wundervoller Name für eine Militärzeitschrift!). Diese Nummer wird sich nach eigenen Angaben mit der Soziologie der Israel Defense Forces (IDF) beschäftigen. Vielleicht finde ich Zeit darin zu stöbern.
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