Als nebenan bei Kritisch Gedacht ein Post erschien, der Wählen als irrationalen Akt einstufte, war einiges los in den Kommentaren. Obwohl das Wahl-Paradoxon nicht gerade eine neue Erkenntnis ist, fühlten sich einige offensichtlich provoziert und entgegneten. Bei Geograffitico gibt es drei Posts zum Thema (eins, zwei, drei) und der Ursprungspost schaffte es auf schon fast alternativmedizinverdächtige 171 Kommentare. Aber was denken sich eigentlich die Wählenden, wenn sie ihren Zettel in die Urne werfen?
Genau dies ist die Frage, die YouGov den Wählenden gestellt hat (leider ist der Originalbericht nicht verlinkt). Warum haben sich also 42% der Stimmberechtigten trotz der kleinen Chance wirklich etwas zu bewirken (in den USA anscheinend zwischen 1 zu 1 Million oder gar zu 100 Millionen je nach Wahlbezirk), vor einer Woche zur Urne bewegt?
Es ist tatsächlich so, dass der typische Wahlberechtigte seine Chance etwas zu bewirken krass überschätzt (1:1000). Interessanterweise sind regelmässige Wählende realistischer, was die effektiven Chancen einer Wahlbeeinflussung betrifft. Das heisst je besser die Einschätzung desto eher geht man regelmässig wählen.
Auf die Frage “Warum haben Sie gewählt” antworteten offensichtlich Zweidrittel mit Vorzügen, die indirekt mit dem Wählen zusammenhängen und nur Eindrittel argumentiert mit dem Auge auf das Wahlresultat. Die typischen Antworten, die aufgeführt werden waren “Ich gehe immer wählen” (inwiefern das ein ‘extrinsischer Vorzug’ des Wählens ist, wie im Artikel geschrieben wird, darüber lässt sich wohl streiten), “Es ist Bürgerpflicht”, “Viele haben für unser Recht abzustimmen gekämpft” und “Wählen gibt einem das Recht sich zu beschweren”.
Ohne den eigentlichen Bericht gesehen zu haben, kann man natürlich nur spekulieren warum das Wissen um die Wahlohnmacht und die Wahlfreudigkeit in einem positiven Zusammenhang stehen. Ich vermute, dass einiges davon mit vom Bildungsgrad und der sozialen Schicht der Befragten abhängt (d.h. das Leute mit einem höheren Bildungsniveau zumindest theoretisch, die Chancen besser einschätzen können aber tendenziell beim Urnengang auch besser vertreten sind) und sich die beiden Faktoren (Einschätzung und Wahlfreudigkeit) nicht direkt gegenseitig beeinflussen. Ob die gefühlte Einflussnahme nicht grösser ist als die erwähnte Zahl tatsächlich bedeutet kann so zumindest nicht festgestellt werden. Hätten wir ein besseres Gefühl für Wahrscheinlichkeiten, würde sich Lotterien kaum einer so grossen Beliebtheit erfreuen.
Man kann mit einigem Wohlwollen in einigen Antworten einen gewissen sozialen Druck als rationale Begründung herauslesen. Aber das wäre es auch schon. Wir alle haben eine Tendenz und sind ziemlich gut darin unsere Handlungen zu rationalisieren. Die im Bericht erwähnten Antworten scheinen eher auf ein “Hm, darüber habe ich noch nie wirklich nachgedacht” hinzudeuten (“Weil ich immer wählen gehe”). Es ist zudem bekannt, dass was Leute sagen, nicht unbedingt das ist, was sie denken. Begründungen gerade in Wahlbefragungen müssen mit sehr viel Vorsicht zur Kenntnis genommen werden. Manchmal geschieht diese Irreführung durch die Befragten vermutlich bewusst (man denke zum Beispiel an den Bradley Effekt) und manchmal unbewusst (empfehlenswert dazu die Warnung auf dem Monkey Cage Blog. Die vorliegende Umfrage scheint eher für die nachgeschobene Rechtfertigung für den Wahlakt zu sprechen.
Und bevor sich nun alle auch hier aufregen: Ich weiss auch nicht genau, wie gross meine Chance ist eine Abstimmung in der Schweiz zu entscheiden. Ich weiss nur, dass sie verschwindend klein ist. Trotzdem verpasse ich keine Abstimmung und versuche andere zu mobilisieren. Es ist schliesslich meine staatsbürgerliche Pflicht. Darum gehe ich immer meine vier Mal pro Jahr den Zettel einwerfen auch wenn ich es nicht rational begründen kann.
Kommentare (28)