In Kubricks Film Dr. Strangelove (welcher diesem Blog zum Bannerbeschrieb verhalf), lanciert ein durchgeknallter Airforce Kommandant einen Nuklearschlag gegen die Sowjetunion. Die Ereignisse von letztem Samstag, als plötzlich 50 Interkontinentalraketen ausser Betrieb gesetzt werden mussten, scheinen wie eine kleine Reminiszenz an Kubricks Meisterwerk aus dem Kalten Krieg.
Es war natürlich nicht ganz so dramatisch wie im Film (eigentlich überhaupt nicht, zieht man in Betracht, dass dieser mit der In-Gang-Setzung der Weltuntergangsmaschine endet). Kein irrer Basen-Kommandant, der die abendländischen Körperflüssigkeiten vor den Kommunisten retten will, war irgendwie involviert. Trotzdem wirft der Zwischenfall einige Fragen auf, einerseits zur Sicherheit und anderseits zur Effektivität des nuklearen Schutzschildes der USA ,zumindest wenn man die Theorie der nuklearen Abschreckung ernst nehmen will.
Aber beginnen wir mit dem eigentlichen Vorfall basierend auf der Berichterstattung von The Atlantic und Wired. Am letzten Samstag wurden 50 Interkontinentalraketen (Intercontinental Ballistic Missiles, ICBM) für eine kurze Zeitspanne “vom Netz genommen”. Man muss sich vor Augen halten, dass die USA Gesamthaft “nur” etwa 450 landgestützte ICBMs besitzt. Das heisst also, dass rund ein Neuntel aller dieser Raketen runtergefahren wurden. Konkret stellt man am Samstag Morgen plötzlich fest, dass einige Raketen einen “LF Down” Status anzeigten. Das heisst, dass sie theoretisch zwar noch abgeschossen werden können, aber nur von einer sich in der Luft befindenden Kontrollplattform. Diese Option besteht um sicherstellen, dass ein Angreifer mit gezielten Attacken die Zweitschlagskapazität nicht ausser Gefecht setzen kann. Als immer mehr Raketen Fehlermeldungen zur Basis funkten, beschloss man kurzerhand alle 50 Raketen aus Sicherheitsgründen ausser Betrieb zu nehmen (wohl das nukleare Äquivalent zum Windows Bluescreen of Death).
Die Möglichkeiten einen Nuklearschlag zu lancieren hängen auch von aktuellen Bedrohungsstatus ab. Im Moment sind die USA auf DEFCON 4 von einer Skala von 1-5. In diesem Modus ist ein soeben beschriebener Nuklearschlag aus der Luft nicht möglich, weil anscheinend die Übermittlungssignale zu den mobilen Platformen standardmässig blockiert sind. Bei DEFCON 3 wäre das schon nicht mehr der Fall. Bisher wurde DEFCON 3 erst dreimal ausgerufen, bei der Kubakrise ging es sogar bis DEFCON 2 runter, der Yom Kippur Krieg und die Anschläge vom 11. September brachten den Alarmzustand jeweils auf DEFCON 3. So gesehen war die Situation noch einigermassen unter Kontrolle, aber ein ungutes Gefühl bleibt.
Es gibt aber zwei wichtige theoretische Implikationen, über die wohl nun auch in den USA nachgedacht werden muss. Ein wichtiges Element nuklearer Abschreckung ist, dass es wie erwähnt eine Zweitschlagkapazität geben muss. Wenn ein Angreifer den roten Knopf drückt, muss es glaubwürdig sein, dass man danach noch zurückschlagen kann. Ansonsten schreckt man logischerweise nicht ab und dies würde heissen dass ein nuklearer Erstschlag wahrscheinlicher würde. Wie schon erwähnt handelt sich hier um die Abschreckungstheorie die sich gerade in Militärkreisen grosser Beliebtheit erfreut und somit per Definition eine gewisse militärische Realität besitzt (auch wenn man die Schlussfolgerungen nicht teilt).
Das andere Element ist, dass eine möglichst einfacher und zentralisierter Entscheid zum nuklearen Schlag (daher auch das Bild des roten Knopfes) existiert, inklusive klarer Plan B sollte die Präsidentschaft, der diese Ehre zufällt, ausser Gefecht gesetzt worden sein. Auch hier geht es um die Glaubwürdigkeit eines solchen Entscheids. Je komplizierter und je mehr Personen involviert sind in den Prozess, desto eher könnte es sein, das gezögert wird.
Wenn nun plötzlich 1/9 der ganzen landbasierten ICBM vom Netz genommen werden, stellt dies die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung in Frage, weil man kaum schnell reagieren kann, wenn die Dinger nicht auf Standby geschaltet sind und dies dem Gegner genug Zeit lassen könnte, sogar noch einem Zweitschlag vorzubeugen, sofern ein solcher überhaupt auslösbar ist. Doch keine Sorge, die Kapazität zum nuklearen Holocaust war nach wie vor gegeben. Einerseits betonte man, dass die Waffen trotzdem noch Einsatzfähig gewesen wären. Es bleibt jedoch anzunehmen, dass dies nur mit Verzögerungen und Komplikationen der Fall gewesen wäre. Anderseits und das ist wohl fast wichtiger, mit den U-Boot gestützten ICBM und den restlichen 390 ICBM hätte man noch immer so ziemlich alles und jeden von der Oberfläche von Mutter Erde pulverisieren können. Mehr als genug Abschreckung ist also gegeben, vorläufig zumindest. Trotzdem wird man im Verteidigungsministerium genau analysieren müssen, was das Problem war.
Die Fragezeichen zur Sicherheit bleiben. Schliesslich ist es nicht die erste Peinlichkeit, die den USA mit ihren Nuklearwaffen in jüngster Zeit passierte. Flog doch vor nicht all zu langer Zeit ein B52 quer über die Vereinigten Staaten mit sechs Nuklearsprengköpfen beladen. Dieser neuste Zwischenfall trägt kaum zur Beruhigung bei. Nuklearraketen die den Aufstand proben sind nicht gerade vertrauensbildend. Es ruft einem in Erinnerung, dass auch wenn die unmittelbare Bedrohung des Kalten Krieges nicht mehr existiert, Nuklearwaffen trotzdem noch da sind.
(un merci en direction d’Ultima Ratio)
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