Regelmässig berichte ich über Freud und meist auch Leid der direkten Demokratie in der Schweiz. Dass Demokratie mehr sein muss, als blosse Mehrheitsdiktatur habe ich hier schon oft verteidigt. Am 28. November 2010 steht wieder eine Abstimmung an, die erneut zeigt wie ein fehlendes Rechtsverständnis sich in einer direkten Demokratie auswirken kann.
Wieder einmal beglückt uns die Schweizerische Volkspartei (SVP) mit einer Initiative mit einem schon im Titel unverhohlenen Initiative: Die “Volksinitiative für die Ausschaffung krimineller Ausländer” (wie immer verzichte ich auf Links zu solchem Webmüll, wer es unbedingt sehen will kann es leicht ergoogeln). Die Initiative will, dass Ausländerinnen und Ausländer ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren, wenn sie eine von der in der Initiative aufgelisteten Straftaten begehen. Diese Liste besticht vor allem durch ihre Willkür und illustriert wunderbar, wie wenig die SVP den Rechtsstaat verinnerlicht hat und wie es um deren juristischen Kompetenz steht. Recht ist was die SVP für richtig hält. Basta. Die vorgeschlagene Regel würde für alle Ausländerinnen und Ausländer gelten die
wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind; oder missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben.
Alles klar? Wer die Sozialversicherung betrügt, oder einen Einbruch begeht befindet sich in der gleichen Kategorie wie Vergewaltiger und Mörder. Wer aber einen schweren Betrug begeht darf, weil er nicht die Sozialversicherung betrogen hat natürlich bleiben.
Man gibt vor dass man etwas gegen die Ausländerkriminalität unternehmen möchte damit. Wie immer benutzt man hierfür rosinengepickte Statistiken. Ich will hier gar nicht im Detail auf die Grobschlächtigkeit der zitierten Statistiken eingehen. Wer wie die SVP immer wieder nur den hohen Ausländeranteil in diesen Zahlen kritisiert und einfach nur die Proportionalität heranzieht um dann Rückschlüsse auf eine amorphe Gruppe wie “Ausländerinnen und Ausländer” in der Schweiz zu ziehen, ist entweder ignorant oder manipulativ und vermutlich nicht an einem echten Diskurs zur Frage interessiert. Eine Kontrolle auf sozioökonomischen Faktoren und Geschlecht wäre ein Minimum, dass zu erwarten wäre.
Auf der Website der Initiative findet man folgende Grafik zum Ausländeranteil einiger der genannten Kategorien:
Da ich den selektiven Umgang der SVP mit Zahlen gewohnt bin habe ich die Zahlen beim Bundesamt für Statistik selber nachgeschaut und mein Verdacht hat sich bestätigt: Es ist schon fraglich wie nützlich es ist, sich auf ‘Beschuldigte’ statt ‘Verurteilte’ zu konzentrieren (da Ausländerinnen und Ausländer wohl schneller in Verdacht geraten). Der eigentliche Coup ist aber, dass es der SVP in der Initiative um den Entzug der Aufenthaltsbewilligung geht, sie aber nicht die Zahlen für die ständige Wohnbevölkerung benutzt für die Grafik, sondern den Gesamtausländeranteil unter den beschuldigten. Hier eine Grafik mit der ständigen Wohnbevölkerung im Vergleich (der Menschenhandel fällt von 93% auf 28%!):
Ausländer sind nach wie vor überproportional vertreten aber wie schon geschrieben man müsste noch weitere statistische Kontrollen vornehmen damit wirklich gleiches mit gleichem Verglichen wird.
Dazu kommt eine grosse Portion Heuchelei. Die SVP sieht juristisch keine Probleme mit der Initiative, was das Völkerrecht betrifft. Darüber, dass die SVP entweder von Völkerrecht keine Ahnung hat oder aber für ihren politischen Vorteil einfach lügt habe ich in diesem Blog auch schon geschrieben (zum Beispiel das vermeintliche Recht des Schweizers auf Genozid oder hier zu zwingendem Völkerrecht). Damit über die Initiative überhaupt abgestimmt werden konnte (ein Widerspruch zu zwingendem Völkerrecht wäre ein Ungültigkeitsgrund) hat die Schweizer Regierung die Initiative so interpretiert, dass niemand ausgewiesen wird, wenn dies gegen das Non-Refoulement Gebot verstossen würde (d.h. man darf niemanden in ein Land zurückschicken in dem er oder sie an Leib und Leben bedroht ist).
Es gibt natürlich internationale Verpflichtungen die nicht zwingend sind und die von der Schweiz gekündet werden können. Für die von der SVP beschworenen humanitären Tradition der Schweiz würden so unbedeutende Verträge wie die Europäische Menschrechtskonvention, der UNO Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die UNO Kinderrechtskonvention in Frage gestellt. Auch im Rahmen des Vertragswerks mit der EU würde das Personenfreizügigkeitsabkommen bei einer Umsetzung der Ausschaffungsinitiative verletzt und damit so ziemlich alles das in den letzten 15 Jahren für die Schweiz in zähen Verhandlungen mit der EU erreicht wurde. Von der Schweizer Verfassung gar nicht zu reden. Aber das ist der SVP egal. Es geht schliesslich nicht um die Schweiz sondern um die Schweizerische Volkspartei. Die einzige Antwort die die SVP auf solche Einwände hat, ist diese Probleme einfach zu leugnen und/oder zu ignorieren.
Nun wie stehen die Chancen, dass die Schweiz wieder einmal beweist, dass Rechtsstaatlichkeit und direkte Demokratie ein Widerspruch sein kann? Leider ziemlich gut. Die neusten Umfrageergebnisse zeigen, dass im Moment die Initiative angenommen würde und der Gegenvorschlag (den ich falsch finde, aber juristisch wenigstens mehr oder weniger kohärent) abgelehnt. Solche Abstände verkleinern sich oft noch wenn es auf das eigentliche Abstimmungsdatum zugeht (vermutlich weil sich die Leute besser informieren). Aber nach dem Debakel um die Minarettsverbotsinitiative habe ich sehr viel Vertrauen in das System verloren.
Es geht nicht um unliebsame politische Entscheide. Es geht um die Aushebelung des Rechtsstaates auf dem Buckel von Minderheiten. Damit wird der direkten Demokratie, dem Schweizer Rechtssystem und dem Ansehen der Schweiz im Ausland. Da es der SVP offensichtlich vor allem um ihren eigenen politischen Erfolg geht, stellt sich die bange Frage: Was kommt als nächstes?
P.S.: Dass das ganze von einer vorurteilsbeladenen und rassistische Klischees bedienende Plakatkampagne begleitet wird versteht sich inzwischen von selbst. Hingegen welches Anti-Deutsche Vorurteil mit dem Kinderschänder Detlef S. gemeint ist, darüber rätsle ich noch (aber wer so Fingernägelkaut muss ein Bösewicht sein). Somit gehen auch herzliche Grüsse in den Norden.
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