Gestern habe ich über die Kritik in der Blogosphäre geschrieben, die zur permanenten Ausstellung im Natural History Museum das zu der Smithsonian Gruppe gehört, geübt wurde. Ganz zum Schluss habe ich noch versprochen eine kurze Besprechung der Ausstellung zu posten. Diesem Versprechen möchte ich nun hier nachkommen.

Ich habe häufig ein etwas zwiespältiges Verhältnis zu Ausstellungen in amerikanischen Museen. Oft scheinen mir US Ausstellungen ‘überpädagogisiert’. Ich weiss nicht ob es daran liegt, dass solche Institutionen oft weniger von der öffentlichen Hand finanziert werden als auf dem Kontinent oder ob einfach eine andere didaktische Kultur vorherrscht, aber oft wird das didaktische Element für meinen Geschmack überbewertet. Man wird manchmal wie ein sechsjähriger angesprochen und die Dinge werden mit möglichst vielen Knöpfen und Bildschirmen erklärt, als ob Interaktivität ein Ziel für sich selber wäre. Diesbezüglich war die Ausstellung aber zum Glück nicht aufdringlich.

Man kann gut auch mit einem Kind dorthin gehen und es gibt viele illustrative Filmchen und auch ein paar Knöpfe zum drücken, es findet sich aber etwas für alle. Natürlich bin ich nur als interessierter Laie durch die Ausstellung gegangen und nehme an und zum Thema etwas belesenere Museumsgängerinnen und -gänger, teilen vielleicht diesen Eindruck nicht. Die Ausstellung deckt viele Themen ab. Von der physischen Entwicklung (Körperbau, Gang) über Nahrung, Werkzeuge und Verhalten bis zu kulturellen Eigenschaften wie Kunst oder Bestattungsriten (ich wusste zum Beispiel nicht, dass auch Neandertaler solche hatten).

Die Ausstellung greift wohl zwangsläufig häufig auf künstlerische Interpretationen zurück zum Beispiel mit der Reproduktion von möglichen Gesichtern (siehe auch Bild). Zweifelsohne steht da viel Wissenschaft dahinter, aber sich auch einiges an künstlerischer Interpretation. Wo diese Grenze verläuft, hätte man meines Erachtens besser herausarbeiten können. Es gibt übrigens eine App (Androïd und iPhone) wo man ein mit dem Handy gemachtes Porträt zu einem Neandertaler oder gar einem homo floresiensis machen kann. Angeblich beruht es auf der selben Technik, die der für die Ausstellung beauftragte Paleo-Künstler John Gurche verwendet hat.

homo_heidelbergensis.jpg

Leider kippt die Ausstellung manchmal etwas ins Oberflächliche. Die Frage die man des öfters gestellt kriegt und der ein ganzer Teil der Ausstellung gewidmet ist, ist Was macht uns zum Menschen? (What makes us human?). Die Frage kann vermutlich nur im Negativ beantwortet werden (will heissen was unterscheidet uns von unseren Vorfahren). Irgendwie schwingt in dieser Fragestellung noch diese Idee des Menschen als losgelöst von der Natur mit, als “Krone der Schöpfung” oder “Endpunkt der Evolution”. Dabei ist genau das, wie ich finde, einer der interessantesten Aspekte, die einem die Ausstellung vor Augen führt. Wir sind nicht abgetrennt sondern Teil des Ganzen und es handelt sich nicht um eine abgeschlossene Entwicklung. Wir lebten gleichzeitig mit Neandertalern. Der Homo Sapiens ist bisher und trotz allem erreichten nur ein Augenblinzeln lang auf diesem Erdklumpen im All. Unterschiede zu unseren Vorfahren sind graduell. Vielleicht werden wir nie mehr sein, als ein kleiner evolutionärer Ausschlag. Auch dass die Ausstellung mit leider dort kaum diskutierten Kunstobjekten und Höhlenmalereien schliesst, rettet diese verpasste Chance zum Denkanstoss nicht.

Wie ich gestern schon geschrieben habe, der weisse Elefant im Ausstellungsraum ist sicherlich die grosse Skepsis in der US Bevölkerung gegenüber der Evolutionstheorie. Überall findet man kleine Sprechblasen, wo einem erklärt wird “Warum wir dies oder das wissen” oder was die “Evidenz für jenes” ist. Den grössten Dienst an der Aufklärung des Publikums leistet jedoch die Ausstellung vermutlich durch die Themenwahl selber.

Hatte noch Darwin den Menschen aus seinem Origin of Species bewusst weggelassen und für später aufgespart um sein Publikum nicht zu überfordern (wer sich auf was er schrieb einlassen wollte, konnte sich die letzte Konsequenz gut denken). Doch heute wissen wir soviel mehr, dass genau dieser Aspekt der Evolution sich wohl als idealer Augenöffner anbietet. Wer die Ausstellung besucht, wird mit dem Wissen zu unseren direkten Vorfahren konfrontiert. Statt missverständliches über vermeintlich fehlende Bindeglieder (missing links) sieht man wieviel man vom Puzzle schon zusammengebaut wurde und das es ausserordentlich gut zusammenpasst. Dies ist intuitiv sicher besser verständlich zu erklären, als wie wir vom Fisch zum Homo Sapiens kamen.

Wer die nächsten Tage nicht gerade einen Abstecher nach Washington DC plant, findet einiges von der Ausstellung auf ihrer Website. Insbesondere die 3D Galerie ist unterhaltsam.


Bildquelle: Presseinformationen für David Koch Hall of Human Originis

Kommentare (4)

  1. #1 roel
    Oktober 15, 2010

    “Ich weiss nicht ob es daran liegt, dass solche Institutionen oft weniger von der öffentlichen Hand finanziert werden als auf dem Kontinent” Welcher Kontinent?

  2. #2 Faustus
    Oktober 15, 2010

    @roel
    Mit “dem Kontinent” ist das europäische Festland gemeint, d.h. alles außer dem UK und allen anderen Inseln. Diese Formulierung verwenden meistens Briten, um sich vom Resteuropa abzugrenzen.

  3. #3 roel
    Oktober 15, 2010

    @Faustus Bei den Briten kenne ich diese Bezeichnung, zur Abgrenzung der USA zu Europa kenne ich sie nicht. Deshalb habe ich gefragt.

  4. #4 noch'n Flo
    Oktober 15, 2010

    Auch wenn die Ausstellung dem geneigten Wissenschaftsinteressierten “oberflächlich” erscheinen mag – aber genau da musst Du ansetzen bei einem Volk, dem “Kreationismus” in vielen Schulen bereits als “anerkannte” Alternative zur Evolution verkauft wird.

    Ich halte die Bemühungen der Museumskuratoren für sehr förderlich. Vielleicht gelingt es damit ja doch, die Menschheit vor der absoluten (esoterischen) Verdummung zu bewahren…